Das Gebot der Stunde
Energiesparen ist durch den Krieg in der Ukraine das Gebot der Stunde, um uns unabhängig von russischen Energieträgern zu machen. In Szenarien und Strategien, wie mittel- und langfristige Klimaziele erreicht werden könnten, gewann das Thema Energiesparen durch Energiesuffizienz in den vergangenen Jahren immer mehr an Bedeutung, wobei die technischen Strategien Effizienz und Konsistenz, also die Umstellung auf erneuerbare Energien, noch immer maßgebend sind
Was ist Energiesuffizienz?
"Suffizienz" bezeichnet die Strategie des "Weniger" (Energiesparen), aber auch des "Genug" (Reduktion von Energiearmut). Sie ist, neben der Konsistenz und der Effizienz, eine von drei Strategien, um ökologische Nachhaltigkeit im Energiesektor zu erreichen. Energiesuffizienz zielt auf die absolute Reduktion beziehungsweise Begrenzung des gesellschaftlichen Energiebedarfes. Wir definieren Energiesuffizienz folgendermaßen: "Energy sufficiency is the strategy of achieving absolute reductions of the amount of energy-based services consumed, notably through promoting intrinsically low-energy activities, to reach a level of enoughness that ensures sustainability."
Energiesuffizienz ist demnach sowohl Strategie als auch Ziel. Als Strategie kann sie umgesetzt werden, indem man beispielsweise die Nachfrage nach Energiedienstleistungen wie beheizte Quadratmeter oder mit dem Auto zurückgelegte Personenkilometer absolut reduziert. Das heißt: kürzere Wege, gemeinschaftliche Wohnformen, aber auch haltbare Konsumprodukte sowie der Umstieg auf Bus, Bahn oder Fahrrad. Das Enough (Genug) in der Suffizienzdefinition beschreibt demgegenüber ein doppeltes Ziel: Erstens umschreibt es eine Situation, in der jeder Mensch Zugang zu ausreichend Energie hat, um seine/ihre Grundbedürfnisse zu stillen, und zweitens sollen die Auswirkungen der Energienachfrage beziehungsweise des Energiesystems die ökologischen Belastungsgrenzen nicht überschreiten.
Auch der Weltklimarat (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) hat in seinem jüngsten Bericht eine Suffizienzdefinition mit Fokus auf Energie- und Klimapolitik vorgelegt: "Sufficiency policies are a set of measures and daily practices that avoid demand for energy, materials, land and water while delivering human wellbeing for all within planetary boundaries.
Transformationspfade Richtung Energiesuffizienz
Je nachdem, welche Theorie gesellschaftlichen Wandels zugrunde gelegt wird, können drei Transformationspfade in Richtung Energiesuffizienz unterschieden werden:
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Individuelle Konsumreduktion bedeutet, insgesamt weniger pro Kopf zu verbrauchen. Dies setzt gewisse Handlungskapazitäten voraus und ist im Sinne der Selbstverantwortung gut mit liberalen Freiheitsvorstellungen vereinbar. Jedoch ist das Potenzial dieses Ansatzes limitiert, weil eine massenhafte freiwillige Selbst-Deprivilegierung der globalen Mittel- und Oberschicht sehr unwahrscheinlich ist.
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Politikinstrumente verschiedener Eingriffstiefen können ins Spiel gebracht werden, um Suffizienz zu begünstigen, wie etwa Steuern und Anreize, Verbesserungen beziehungsweise Änderungen der vorhandenen Infrastruktur oder Regulierungen und Verbote. Dieser Pfad setzt einen starken Staat voraus, der jedoch um partizipative Verfahren ergänzt wird, um Suffizienzstrategien sowohl im Konsum als auch in der Produktion umzusetzen.
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Soziale Bewegungen betonen hingegen die Rolle von Macht und Interessen und hinterfragen das gegenwärtige System mit seinen Abhängigkeiten und Zwängen, häufig mit dem Ziel, einen grundsätzlichen Systemwandel herbeizuführen. Dabei orientieren sich soziale Bewegungen häufig an globalisierungs- und wachstumskritischen Ansätzen und zielen auf egalitäre, demokratische und ökologisch nachhaltige Wirtschafts- und Gesellschaftsformen, in denen ein bewussterer Umgang mit Energie und Ressourcen eine wichtige Rolle spielt.
Die Ziele sowohl möglicher Politikinstrumente als auch der sozialen Bewegungen implizieren, was auch die Klimaforschung nahelegt: Die Produktions- und Konsumlogiken müssen sich ändern. Von möglichst billig hin zu haltbar, langlebig, reparierbar. Auch der Wertewandel ist entscheidend: small is beautiful vs. immer größer, schneller, mehr
Bedeutung für die Klimapolitik
Deutschland will bis zum Jahr 2045 klimaneutral sein. Im Rahmen des Pariser Klimaabkommens soll die Erderwärmung auf maximal 2 Grad Celsius, besser 1,5 Grad Celsius begrenzt werden. Doch weder in Deutschland noch weltweit sind wir derzeit auf Zielkurs. Die Emissionen sinken nicht so schnell wie nötig beziehungsweise steigen weltweit, und auch der Endenergieverbrauch ist seit 1990 nicht wesentlich gesunken. In Anbetracht der Auswirkungen, die eine Verfehlung der Klimaziele mit sich bringen würde, müssen die Anstrengungen daher deutlich zunehmen. Der Ausbau der erneuerbaren Energien leistet einen wichtigen Beitrag dazu, allerdings kommt er absehbar an seine Grenzen: Wenn wir in den Bereichen Mobilität, Heizen und Industrie auf Strom aus erneuerbaren Energien umstellen, beispielsweise durch E-Autos und Wärmepumpen, brauchen wir 2050 deutschlandweit etwa die siebenfache Anlagenkapazität an Wind- und Solaranlagen von heute. Nur in Studien, die eine ambitioniertere Reduktion des Energieverbrauchs einbeziehen, sind die Ausbaupfade moderater (Abbildung 1). Umgekehrt kann man schlussfolgern: Je stärker die Energienachfrage sinkt, desto leichter kann ein vollständig auf erneuerbare Energien ausgerichtetes System umgesetzt werden.
Technologische Optionen versus Suffizienz
Eine weitere diskutierte Option ist, Technologien für Negativemissionen zu nutzen, beispielsweise Carbon Capture and Storage (CCS), also die Abscheidung und Speicherung von CO2 im Untergrund. Doch hier bestehen nicht nur hohe Unsicherheiten bezüglich der Kosten und der Marktreife, manche der verfügbaren Technologieoptionen sind zusätzlich sehr energieintensiv.
In seinem jüngsten Bericht macht der IPCC deutlich, dass nicht nur der Energieverbrauch an sich sinken muss, sondern auch die Aktivitäten, die Energie verbrauchen. Eine Verringerung des Energieverbrauchs durch reduzierte energieintensive Aktivität: Das ist Suffizienz. Diese Strategie ist in der Regel schnell, kosteneffizient und risikoarm, wie das Beispiel von Geschwindigkeitsbegrenzungen oder die Ausweisung autofreier Zonen zeigt. Solche nicht-technischen Optionen sind grundsätzlich mit weniger Umweltrisiken behaftet und deutlich kosteneffizienter als technologieorientierter Klimaschutz.
Zudem bezieht die Suffizienzstrategie die planetaren Grenzen per Definition mit ein und ist damit eine Lösungsoption, die zur Erreichung mehrerer gesellschaftlicher Ziele parallel beiträgt. Dies trifft nicht nur auf langfristige Ziele zu. Auch der aktuelle Fokus auf die Resilienz des Energiesystems – die Widerstandsfähigkeit gegen externe Schocks – verdeutlicht, dass Energiesparen ein Hauptpfeiler zur Energieunabhängigkeit ist
Energiesuffizienz konkret
Während die Notwendigkeit einer Integration von Suffizienzstrategien deutlich geworden ist, zeigt der folgende Abschnitt auf, wie Energiesuffizienz in der Praxis umsetzbar ist. Dazu blicken wir auf Langzeitszenarien für Deutschland, kurzfristige Krisenstrategien und weitere Einzelbeispiele. Die Beobachtung der (jüngeren) Vergangenheit zeigt: Suffizienz wird in der Energiepolitik, in Energieszenarien und -modellen immer ernsthafter diskutiert und einbezogen
Klimaneutralitätsstudien
Wie in Abbildung 1 gezeigt, ist die Senkung des Energieverbrauches eine Annahme der meisten Langfristszenarien für Deutschland. Vorwiegend wird davon ausgegangen, dass der Großteil der Verbrauchsminderungen durch Energieeffizienz erzielt wird. Das ambitionierteste Szenario "GreenSupreme" des Umweltbundesamtes bezieht Suffizienz mit ein. Es rechnet etwa damit, dass die Verkehrsleistung im Personenverkehr um fast 20 Prozent sinkt, die Automobilnutzung um etwa 35 Prozent zurückgeht, die durchschnittliche Pro-Kopf-Wohnfläche um ungefähr 9 Prozent und der Materialverbrauch pro Kopf um etwa 66 Prozent. Angenommen werden unter anderem eine Vermeidungsstrategie im Verkehrssektor durch eine Stadt der kurzen Wege und massive Änderungen im Mobilitätsverhalten, weniger Flugreisen (innerdeutsch ab 2050 keine mehr), eine mittlere Innentemperatur von 19 Grad Celsius, eine modulare Bauweise, der Umbau von Altbauwohnungen und Einfamilienhäusern oder auch die längere Nutzung von Elektrogeräten.
Solche optimistischen Studien sollen aufzeigen, wie Klimaneutralität erreicht werden kann, und dienen damit primär der Politikberatung. Die hier beschriebenen Maßnahmen sind in Europa jedoch bisher eher eine Seltenheit. In einer Analyse der offiziellen Strategien der EU-Mitgliedstaaten bis zum Jahr 2030 und bis zum Jahr 2050 konnte nachgewiesen werden, dass die Suffizienzstrategie im Gegensatz zu den Strategien Effizienz und Konsistenz unterrepräsentiert ist
Kurzfristige Suffizienzpolitiken
Um die Importabhängigkeit im Zuge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine zu reduzieren, geraten derzeit viele (EU-)Regierungen unter Druck, schnell Strom und vor allem Gas zu sparen. Das Ziel ist es, den Energiebedarf um 15 bis 20 Prozent zu reduzieren. Deutschland hat vor diesem Hintergrund immer mehr Politikinstrumente für Energiesuffizienz implementiert, diese allerdings teilweise befristet.
Im Zuge des Krieges in der Ukraine und der steigenden Energiepreise wird seit Langem wieder darüber nachgedacht, welcher Energiekonsum wirklich ein Grundbedürfnis und welcher eine unnötige Verschwendung ist. Es wird ferner darüber diskutiert, wie unsere derzeitigen Anreizsysteme funktionieren beziehungsweise eher nicht funktionieren: Bei einem hohen Energiekonsum bekommt man bislang einen Mengenrabatt in Form von vergünstigten Tarifen. Diese Praxis wird nun jedoch durch die Diskussion um den Strom- und Gaspreisdeckel infrage gestellt.
Viele Maßnahmen der Bundesregierung sind befristet. Um Energiesouveränität sowie die Klima- und Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, muss Energieeinsparung jedoch verstetigt werden, denn Klimaschutz darf – auch nach einem einschlägigen Verfassungsgerichtsurteil – nur sehr begrenzt auf nachfolgende Generationen verlagert werden
Reduktion des Energieverbrauchs
Um Vertreter*innen aus Politik, Wissenschaft und Gesellschaft Ideen beziehungsweise konkrete Politikinstrumente zur strukturellen und langfristigen Senkung des Energieverbrauchs gebündelt zur Verfügung zu stellen, haben wir zusammen mit dem Wuppertal-Institut und der Europa-Universität Flensburg, basierend auf Literaturrecherche und der Einschätzung von Expert*innen, eine Datenbank für Suffizienzpolitiken mit Fokus auf Deutschland und Europa aufgebaut (Tabelle). Die Datenbank wird kontinuierlich ergänzt.
Die Datenbank soll nach Möglichkeit noch mit Potenzialen in Bezug auf die Energie- und Emissionseinsparung erweitert werden. Klar ist, dass nachfrageseitige Optionen wie die bereits genannten einen signifikanten Beitrag zur Bekämpfung der Klimakrise leisten können. Der IPCC schätzt in seinem jüngsten Bericht, dass solche Maßnahmen die Treibhausgasemissionen global um 40 bis 70 Prozent bis 2050 reduzieren können. Verhaltensänderungen und der Umbau von Infrastruktur etwa für klimafreundliche Mobilität haben dabei einen großen Anteil. Hier bestehen deutschland- und europaweit einige bemerkenswerte Potenziale und Umsetzungsbeispiele wie die Verlängerung der Nutzungsdauer von nur vier Produktgruppen (TV, Notebooks, Smartphones und Waschmaschinen). Das könnte in Deutschland pro Jahr knapp 4 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Das ist so viel wie die Emissionen der Nutzung von 1,8 Millionen Pkw.
Rahmenbedingungen für Energiesuffizienz schaffen
Um energiesuffizientes Verhalten zu ermöglichen, steht eine breite Palette an Politikinstrumenten und Vorschlägen zur Verfügung. Jedoch sind passende Rahmenbedingungen für die Umsetzung essenziell: Zum einen braucht es finanzielle Anreize, denn energiesparendes Verhalten sollte günstiger sein als ein Verhalten mit hohem Energieverbrauch. Das bedeutet auch, dass bestehende Fehlanreize wie Subventionen für fossile Energieträger abgeschafft werden müssen. Zum anderen muss eine Infrastruktur gewährleistet werden, die nachhaltiges und energiesparsames Verhalten vereinfacht und zum Normalfall macht. Zudem braucht es eine Politik, die nicht vor Regulierungen zurückschreckt, sondern das Ordnungsrecht als zukünftige Gestaltungsoption stärker in Betracht zieht.
Die Chancen, die eine durchdachte Suffizienzpolitik bietet, können Anreiz sein, nicht nur kurzfristige Maßnahmen während einer Krise zu ergreifen, sondern eine langfristige Transformation hin zu einer suffizienzorientierten Gesellschaft anzustoßen. Die zuletzt ergriffenen Suffizienzmaßnahmen sollten verstetigt und in eine breitere Nachhaltigkeitsstrategie eingebettet werden, die neben den Klimazielen auch weitere ökologische und soziale Ziele enthält. So kann Krisenfestigkeit auch auf lange Sicht gewährleistet werden.
Der Artikel ist zuerst in der Zeitung APuZ am 11. November 2022 erschienen.
ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institutsbereich Energie & Klimaschutz in Berlin. Zu ihrer Expertise gehören die Evaluierung und Wirkungsabschätzung von Klimaschutzmaßnahmen, insbesondere von Suffizienzmaßnahmen sowie die Modellierung und Analyse von Emissionsentwicklungen. Benjamin Best ist Projektleiter am Wuppertal Institut und Co-Leiter der vom BMBF geförderten Nachwuchsforschungsgruppe Energiesuffizienz (EnSu). Er beschäftigt sich mit Fragen der Legitimität von Suffizienz und Policy Mixes.