#ecotranslator_2: Bio- oder Öko-Landbau? Biodynamic, organic?
Christopher Hay
So manches harmlos daherkommende Wort erweist sich als unerwartet widerborstig bei der Übersetzung in eine andere Sprache. Diese Blogreihe unternimmt eine Reise durch die sprachliche Landschaft der Arbeit des Öko-Instituts. Dabei werde ich stets bemüht sein, begriffliche Sümpfe nicht etwa durch Standardisierung trockenzulegen. Vielmehr will ich versuchen, diese schützenswerten Feuchtgebiete im Reiz ihrer Eigenart und Vielfalt wahrzunehmen. Für das Über-Setzen gilt es, das Moor so zu durchqueren, dass die am deutschsprachigen Rand eingepackten Inhalte am englischsprachigen Rand mit äquivalenter Bedeutung aus dem Rucksack gepackt werden können. Viele Lesende dieser Blog-Reihe werden ihre Texte direkt im Englischen verfassen. Auch für sie mag es wertvoll sein zu bedenken, welchen Wandel ihre Wörter beim Ein- und Auspacken erfahren können.
Wir haben uns daran gewöhnt, dass die umweltschonende Produktion von Lebensmitteln und die artgerechte Haltung von Tieren mal Biolandbau, mal Ökolandbau genannt wird. Wir stören uns nicht weiter daran, dass Produkte, die ein Bio-Siegel tragen, dabei die Öko-Kontrollstelle angeben. Dass „Bio“ die ganze Branche bezeichnet, während der Spitzenverband in Deutschland der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) heißt, gehört zu den kleinen Ungereimtheiten des Alltags. Nehmen wir jedoch in unserem Bioladen ein Produkt des Demeter-Anbauverbands in die Hand, ist dieses als biologisch-dynamisch, das daneben stehende Produkt des Bioland-Verbands als organisch-biologisch gekennzeichnet.
Ist das auch alles identisch – oder doch nicht? Und wie sieht’s im Englischen aus?
Um dieses Begriffsgeflecht zu entwirren, hilft es, zu den Ursprüngen zurückzugehen. Im deutschsprachigen Raum lassen sich drei wesentliche Entwicklungsstränge herausschälen:
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Zunächst entstand aus der vielfältigen Lebensreform-Bewegung heraus in den 1920er Jahren die Idee eines natürlichen Landbaus, auf biowissenschaftlichen Erkenntnissen basierend und eine naturgemäße Lebensweise anstrebend. Ebenfalls aus der Lebensreform-Bewegung stammen die Reformhäuser (healthfood shops). Der erste Laden mit diesem Titel wurde im Jahr 1900 in Wuppertal eröffnet. Die englische Bezeichnung healthfood gibt den Fokus auf persönliche Lebensweise und Gesundheit wieder, der die Reform-Bewegung kennzeichnet.
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Parallel dazu hielt Rudolf Steiner, der Begründer der Anthroposophie, im Jahr 1924 eine Vortragsreihe mit dem Titel „Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Gedeihen der Landwirtschaft“ auf einem Gut bei Breslau. Die Anthroposophen fackelten nicht lange: Im selben Jahr wurde ein Versuchsring gegründet, 1928 das Markenzeichen „Demeter“ eingeführt, und schon war die biologisch-dynamische (biodynamic) Wirtschaftsweise geboren, mit einem Fokus auf dem Betriebsorganismus und kosmischen Einflüssen. Die schon vorhandenen Reformhäuser wurden Absatzkanäle biologisch-dynamischer Produkte.
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Der dritte Strang entstand in den 1940er bis 1950er Jahren aus der schweizerischen Bauernheimatbewegung. Von den Ideen der Lebensreform-Bewegung befruchtet und moderne Erkenntnisse der Bodenbiologie nutzend, strebte diese Bewegung die Bewahrung der bäuerlichen Lebensweise in einer industrialisierten Welt an. Sie entwickelte die organisch-biologische Landwirtschaft, welche in den 1960er auch in Deutschland Fuß fasste.
1971 kam es in Deutschland zur Gründung des organisch-biologischen Anbauverbands Bioland, der seine Produkte mit „aus org.-biol. Anbau“ kennzeichnet. In dieser Zeit wurden die ersten Naturkostläden oder Bioläden (wholefood shops) gegründet. Andere deutsche Anbauverbände verwiesen in ihren Namen weiterhin auf die Ideen des natürlichen (natural) Landbaus und der naturgemäßen (naturalistic) Lebensweise der Lebensreform-Bewegung, so etwa „Naturland, Verband für naturgemäßen Landbau“.
In England hingegen wurden die Grundlagen durch das Botaniker-Ehepaar Gabrielle und Albert Howard gelegt, die zunächst in Indien in den 1920er Jahren wissenschaftliche Ansätze mit traditionellen Methoden verbanden. Sie kehrten in den 1930ern nach England zurück und begannen entsprechende Anbausysteme zu popularisieren – Entwicklungshilfe für das Industrieland.
Auch das Wirken der Anthroposophen war in England nicht unbemerkt geblieben: 1928 erschien eine Übersetzung von Steiners Vortragsreihe, und biodynamic farming wurde aufgenommen.
1940 veröffentlichte Lord Northbourne sein Manifest „Look to the Land“, worin er den Begriff organic farming prägte. Northbourne war von den Methoden der Howards und den Ideen der Anthroposophen sowie der Lebensreform-Bewegung beeinflusst. Albert Howard nahm daraufhin den Begriff organic farming auf und sorgte mit seinen Veröffentlichungen dafür, dass er weite Verbreitung fand.
So entstand durch die relative Geschlossenheit der britischen Bio-Bewegung und das Fehlen regionaler Sonderwege (siehe die Bauernheimatbewegung der Schweiz) eine frühe Einigung auf den Begriff organic – neben biodynamic, der, wie auch biologisch-dynamisch im deutschsprachigen Raum, ein starkes Eigenprofil durch eigenständige Organisationsstrukturen bewahrte.
Einen kleinen Kniff finden wir jedoch im tieferen Verständnis des Wortes „organic“, so wie es von Howard und seinen Nachfolgern einerseits und dem biodynamic movement andererseits verwendet wird. Howard et al., und somit die organic movement, meinen damit die Nutzung organischer Stoffe aus pflanzlichem Kompost und tierischem Dung, um den Humusgehalt des Bodens zu verbessern. Dieser starke Fokus auf den Boden findet seinen Widerhall im Namen des britischen Anbauverbands: Soil Association.
Im Kontext von biodynamic farming jedoch meint „organic“, dass ein bäuerlicher Betrieb ein lebendiger Organismus ist – ein Betriebsorganismus (the farm as an organic whole).
1972 gründete sich die International Federation of Organic Agriculture Movements (IFOAM). In ihren Basis-Richtlinien führt die IFOAM ganz diplomatisch aus, dass alle Benennungen gemeint und erlaubt sind – und stellt klar, dass es nicht um die organische Chemie (organic chemistry) geht!
„Organic: In this text the word refers to the particular farming system described in these standards, and not to the meaning used in chemistry. The term organic is equivalent to synonyms in other languages such as biological or ecological.“
[IFOAM Basic Standards 1996, „Definition of terms“, p. 5]
Ein Jahrhundert nach den Pionierleistungen und trotz des Bemühens um Abgrenzung seitens des biologisch-dynamischen Landbaus, wird in Statistiken biodynamics als Untermenge von organics ausgewiesen. Die Zahlen für Biolandbaufläche (organic acreage) schließen jene für biologisch-dynamisch bewirtschaftete Flächen (biodynamically managed land) ein.
Christopher Hay übersetzt seit 35 Jahren für das Öko-Institut und andere Auftraggeber Texte zu klimapolitischen Themen vom Deutschen ins Englische. Über die Jahre hinweg hat Hay sein Wissen über die Herkunft und Bedeutung von Vokabeln der Umwelt- und Entwicklungspolitik auf etwa 10.000 Seiten festgehalten. In seiner Blogreihe teilt er sein Wissen, um Bedeutungsunterschiede zu verdeutlichen.
Lesen Sie hier das Porträt von Christopher Hay im Online-Magazin eco@work