Ein Berg weicher Schaum
Nach konservativen Schätzungen wiegt der Berg ausgemusterter Matratzen hierzulande jährlich 165.400 Tonnen, der Großteil aus der privaten Nutzung. „Man kann davon ausgehen, dass das Gewicht in der Realität sogar etwas höher ist. Genaue Zahlen haben wir aber nicht – denn Altmatratzen werden in allen Statistiken unter der allgemeinen Rubrik Sperrmüll geführt“, sagt Andreas Manhart, Senior Researcher am Öko-Institut.
Qualität hilft auch bei Rücken
Wir verbringen einen beträchtlichen Anteil unserer Lebenszeit auf Matratzen – im Durchschnitt schlafen die Deutschen 24 Jahre ihres Lebens. Wer da keine gute Unterlage hat, bekommt schnell mal Rückenschmerzen, fast ein Drittel der Bevölkerung war damit allein im Jahr 2021 in Behandlung. „Mindestanforderungen an Qualität und Haltbarkeit könnten auch einen Beitrag für einen gesunden Rücken leisten. Und natürlich gleichzeitig die Lebens- und Nutzungsdauern erhöhen und damit die Umwelt entlasten.“ Es gibt sogar schon eine Prüfnorm, die auf einem so genannten Dauerwalzversuch basiert.
Reinigen ist nicht so schwer
100 Tage lang kann eine Matratze nach dem Kauf zurückgegeben werden. Die Matratze, die dann wieder beim Hersteller landet, wird aber leider immer noch zu oft ungenutzt entsorgt. Reinigen, Hygienisieren und Wiederverkauf sollten hier zum Standard werden.
Das wird verwertet
Aus abfallwirtschaftlicher Sicht ist der Matratzenstrom durchaus relevant. Denn sie sind relativ einfach aufgebaut – die meisten Matratzen bestehen aus Polyurethan-Schaum und textilen Bezügen – und es fallen große Mengen an. Nur ein sehr kleiner Teil wird jedoch aus der Sperrmüllsammlung aussortiert und in seine Hauptmaterialien zerlegt, damit diese recycelt werden können. Dabei wird der Polyurethan-Schaum verflockt und zu sogenannten Rebonding-Produkten wie Teppichunterseiten verpresst. „Es macht aber keinen Sinn, alle Altmatratzen zu Dämmplatten, Teppichböden und Turnmatten zu verarbeiten. Dafür ist die Nachfrage nach diesen Produkten viel zu gering.“ Altmatratzen werden zudem meist zusammen mit Sperrmüll gesammelt, gelagert und transportiert – es gibt keine hochwertige Sammlung und daher auch so gut wie keine Recyclinganlagen.
Die anderen machen es schon
Anders sieht es in Belgien, Frankreich und den Niederlanden aus. Dort gibt es gesetzliche Regeln, die die Hersteller verpflichten, Altmatratzen zu sammeln und zu recyceln. Die Sammel- und Recyclingziele werden über die Jahre angehoben, so dass genug Zeit für den Aufbau der nötigen Strukturen bleibt. Und obwohl diese Systeme erst wenige Jahre alt sind, sind bereits positive Wirkungen messbar. In Flandern etwa wurden 2021 insgesamt 5.591 Tonnen Matratzen gesammelt und 5.146 Tonnen verarbeitet. „Diese Systeme stoßen neben der Umstellung der Sammlung auch Investitionen in Anlagen an, die alte Polyurethan-Schäume mit neuen Verfahren recyceln.“
Ein Verfahren aus Deutschland
In Deutschland widmet sich unter anderem das Unternehmen H&S Anlagentechnik aus dem niedersächsischen Sulingen der Entwicklung solch neuer Verfahren. H&S hat ein chemisches Verfahren entwickelt, das geschredderte Weichschäume zu recyceltem Polyol umwandelt. „Hierfür werden vereinfacht gesagt in einem Reaktorgefäß unter hohen Temperaturen neues Polyol und geschredderte Polyurethan-Weichschaum-Reste mit Chemikalien vermischt, dann gekühlt und gefiltert“, erklärt Mila Skokova, stellvertretende Geschäftsführerin Vertrieb bei H&S, die dort auch die Forschung und Entwicklung koordiniert.
Damit der Prozess gut funktioniert, sollten die gebrauchten Matratzen möglichst trocken und sauber sein. „Organische Verschmutzungen sind kein Problem, da diese bei den hohen Temperaturen zerstört werden. Flüssigkeit jedoch stört das Verfahren, weil durch sie sehr viel Dampf entsteht. Das Ausgangsmaterial besteht zudem zwangsläufig aus verschiedenen Schaummischungen, die sich aus den unterschiedlichen Matratzenschichten und -typen ergeben. Die Gemische lassen sich gemeinsam recyceln.“ Es wäre jedoch einfacher, so die stellvertretende Geschäftsführerin, wenn Matratzen aus nicht allzu vielen miteinander verklebten Schichten bestehen, denn diese sind schwer voneinander zu trennen. „Das wäre ein guter Ansatzpunkt fürs Ökodesign.“ Bislang können 30 bis 40 Prozent des gewonnenen Materials in neuen Matratzen eingesetzt werden. „Mehr geht derzeit nicht, weil sonst die Elastizität zu gering ist. Wir forschen aber weiter, wie der Recyclinganteil erhöht werden kann.“
Im großen Stil durchsetzen
Wer denkt, dass Matratzenhersteller und -vertreiber vom Recycling nichts wissen wollen, der irrt. „Die Herausforderung einer Kreislaufwirtschaft sind hier bekannt und es gibt eine große Zustimmung für verpflichtende Sammel- und Recyclingziele“, sagt Andreas Manhart. So setzten sich IKEA und der Fachverband Matratzen Industrie e.V. für ein verbindliches System der erweiterten Herstellerverantwortung ein. „Die notwendigen Veränderungen bei Sammlung und Verwertung können nur im Verbund wirksam angegangen werden – freiwillige Ansätze weniger Akteur*innen haben nur eine begrenzte Wirkung, führen zu einer ungleichen Marktsituation und dazu, dass sich neue Recyclingverfahren hierzulande nicht in größerem Stil durchsetzen können“, so der Wissenschaftler vom Öko-Institut.
Andreas Manhart ist Senior Researcher im Bereich Produkte & Stoffströme des Öko-Instituts. Sein Forschungsschwerpunkt liegt unter anderem auf Circular Economy, Abfallwirtschaft und Recycling. Mila Skokova ist als stellvertretende Geschäftsführerin Vertrieb bei H&S Anlagentechnik tätig. Sie koordiniert dort auch die Forschung und Entwicklung zum Matratzenrecycling.
Weitere Informationen
Präsentation: Was tun mit Matratzen? Herstellerverantwortung, Produktdesign, Recycling
Kurzstudie: Recycling von Matratzen in Deutschland
Themenseite auf der Website des NABU: NABU fordert Herstellerverantwortung für Matratzen
Themenseite auf der Website von H&S Anlagentechnik: Recyclingreaktoren für PU-Reststoffe