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Das neue Lieferkettengesetz – ein Schritt nach vorne mit Verbesserungspotenzial

Dr. Peter Gailhofer fasst Vor- und Nachteile des deutschen Gesetzes zusammen und beleuchtet, wie die kommende EU-Richtlinie wirken könnte.

Im Januar 2023 tritt das deutsche „Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten“ in Kraft. Damit wird ein großer Schritt in die richtige Richtung gemacht – auch Deutschland hat nun ein Gesetz, das zeigt, dass deutsche Unternehmen Verantwortung für menschenrechtlich und ökologisch adäquate Lieferketten tragen. Für einen wirklich „großen Wurf“ fehlt es dem Gesetz aber noch an vielem. Dr. Peter Gailhofer fasst Vor- und Nachteile des deutschen Gesetzes zusammen und beleuchtet, wie die kommende EU-Richtlinie wirken könnte

Regelung wichtiger Menschenrechte in der Lieferkette

Mit dem Beginn des Jahres 2023 verpflichtet das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) große Unternehmen in Deutschland, sich an menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten für ihre Lieferketten zu halten. Das Gesetz soll beispielsweise für menschenrechtgemäße Arbeitsbedingungen entlang der Lieferkette sorgen, es soll Kinderarbeit verhindern und es müssen sich Gewerkschaften bilden können.

Das Gesetz erfasst Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitenden und ab 2024 Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitenden. Dazu zählen auch Unternehmen, die in Deutschland eine entsprechend große Niederlassung haben.

Unternehmerische Sorgfaltspflicht heißt vor allem: Unternehmen müssen eine betriebsinterne Zuständigkeit für Umwelt und Menschenrechte in der Sorgfaltspflicht festlegen, ein Risikomanagement einrichten, Risiken analysieren und priorisieren, ihre Maßnahmen dokumentieren und über all das öffentlich Bericht erstatten. Sorgfaltspflicht heißt aber auch, dass Risiken und Rechtsverletzungen, wo sie von den Unternehmen gesehen werden, so gut wie möglich gemindert oder beendet werden. Ob Unternehmen ihren Sorgfaltspflichten genügen, entscheidet sich daran, wie wahrscheinlich und schwerwiegend Risiken und Rechtsverletzungen sind und inwieweit die Unternehmen effektiv eingreifen können.

Das Gesetz kontrolliert und setzt das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) durch. Dort können auch Beschwerden gegen Gesetzesverstöße eingereicht werden

Defizite bei umwelt- und klimabezogenen Sorgfaltspflichten

Vor allem bei den umweltbezogenen Sorgfaltspflichten greift das Gesetz viel zu kurz. Zwar lässt sich seit dem „Klimabeschluss“ des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz nicht mehr leugnen, dass Umwelt- und Klimaschutz auch die Grund- und Menschenrechte betreffen. Auch dann, wenn entsprechende Verletzungshandlungen im Ausland stattfinden. Einige der zu beachtenden menschenrechtlichen Risiken – zum Beispiel Verstöße gegen das Verbot einer schädlichen Bodenveränderung oder Luftverunreinigung – sind auch ganz offensichtlich aus Umweltsicht relevant. Allerdings ist das nach dem Gesetz eben nur der Fall, wenn durch solche Risiken gleichzeitig auch Menschen gefährdet werden, beispielsweise in ihrer Gesundheit, oder ihren Nahrungsgrundlagen. Ein Vorgehen der Unternehmen gegen „reine“ Umweltrisiken verlangt das Gesetz nur sehr bruchstückhaft, indem auf einzelne internationale Umweltverträge verwiesen wird.  

Solche Lücken kritisieren Umweltverbände und Menschenrechtsaktivist*innen zurecht. Sie hätten zumindest auch weniger gravierend ausfallen können: In einer Reihe von Studien unter Leitung des Öko-Instituts wurde gezeigt, dass sich umfassende umweltbezogene Pflichten gut in ein Lieferkettengesetz integrieren lassen.

Der Gesetzgeber hätte beispielsweise

  • bei umweltgefährdenden Stoffen und Herstellungsmethoden mehr tun können,

  • Umweltbeeinträchtigungen generell als zu vermeidendes Risiko betrachten können und somit deutlich machen, dass er die globalisierte Wirtschaft insgesamt nachhaltiger ausrichten möchte.

Ebenfalls zurecht wird kritisiert, dass das Gesetz, anders als in ersten Entwürfen vorgesehen, keine Haftungsregelung enthält

Bemühenspflichten statt starrer Vorgaben

In den vergangenen Wochen wurde vor allem viel Kritik von Unternehmensseite laut: Sie beschweren sich über den Erfüllungsaufwand und meinen, dass nicht klar sei, was im Hinblick auf ihre Lieferketten von ihnen erwartet wird. Diese Kritik ist nur schwer nachzuvollziehen. Einerseits hatten die Unternehmen einige Zeit zur Vorbereitung auf das Gesetz (seit dem 16. Juli 2021 in Kraft) und andererseits sind alle vorhergehenden Versuche (unter anderem durch den ehemaligen Wirtschaftsminister Altmaier), auf eine freiwillige Umsetzung und Einhaltung von Sorgfaltspflichten durch die deutsche Wirtschaft zu setzen, krachend gescheitert.

Die relative Vagheit des Gesetzes liegt in der Natur der Sache: die Unternehmen sollen in unterschiedlichsten Branchen und Regionen die Stellschrauben identifizieren und nutzen, um Menschenrechte und Umwelt effektiv zu schützen. Solchen komplexen Sachverhalten kann der Gesetzgeber häufig nur durch sehr offene Regelungen gerecht werden – das LkSG regelt die Sorgfaltspflichten ganz weitgehend sogar als eine sogenannte Bemühenspflicht. Das heißt, es geht bei Sorgfaltspflichten nicht um ein „ganz oder gar nicht“ der Einhaltung, sondern die Unternehmen müssen sich in angemessenem Umfang bemühen, Rechtsverletzungen abzustellen. Damit wird eben dem Umstand Rechnung getragen, dass die Schwere dieser Rechtsverletzungen und die Möglichkeiten, diese zu vermeiden, ganz unterschiedlich aussehen können.

Wie sich der gesetzliche Maßstab eines „angemessenen“ Bemühens in konkrete Maßnahmen der Unternehmen übersetzt, wird sich im Laufe der Zeit in der Praxis der Unternehmen und der Vollzugsbehörde zeigen. Das BAFA hat soeben eine erste Handreichung zu genau dieser Frage herausgegeben. Bis dahin, das lässt sich jüngeren Äußerungen der Behörde und auch politischen Reaktionen auf die Kritik der Wirtschaft entnehmen, wird der Mangel an klaren Regeln eher zu einer weniger strengen Auslegung und Durchsetzung des Gesetzes führen, als dass er zulasten der Unternehmen geht

Klare Regeln helfen Unternehmen und der Umwelt

Der offene Ansatz des Gesetzes ergibt Sinn, solange und soweit es noch keine eindeutigen und anerkannten Standards dazu gibt, wie sich Unternehmen hinsichtlich ihrer Lieferketten verhalten sollen. Wo solche Standards dagegen anerkannt sind, profitieren die Umsetzbarkeit des Gesetzes und auch Umwelt- und Menschenrechte davon, wenn der Gesetzgeber diese als verbindlich regelt. Gerade die umweltbezogenen Pflichten hätten viel Potenzial gehabt: So hätte das LkSG, im Sinne des Klimabeschlusses des BVerfG und des Übereinkommens von Paris, konkrete klimaschutzbezogene Vorgaben für Unternehmen machen können, indem es Anforderungen an die Erfassung, Berechnung und Reduktion von CO2-Emissionen in unternehmerischen Lieferketten regelt. Klare Regeln und eine kluge Haftungsregelung hätten außerdem eine weitere, weit verbreitete Sorge der Unternehmen adressiert: Seit sich Klimaklagen auch gegen Unternehmen häufen und – wie im Beispiel des niederländischen Shell-Urteil – auch erfolgreich sind, sind sich viele Unternehmen unsicher, wie sie ihre Haftungsrisiken vermindern können. Die Regelung klimaschutzbezogener Sorgfaltspflichten hätte hier zur Rechtssicherheit beigetragen

Großes Potenzial einer Regelung auf Ebene der EU

Das deutsche Lieferkettengesetz ist ein großer Schritt nach vorne, darf mit Blick auf die genannten Lücken gerade aus Umweltsicht aber nicht das letzte Wort bleiben. Momentan verhandelt die EU eine Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen, die in dieser Hinsicht womöglich einiges besser machen wird. Ein Entwurf der EU-Kommission wurde im vergangenen Jahr veröffentlicht, mittlerweile liegen auch die Kompromissvorschläge des EU-Parlaments und des Rats der Europäischen Union vor.

Eine EU-Richtlinie hat ein großes Potenzial für eine effektive Veränderung von Unternehmenspraktiken in der globalisierten Wirtschaft durch das ökonomische Gewicht der Europäischen Union. Sorgfaltspflichten europäischer Unternehmen für ihre Lieferketten können effektiv dazu beitragen, dass sich auch Produzenten im Ausland an Umweltstandards und Menschenrechte halten. Ob die Richtlinie solchen Erwartungen gerecht wird, bleibt abzuwarten: Zunächst beraten die Kommission, das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union im Trilog-Prozess. Nach Abschluss der Verhandlungen und Verabschiedung der EU-Richtlinie muss sie in nationales Recht gegossen werden.

Auch wenn die Einzelfragen noch nicht abschließend geklärt sind, sind viele der absehbaren Regelungen zu begrüßen. Neben einigen anderen Unterschieden zum deutschen Gesetz, beispielsweise dem erweiterten Geltungsbereich gegenüber (etwas) kleineren Unternehmen, regelt die Richtlinie immerhin gewisse klimabezogene Pflichten der Unternehmen. Bezüglich Inhalt und „Biss“ dieser Pflichten bestehen erhebliche Unterschiede zwischen den Vorschlägen – schon diese Debatte ist aber ein Fortschritt. Zudem beinhaltet der Entwurf einen Haftungsmechanismus. Die Betroffenen von Umweltschäden oder Menschenrechtsverletzungen könnten besser als bisher vor europäischen Zivilgerichten Schadensersatz einklagen. Solche Klagen können, (darüber hat das Öko Institut gemeinsam mit Partnern gerade eine umfassende Studie veröffentlicht), positive Auswirkungen auf den Umweltschutz im Ausland haben

Lockerungen durch „Safe Harbour“ Regelung?

Im Oktober berichtete das ARD-Magazin Monitor darüber, dass Deutschland den Haftungsmechanismus in der EU-Richtlinie aufweichen möchte, indem eine sogenannte „Safe Harbour-Regelung“ eingebracht wird. Damit sollen Unternehmen ihre Haftung weitgehend ausschließen können, wenn sie bestimmte Zertifikate besitzen und sich an Branchenstandards halten.

Ein solcher Haftungsausschluss hat bisher keinen Eingang in die EU-Entwürfe gefunden. Das sollte auch so bleiben: Zertifikate und Branchenstandards sind in ihren inhaltlichen Anforderungen oft zu wenig ambitioniert. Außerdem sind sie häufig nicht vertrauenswürdig genug, um mit ihnen einen Haftungsausschluss zu vermitteln. Man kann (auch dazu hat das Öko-Institut geforscht) private Audits und Zertifikate sinnvoll in eine Lieferkettenregulierung integrieren, sollte sich aber zuallererst über Regeln und Anreize Gedanken machen, um die Verlässlichkeit solcher Instrumente sicherzustellen. Eine pauschale „Safe-Harbour“ Regelung würde die Idee unternehmerischer Sorgfaltspflichten, dass die Unternehmen sich wirklich selbst „angemessen darum bemühen“, Risiken in ihren Lieferketten für Umwelt und Menschenrechten abzumildern, dagegen ad absurdum führen

Fazit

Mit dem deutschen Lieferkettengesetz ist ein bedeutender Schritt getan – doch es bleibt weiterhin viel zu tun. Die EU-Richtlinie bietet jetzt die Möglichkeit, deutlich über das deutsche Gesetz hinauszugehen und einige seiner Lücken, gerade mit Blick auf Umwelt und Klima, zu füllen. Ob das gelingt, bleibt abzuwarten.

Dr. Peter Gailhofer ist Senior Researcher im Bereich Umweltrecht und Governance. Der Rechtsanwalt ist Experte für transnationales Umweltrecht und Regulierung und arbeitet am Standort Berlin.

Weitere Informationen

Podcast „Wenden bitte!" mit Dr. Peter Gailhofer: „Wie stark ist das Lieferkettengesetz?"

Gutachten „Haftungsrechtlicher Rahmen von nachhaltiger Zertifizierung in textilen Lieferketten“ des Öko-Instituts und Prof. Dr. Carola Glinski (Universität Kopenhagen)

Meldung „Sorgfaltspflichten für den Klimaschutz im künftigen Lieferkettengesetz“

Sammelband „Corportate Liability for Transboundary Environmental Harm. An International and Transnational Perspective“ herausgegeben von Peter Gailhofer, David Krebs, Alexander Proelss, Kirsten Schmalenbach und Roda Verheyen

Studie „Umweltbezogene und menschenrechtliche Sorgfaltspflichten als Ansatz zur Stärkung einer nachhaltigen Unternehmensführung“ des Öko-Instituts

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