Co-Transformation – gemeinsam die regionale Energiewende im ländlichen Raum meistern
Zwei Seiten einer Medaille: Herausforderungen und Chancen der Energiewende im ländlichen Raum
Mit dem Umstieg von fossil-nuklearen Großkraftwerken, die ortsgebunden sind (zentral), auf Erneuerbare-Energien-Anlagen (vor allem Windenergie und Photovoltaik), die aufgrund der flächendeckenden Verfügbarkeit von Wind und Sonne auch fast überall installiert werden könnten (dezentral), gehen weitreichende Veränderungen einher. Nicht nur die Entstehungsstrukturen verändern sich im Zuge dieses Umstiegs. Auch die Rolle von Verbraucher*innen als aktive Prosument*innen, statt wie bisher nur passive Konsument*innen, und die Eigentumsstrukturen an der Energieinfrastruktur (Netze und Anlagen) sind im Umbruch. Besonders sichtbar beziehungsweise erfahrbar wird diese „soziotechnische Transformation“ unseres Energiesystems am Wandel von Kulturlandschaften im ländlichen Raum (wie beispielsweise der offenen unbebauten Wald- und Wiesenlandschaften im Allgäu oder im Schwarzwald). Durch den Zubau von größeren Erneuerbaren-Energien-Anlagen (wie Windenergieanlagen) kann sich das Landschaftsbild sichtbar verändern. Diese Veränderungen können insbesondere in Regionen mit hoher Verbundenheit der Bevölkerung zu einer als weitgehend intakt wahrgenommenen Natur- bzw. Kulturlandschaft (z. B. in landwirtschaftlich geprägten oder touristischen Regionen) als störende Eingriffe empfunden werden. Aufgrund der vorhandenen Flächenpotenziale für Windenergie und Freiflächen-Photovoltaik im ländlichen Raum wird der Erfolg der Energiewende von diesen Regionen abhängen. Neben den daraus entstehenden Herausforderungen, wie beispielsweise Flächenkonkurrenzen und Landschaftswandel, entstehen damit aber auch Chancen zur Verbesserung der öffentlichen Daseinsvorsorge und kommunalen Wertschöpfung, gerade in schrumpfenden vom Strukturwandel geprägten ländlichen Regionen.
Zustimmung zur Energiewende ist hoch
Die hoffnungsvolle Nachricht ist, dass die grundsätzliche Zustimmung zur Energiewende sowohl in städtischen als auch ländlich geprägten Regionen konstant hoch ist wie aktuelle Umfragen zur Akzeptanz von Erneuerbaren-Energien-Anlagen zeigen. Insbesondere, wenn bereits Anlagen im eigenen Wohnumfeld vorhanden sind, also lokale Erfahrungen mit bspw. Windenergieanlagen gemacht werden konnten, ist die Zustimmung zu den Anlagen – wie auch unsere Forschung im Schleswig-Holsteinen Kreis Steinburg zeigt – tendenziell etwas höher. Etwas anders sieht es aus, wenn keinerlei dieser Vorerfahrungen mit Anlagen vor Ort bestehen, dann werden gerade in ländlich geprägten Regionen eher Bedenken gegen Windenergieanlagen geäußert. (FA Wind 2024)
Wie die breite Forschung zur Akzeptabilität der Energiewende zeigt, entscheiden neben anlagenspezifischen Themen (Schattenwurf, Schall oder Artenschutz) primär Vertrauens- und Gerechtigkeitsaspekte über die gesellschaftliche Zustimmung zu Anlagen vor Ort. Entscheidend sind dabei ein fairer und als gerecht wahrgenommener Prozess (sogenannte Verfahrensgerechtigkeit) und eine finanzielle Teilhabe an der durch lokale Erneuerbare-Energien-Projekte generierten Wertschöpfung (sogenannte Verteilungsgerechtigkeit) (Krüger 2021; Hall et al. 2013). Zudem stellt sich mit Blick auf die Verzögerung im Ausbau der erneuerbaren Energien und dem Aufschub von Maßnahmen zur Erreichung der Klimaschutzziele, die Frage nach der Generationengerechtigkeit. Es braucht folglich politische Regelungen, die diese Aspekte berücksichtigen und Gerechtigkeit auf den verschiedenen Ebenen sicherstellt. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von einer Energiewende-Governance zur Co-Transformation. Kurz zusammengefasst, soll der Begriff der Co-Transformation dabei auf die Relevanz von diversen partizipativen und transdisziplinären Formaten, welche sowohl Akteur*innen aus der Forschung und Praxis als auch die lokalen Stakeholder*innen einbeziehen, im Rahmen einer akzeptablen Energiewende-Governance sensibilisieren.
Dilemmata der regionalen Energiewende: woran hakt die Umsetzung vor Ort?
Die derzeitige Praxis der Planung und Partizipation bei Erneuerbaren-Energie-Projekten weist einige wesentliche Defizite auf. Oftmals wird sie von einer standardisierten Vorgehensweise geprägt, die auf konsultativen Beteiligungsformen wie Anhörungen und Stellungnahmen basiert. Dabei werden jedoch wichtige lokale sozialräumliche Aspekte wie die Kulturhistorie und die regionale Identität regelmäßig nicht ausreichend berücksichtigt.
Aus dieser aktuellen Situation ergeben sich drei Hauptdilemmata in Bezug auf die Energiewende-Governance auf regionaler oder lokaler Ebene:
- Koordinationsdilemma: Die dynamische und für die lokale Politik und Verwaltung häufig undurchsichtige Regulierung der Energiewende durch europäische und bundespolitische Vorgaben führt zu Frustrationen und Unsicherheit auf regionaler beziehungsweise kommunaler Ebene. Die verschiedenen Ebenen der föderalen Politik (EU, Bund, Land, Region und Kommune) sowie die involvierten Fachressorts (Denkmalschutz, Naturschutz, Energie, Wirtschaftsförderung) sind oft voneinander abhängig und es mangelt an transparenten Entscheidungsprozessen. Dies kann zu Widerstand, Blockaden und Verzögerungen bei der Umsetzung von Energiewende-Projekten vor Ort führen.
- Distributionsdilemma: Ein weiteres Problem besteht darin, dass Belastungen und der Nutzen vom Ausbau erneuerbarer Energien ungleich verteilt sind. Lokale Gemeinschaften erleben die Belastungen, wie Sichtbarkeit von Anlagen, Immissionen und Flächenverbrauch, unmittelbar, während der Nutzen, wie Energiesicherheit und der regionale Klimaschutzbeitrag, nicht immer direkt erfahrbar ist. Anders gesprochen: man sieht die Windmühle auf dem Hausberg, aber nicht die Einspeisung in das europäische Stromnetz. Eine zentrale Herausforderung liegt also in der ‚Erfahrbarmachung‘ der positiven Effekte einer regionalen Energiewende. Da die Standortentscheidungen, aufgrund der Siedlungsstrukturen, Flächenrestriktionen und -potenziale, schon qua Technik zwischen ländlichen (energieproduzierenden) und urbanen (energieverbrauchenden) Regionen ungleich verteilt sind, besteht wenig Spielraum für grundsätzliche Änderungen am Planungssystem. Dies führt zu Konflikten zwischen „Verlierer*innen“ und „Gewinner*innen“ der Energiewende und Widerstand gegenüber Projekten. Wichtig sind daher die Generierung von und die finanzielle Teilhabe an lokaler Wertschöpfung durch den Ausbau erneuerbarer Energien (z. B. Pachten, Erlösbeteiligungen oder Gewerbesteuer).
- Imaginationsdilemma: Infrastrukturen der Energiewende sind in zweifacher Hinsicht aus zeitlicher Perspektive besonders: Entscheidungen zur regionalen Energieinfrastruktur reichen einerseits kulturhistorisch weit zurück. Andererseits müssen diese mit dem Blick auf das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 primär auf die Zukunft hin ausgerichtet sein. Bei Diskussionen um lokale Energiewende-Vorhaben kommt es jedoch regelmäßig zu einem Auseinanderfallen von den erfahrbaren heutigen (‚intragenerationellen‘) Belastungen (z.B. Eigentum oder Denkmalschutz) und einem künftigen nichterfahrbaren langfristigen (‚intergenerationellem‘) Nutzen für das Gesamtsystem. Zukünftige kollektive Identitäten und positive Narrative von Regionen (als z. B. „Energiewende- oder Leuchtturmregion“) gegenüber gegenwärtigen Identitäten (als z. B. „Tourismus- oder Landwirtschaftsregion“) werden häufig vernachlässigt, was zu einem Mangel an Unterstützung und Akzeptanz in der Region führen kann.
Diese Dilemmata zeigen, dass es notwendig ist, die Governance der Energiewende, also insbesondere die Planung von und Partizipation bei Erneuerbaren-Energie-Projekten zu überdenken und zu verbessern, um eine nachhaltige und erfolgreiche Energiewende zu ermöglichen.
Dies erfordert
- eine stärkere Einbeziehung lokaler Akteure,
- eine transparentere Entscheidungsfindung und
- eine bessere Kommunikation der langfristigen Vorteile der Energiewende für alle Beteiligten.
Co-Transformation: wie kann die Bürger*innen-Energiewende auf lokaler Ebene gelingen?
Zentrale Stellschrauben in einer raumsensiblen und akzeptablen Energiewende-Governance setzen hier an. Entscheidend ist die Ausgestaltung
1.) einer Öffentlichkeitsbeteiligung in Planungs- und Genehmigungsverfahren, die den regionalen Kontext einbezieht,
2.) einer als fair und gerecht wahrgenommenen finanziellen Teilhabe der lokalen Bevölkerung und
3.) dass generationenübergreifende Gerechtigkeitsaspekte und regionale Energie-Visionen berücksichtigt werden.
Unser entwickelter Ansatz für eine Energiewende-Governance der Co-Transformation baut daher, auf drei Säulen auf. Er hat das Ziel, eine raumsensible und gesellschaftlich getragene Energiewende vor Ort zu befördern:
- Co-Regulierung: für ergebnisoffene, experimentelle und regionalspezifische Beteiligungs- und Regulierungsformen in Planungs- und Genehmigungsverfahren.
In der Prozessgestaltung einer akzeptablen regionalen Energiewende, gilt es, die Planungsbeteiligung zu optimieren indem verbindliche Mitwirkungsrechte für Bürger*innen geschaffen werden. Dabei ist eine ergebnisoffene Ausgestaltung der Beteiligung essenziell, die sich an regionalen Identitäten und lokalen Bedarfen orientiert. Dies erfordert einen konstruktiven Austausch und eine Anpassung an lokale Kontexte, dadurch können Zustimmung und Beteiligung an der Energiewende steigen. Zudem ist eine frühzeitige und kontinuierliche Bürgerbeteiligung entscheidend, um soziale Konflikte zu vermeiden und neue regionale Identitäten im Rahmen der Nachhaltigkeitstransformation zu formen. - Co-Allokation: für lokal gemeinsam zu verhandelnde Koordinationsmechanismen, um energiewendebezogenen Effekte und finanzielle Teilhabemodelle in der Region zu verteilen.
Es braucht sowohl gestärkte finanzielle Beteiligungsmodelle als auch kollektive Regelungen für die Verteilung von Lasten und Nutzen der Energiewende vor Ort. Möglichkeiten zur Teilhabe variieren dabei projektabhängig zwischen aktiven (wie Bürgerenergieanlagen, Genossenschaftsmodellen oder stillen Beteiligungen) und passiven Teilhabemodellen (Flächenpacht, lokale Strompreise, Bürgerstiftungen oder gemeinwohlorientierte Ausgleichzahlungen). Finanzielle Teilhabemöglichkeiten an der generierten Wertschöpfung und gemeinwohlorientierte Maßnahmen können die lokale Zustimmung zu Erneuerbaren-Energien-Projekten erhöhen. Wichtig dabei ist aber, dass diese Regelungen nachvollziehbar sind, kollektiv beschlossen werden und dem Gemeinwohl dienen, um eine gerechte Verteilung der lokalen Mehrwerte sicherzustellen. Beispielsweise wurde in der Gemeinde Neuenbrook (siehe Foto oben), die im von uns beforschten Schleswig-holsteinischen Kreis Steinburg liegt, finanziert durch die Erlöse aus Bürgerenergieprojekten der Förderverein: „Hand in Hand für Neuenbrook“ gegründet. Dieser setzt sich mit einem ausführlichen Leistungskatalog schwerpunktmäßig dafür ein, dass Neuenbrook ein „kinderfreundliches Dorf“ bleibt. So konnten beispielsweise zahlreiche Kinderbetreuungsleistungen, Jugendangebote und -veranstaltungen gefördert werden. - Co-Visionierung: für generationenübergreifend ausgerichtete partizipative Prozesse zur Visionierung regionaler Energiezukünfte sowie unterstützender Narrative.
Partizipativ entwickelte Visionen helfen dabei, positive Zukunftsvorstellungen zu artikulieren. Diese können als Orientierungshilfe für Entscheidungen und Handlungen dienen. Sie fördern zudem eine gemeinschaftliche Identität und den Zusammenhalt vor Ort. Emotionalität als einen wichtigen Treiber für Transformationen anzuerkennen, kann dabei helfen, Beteiligungsprozesse besser an die Bedürfnisse vor Ort anzupassen. Gemeinsam entwickelte kollektive Visionen und Narrative (z. B. als „Energiewenderegion“) unterstützen dabei. Dies trägt dazu bei, verschiedene Interessen offenzulegen, und den Diskurs um die regionale Energiewende zu fördern. Dazu braucht es gemeinschaftliche Ansätze, um lebenswerte Zukunftsvorstellungen darzustellen. Im partizipativen Prozess können dabei Methoden und Formate (z. B. back- and forecasting) eingesetzt werden, welche mögliche wünschenswerte regionale Energiezukünfte mit der Kulturhistorie in der Region verknüpfen. Es geht darum zu fragen, „wo kommen wir als (Energie-)Region her?“, „wo stehen wir aktuell?“ und „wo wollen wir hin?“
Die regionale Energiewende gemeinsam gestalten
Die Umsetzung der nationalen und europäischen Energiewende für eine nachhaltige öffentliche Versorgung ist dringlicher denn je. In Deutschland streben wir bis 2035 eine Vollversorgung mit erneuerbarem Strom und einen schnellen Netzausbau auf allen Ebenen an. Die primären Herausforderungen liegen dabei weniger in technischen Problemen als vielmehr in den bürokratischen Entscheidungsprozessen und mangelnder Akzeptanz vor Ort. Die Energiewende ist auf das (zivilgesellschaftliche) Engagement diverser ländlicher Regionen angewiesen, um zu gelingen. Deswegen ist es wichtig, regionale und lokale Charakteristika, Anforderungen und Bedürfnisse zu kennen und zu berücksichtigen.
Daher braucht es eine regional passende, partizipative Planung und Umsetzung. Es gilt, lokale und regionale Akteure dazu zu ermächtigen, die Energiewende vor Ort selbst zu verhandeln und zu gestalten. Dazu braucht es regulatorische Freiräume für angepasste, kreative Lösungswege, kollaborativ gefasste Regelwerke für den gemeinwohlorientierten Einsatz von generierter Wertschöpfung und Prozesselemente zur Identifikation gemeinsam getragener Zukunftsvisionen und Narrative für die Rolle der eigenen Region im zukünftigen dezentralen klimaneutralen Energiesystem.
Ryan Kelly und Dr. Melanie Mbah sind Expert*innen für transdisziplinäre Nachhaltigkeits- und Raumforschung und arbeiten im Bereich „Nukleartechnik & Anlagensicherheit“ am Freiburger Standort des Öko-Instituts