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„Das gebietet die ökologische Vernunft“

Felix Müller ist beim UBA für das Thema Urban Mining verantwortlich, kurz gesagt den Bergbau in der Stadt. Dahinter steckt die Idee der planvollen Bewirtschaftung des anthropogenen Lagers, um Sekundärrohstoffe zu gewinnen.

Wir wissen ziemlich genau, wie viele Flaschen da draußen unterwegs sind. 18 Milliarden ungefähr. Und das ist nur PET. 460.000 Tonnen Material, in diesem Fall: Kunststoff. Doch Rohstoffe sind natürlich nicht nur in Flaschen gebunden. Sondern in vielen weiteren so genannten anthropogenen Lagern. Dazu gehören Infrastrukturen und Gebäude oder auch Dinge des täglichen Gebrauchs wie Autos oder Möbel. Bei diesen wissen wir nicht wirklich so genau, wie viele und vor allem welche Materialien in ihnen stecken. „Was wir sagen können: In Deutschland wächst das anthropogene Lager jedes Jahr um etwa 600 Millionen Tonnen an“, erklärt Felix Müller, Fachreferent beim Umweltbundesamt. „Bei langlebigen Gütern wie Häusern, Infrastrukturen oder Fahrzeugen gibt es bislang jedoch nur ausschnitthaftes Wissen, keineswegs einen aktuellen, detaillierten Überblick. Dieser ist aber notwendig, um die verwendeten Rohstoffe sinnvoll wiederzuwenden. Große Teile unseres anthropogenen Lagers werden zukünftig mobilisiert werden und damit geht ein bedeutendes Ressourcenschonungspotenzial einher, wenn wir das anthropogene Lager richtig bewirtschaften.“

Es geht auch hochwertig

Müller ist beim UBA für das Thema Urban Mining verantwortlich, kurz gesagt den Bergbau in der Stadt. Dahinter steckt die Idee der planvollen Bewirtschaftung des anthropogenen Lagers, um Sekundärrohstoffe zu gewinnen. Urban Mining stehe vor vielen Fragen und Herausforderungen. „Wir müssen zunächst – gleich dem primären Bergbau – die Rohstoffvorkommen aufsuchen und erkunden. Dabei analysieren wir, mit welchen Instrumenten wir die Rohstofflager bestimmen können, um dann im nächsten Schritt das anthropogene Lager, seine Qualität und Dynamik so gut wie möglich zu beschreiben.“ Dies sei auch und vor allem wichtig, um die eingesetzten Rohstoffe langfristig planbar, hochwertig und schadlos bewirtschaften zu können. Für Baustoffe aus dem Hochbau heißt dies beispielsweise, diese nach Rückbau nicht nur in anderen, teils deutlich niederwertigeren Anwendungen zu „verbrennen“ – also etwa Abbruchmaterial aus Gebäuden im Erd- und Wegebau oder für Lärmschutzwälle einzusetzen –, sondern sie in hochwertigen Anwendungen erneut einzubringen. Anwendungen, für die auch zukünftig ein hoher Bedarf bestehen wird. Also auch: das Abbruchmaterial wieder für den Hochbau zu nutzen.

 

 

 

Wenn ich bei Bauabfällen eine Gesamtrecyclingquote von 90 Prozent habe, sagt das heute noch nicht allzu viel darüber aus, ob diese Abfälle auch wirklich ökologisch sinnvoll genutzt wurden. Es ist nicht möglich, aus einem alten Haus ein komplett neues zu bauen, aber es ist technisch durchaus möglich, einen großen Anteil der Abbruchmassen so aufzubereiten, dass sie als Recyclingmaterial in den Neubau fließen können, statt weiter – wie bisher – fast ausschließlich Primärrohstoffe. Aus meiner Sicht haben wir eine ökologische und wirtschaftliche Verantwortung, das auch zu tun, wenn wir mithilfe einer Kreislaufwirtschaft nachhaltiger wirtschaften wollen.
Felix Müller
Umweltbundesamt

Wir sprechen über knapp 60 Milliarden Tonnen Material

Wer nachhaltig Urban Mining betreiben will, muss strategisch vorgehen – in allen Prozessen, sagt Felix Müller. Derzeit koordiniert er für das Umweltbundesamt die Entwicklung einer deutschen Urban Mining-Strategie. „Für die strategische Planung ist es wichtig, zunächst das Wissen über die anthropogenen Lager massiv zu erweitern, aber auch zu definieren, wie sie sinnvoll erschlossen und effektiv genutzt werden können.“ Für das Wissensmanagement seien etwa digitale Kataster oder auch Produktpässe sinnvoll, die genau verzeichnen, wo und in welcher Form Materialien gebunden sind, aber auch, wann diese etwa für ein Recycling verfügbar werden. „Natürlich kann man nicht überall gleichzeitig anfangen – schließlich sprechen wir über insgesamt knapp 60 Milliarden Tonnen Material, die in diesen menschengemachten Rohstoffvorkommen gebunden sind. Daher müssen Prioritäten gesetzt werden. Zum Beispiel auf Sektoren, deren Rohstoffverbrauch besonders umwelt- und klimaschädlich ist.“ Schwerpunkte sollten unter anderem auf den Hoch- und Tiefbau, die Mobilität sowie Energieerzeugungsanlagen konventioneller und erneuerbarer Art gelegt werden. Dabei geraten zunehmend auch strategische und kritische Rohstoffe wie Kobalt, Dysprosium und Lithium in den Blick, bei denen sich durch die Bewirtschaftung des anthropogenen Lagers zukünftig die sichere Versorgung aus dem eigenen Land ausbauen lässt.

Um die Rohstoffvorkommen in Städten und Gemeinden, in Häusern und Wohnungen, in Unternehmen und Industrieanlagen zu heben, gibt es nicht ein einzelnes Instrument. Sondern eine Vielzahl von möglichen Maßnahmen. „Hilfreich sind zum Beispiel die Novellierungen der Regulierungen, die die EU-Kommission in den vergangenen zwei Jahren auf den Weg gebracht hat – so etwa zu Batterien oder, noch laufend, zu Altfahrzeugen. Sie sehen Rezyklateinsatzquoten vor, die dafür sorgen, dass in Zukunft mehr Material in ebenjenen Anwendungen zurückgeführt und wiederverwendet werden muss. Die dafür erforderliche Logistik hin zu qualifizierten, sortier- und trennstarken Anlagen wird zum Game Changer für eine erfolgreiche Kreislaufwirtschaft. “ Bei Metallen sei zudem der CO2-Preis ein wichtiges Instrument. „Er verändert den Wettbewerb und bringt Sekundärmetalle aus Schrott mit einem deutlich verminderten CO2-Rucksack in eine bessere Marktposition, so ist etwa der Markt für emissionsarme Stähle und emissionsarmes Aluminium ins Rollen gekommen.“

Pässe für Produkte etablieren

Eine wichtige Frage bei Urban Mining ist auch: Wie umgehen mit Schadstoffen? Denn etwa in alten Häusern, aber auch in Elektrogeräten oder Fahrzeugen können Materialien verbaut worden sein, die vor Jahrzehnten noch zugelassen waren, heute aber als bedenklich gelten oder sogar verboten sind. Und auch derzeit als unbedenklich eingestufte Stoffe können zukünftig als besorgniserregende Stoffe klassifiziert werden, wenn diese besser untersucht sind. „Bei ganz vielen Dingen gibt es diesbezüglich noch keine klare Regelung“, sagt der Referent vom Umweltbundesamt. „Es gibt aber gute Argumente dafür, dass wir in bestimmten Anwendungen höhere Schadstoffgehalte zulassen können, wenn sie in der alltäglichen Nutzung nicht zum Tragen kommen, weil beispielsweise das Risiko einer Freisetzung verschwindend gering ist – das gebietet aus meiner Sicht auch die ökologische Vernunft.“ Auch mit Blick auf Schadstoffe sei es zudem wertvoll, Produktpässe zu etablieren. „Stoffe, die heute üblicherweise genutzt werden, könnten in Zukunft als besorgniserregende Stoffe reguliert oder gar verboten sein – dann ist es wichtig, zu wissen, wo sie drinstecken. Die Akeur*innen in allen Sektoren müssen anfangen, Daten über die Lebenszyklen von Produkten und Materialien zusammenzustellen und auch zu teilen.“

Felix Müller ist seit 15 Jahren für das Umweltbundesamt (UBA) tätig. Hier widmet er sich konzeptionellen Fragen der Kreislaufwirtschaft sowie insbesondere dem Thema Urban Mining, das er am UBA verantwortet. Persönlich interessiert ihn daran vor allem der große Gestaltungsspielraum beim Urban Mining. Man könne mit dem anthropogenen Lager nicht nur ressourcenschonender und ökologischer wirtschaften als mit dem Einsatz von Primärrohstoffen, sondern sei darüber hinaus auch von Restriktionen etwa mit Blick auf den Außenhandel weitgehend befreit. Der Fachreferent koordiniert eine nationale Urban Mining-Strategie für das Umweltbundesamt und setzt sich dafür ein, dass Urban Mining auch global ein größeres Thema wird.

Weitere Informationen

Porträt von Felix Müller im Magazin eco@work, Ausgabe 03/2024

Themenseite auf der Website des Umweltbundesamtes: Urban Mining

Themenseite auf der Website des Umweltbundesamtes: Das anthropogene Lager

Präsentation auf der Website der HTWK Leipzig: Urban Mining – Der Rohstoffreichtum liegt so nah?

 

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