Ein neues Wohlstandsverständnis: Mehr Lebensqualität statt mehr Konsum
Im Rahmen des Spendenprojekts „Circular Economy: Aufruf und Vorschläge zur zirkulären Wirtschaft“ des Öko-Instituts will die Forschungsgruppe herausfinden, wo derzeit die größten Hemmnisse für eine echte Kreislaufwirtschaft liegen. Das vierte Brennglas beschäftigt sich mit dem Konsumverhalten von Verbraucher*innen. Was können verschiedene Akteursgruppen tun, um unseren Konsum zu verändern? Clara Löw und Katharina Hurst gehen in diesem Beitrag der Frage nach und stellen Handlungsmöglichkeiten vor.
Gemeinsam ein neues Konsumverständnis etablieren
Viele wissen um die planetaren Grenzen und dass wir sie in einigen Fällen schon überziehen. Menschen in Deutschland verbrauchten im Jahr 2019 30 Prozent mehr Ressourcen als der globale Durchschnitt. Lebten alle wie die Menschen in Deutschland, befänden wir uns noch weiter außerhalb der planetaren Grenzen, wir bräuchten drei Erden. Aber: Was bedeutet es, innerhalb der planetaren Grenzen zu leben? Wie würde sich diese Prämisse auf das Konsumverhalten einer einzelnen Person auswirken? Da wir nur eine Welt haben, ist die Konsequenz: Wir brauchen ein Umdenken, einen Bewusstseinswandel.
Durch steigende Materialeffizienz und technologischen Fortschritt ist es zwar gelungen, dass unsere Wirtschaft wächst, ohne dass der Rohstoffbedarf in gleichem Maße ansteigt. Doch der Ressourcenverbrauch ist – wie die Zahlen oben zeigen – trotzdem viel zu hoch. Effizienzmaßnahmen allein werden das Problem daher nicht lösen. Lassen wir uns darauf ein, dass wir eine andere Lösung brauchen: Was ist dafür erforderlich? Das oberste Ziel muss sein, dass wir dauerhaft einen Lebensstil leben, der weniger Ressourcen verbraucht als heute. Schnell wird dann über das Leihen, Teilen und ähnliche Nutzungskonzepte geredet. Diese haben ihre Berechtigung und leisten ihren Beitrag, über sie zu berichten, kratzt allerdings nur an der Spitze des Eisbergs. Wir könnten an dieser Stelle noch einmal die Hintergründe der Sharing-Thematik beleuchten, Voraussetzungen für positive Umweltwirkungen bei zirkulären Geschäftsmodellen thematisieren oder die fehlende Marktfähigkeit von zirkulären Geschäftsmodellen erneut erklären (siehe dazu unseren Blogbeitrag „Zirkuläre und nachhaltige Wirtschaftsmodelle können noch nicht wirtschaftlich arbeiten“). Was wir aber wirklich brauchen, ist eine gesamtgesellschaftliche Konsumwende. Deswegen werden an dieser Stelle Anregungen gegeben, wie sie von verschiedenen Akteuren angestoßen werden kann.
Wer fängt damit an umzudenken? – Die Rolle der Politik
Der Übergang zu einer umfassenden Circular Economy ist eine tiefgreifende Veränderung und passiert nicht von allein, sondern muss gesteuert werden. Wir gehen nicht davon aus, dass Verbraucher*innen über die Nachfrage und politische Meinungsäußerung diese Veränderung allein steuern könnten. Sie brauchen einen Anreiz, sodass Veränderung nicht Mehraufwand bedeutet sondern selbstverständlich ist. Die wissenschaftlichen Studien zeigen, dass sich „von allein“ bzw. nur aufgrund veränderter Nachfrage keine Gesellschaft wandelt, stattdessen ist es die Politik, die hier eingreifen, steuern und die passenden Rahmenbedingungen schaffen muss. Und auch Unternehmen richten ihre Investitionen nach richtungsweisenden politischen Entscheidungen aus.
Die Rolle der Politik beim Übergang zu einem nachhaltigen Konsumverhalten, haben wir im Fact-Sheet „Ein neues Konsumverhalten etablieren“ dargelegt: Es ist wichtig, dass die Politik die Rahmenbedingungen so setzt, dass einerseits planetare Grenzen respektiert werden, dass andererseits sichergestellt ist, dass umweltfreundliches Verhalten für Verbraucher*innen so einfach wie möglich wird, z.B. durch guten öffentlichen Nahverkehr, das Verhindern von Greenwashing oder gute Rücknahmesysteme für beispielsweise Elektroaltgeräte, Sperrmüll usw. Weiterhin muss die Politik dafür Sorge tragen, dass die Bevölkerung bei diesem Vorhaben mitgenommen und beteiligt wird. Durch gute Kommunikation, Kooperationen und geschickte Bündelung von Maßnahmen kann die Akzeptanz der Konsumwende erhöht werden. Nicht zuletzt muss Politik auch einen Diskurs darüber anstoßen, was ein gutes Leben eigentlich ausmacht – brauchen wir dafür immer mehr Konsum oder welche Dinge machen ein lebenswertes Leben aus? Bin ich glücklicher, wenn ich neue Klamotten von meiner Lieblingsonlineplattform bestelle oder wenn ich Zeit mit Freund*innen verbringe? Genieße ich es, mit Familien oder Freund*innen Selbst-Gekochtes zu Abend zu essen oder mir etwas Schnelles und Verpacktes liefern zu lassen?
Wie zivilgesellschaftliche Akteure, Unternehmen, Wissenschaft und Medien-Aktive zu einer Konsumwende beitragen können
Obwohl zuerst die Politik in der Verantwortung steht, kann ein Wandel des Konsumverhaltens nicht gelingen, wenn nicht gleichzeitig auch viele andere Akteure aktiv werden und auf ein Umdenken hinarbeiten. Parteien, Unternehmen, NGOs, Medien, Wissenschaftler*innen, Social-Media-Expert*innen und Einzelpersonen können und müssen einen wichtigen Beitrag leisten.
Bezogen auf Konsumgüter kann Qualität statt Quantität befreiend wirken und sogar Geld sparen. Die gemeinsame Nutzung von Gütern, z.B. durch Nachbarschaftsinitiativen wie Nebenan.de oder Urban Gardening, kann zu mehr Gemeinschaft führen. Steigende Kosten in bestimmten Bereichen können durch sozialpolitische Flankierung abgemildert werden. Wenn man nicht „immer mehr“ und „immer schneller“ Leistung erbringen muss, sinken Stresslevel und die freie Zeit für Freund*innen, Familie und Hobbys steigt. Kurzum: Ein Leben innerhalb planetarer Grenzen ist möglich, lebenswert und gibt auch unseren Kindern und Enkel*innen die Chance auf ein solches!
- Thema sichtbar machen: Erst einmal geht es darum, unser aktuelles Konsumverständnis zu reflektieren und das Thema Suffizienz öffentlich zu machen, es in das tägliche Leben zu bringen. Wir verstehen unter Suffizienz „Änderungen in Konsummustern, die helfen, innerhalb der ökologischen Grenzen der Erde zu bleiben, wobei sich Nutzenaspekte des Konsums ändern“. Ein Beispiel wie Suffizienz sinnvoll angewandt wird, sind Wohngemeinschaften, wo Vieles aus dem Hausstand und Wohnraum geteilt wird.. Da Veränderungen für Menschen herausfordernd sind, ist es wichtig, das Thema passend für unterschiedliche Wissensstände darzustellen, z.B. brauchen Einsteiger*innen in das Thema eine andere Ansprache als solche, die bereits umweltbewusst konsumieren.
- Ein positives Bild der Zukunft zeichnen: Nachhaltige und ressourcenschonende, zirkuläre Lebensstile werden oft mit Verboten und Verzicht assoziiert, nachhaltiger Konsum wird als zu schwierig und zu teuer empfunden. Das Verändern von Gewohnheiten stellt nach diesem Narrativ eine Zumutung, einen Zwang und eine Beschneidung der individuellen Freiheit dar. Es entsteht der Eindruck, dass ein nachhaltiges Leben nicht lebenswert sei und eine „Rückkehr zum einfachen Leben“ darstellt. Als Alternative wird die Möglichkeit präsentiert, dass „alles bleibt, wie es ist“. Ein solches Narrativ ist erstens nicht korrekt, denn ein „Weiter wie bisher“ wird durch das Überschreiten der planetaren Grenzen starke Auswirkungen auf unser Leben haben. Zweitens ist es nicht hilfreich, denn es motiviert nicht zum Handeln und es übersieht die Vorteile, die suffizientere Lebensstile mit sich bringen können.
Akteure sollten stattdessen ein positives Narrativ des Lebens innerhalb planetarer Grenzen zeichnen und stärken, beispielsweise:
- Eine intakte Natur als Aufenthalts- und Erholungsraum,
- saubere Luft,
- gesündere Lebensmittel und
- mehr Gerechtigkeit, auch global gesehen.
Bezogen auf Konsumgüter kann Qualität statt Quantität befreiend wirken und sogar Geld sparen. Die gemeinsame Nutzung von Gütern, z.B. durch Nachbarschaftsinitiativen wie Nebenan.de oder Urban Gardening, kann zu mehr Gemeinschaft führen. Steigende Kosten in bestimmten Bereichen können durch sozialpolitische Flankierung abgemildert werden. Wenn man nicht „immer mehr“ und „immer schneller“ Leistung erbringen muss, sinken Stresslevel und die freie Zeit für Freund*innen, Familie und Hobbys steigt. Kurzum: Ein Leben innerhalb planetarer Grenzen ist möglich, lebenswert und gibt auch unseren Kindern und Enkel*innen die Chance auf ein solches! - Den Wachstumsbegriff reflektieren: Den verallgemeinerten Wachstumszwang zu hinterfragen, bedeutet, sich bewusst zu machen, in welchen Bereichen durch die Circular Economy positive und negative sozioökonomische Effekte auftreten können. Bestimmte Wirtschaftsbereiche, z.B. Bergbau und Tierhaltung, können nämlich in einer Welt innerhalb der planetaren Grenzen nicht weiterwachsen, wenn eine hohe Umweltverschmutzung mit der Produktionsweise, z.B. im Bergbau, oder dem Konsum dieser Güter, z.B. Fleisch, einher geht. Alle Akteure sollten dies thematisieren und diskutieren, die Politik sollte die wirtschaftspolitischen Weichen stellen.
- Angst vor Veränderungen nehmen: Ein positives Narrativ suffizienter Lebensstile sollte den Menschen zudem die Angst vor Veränderungen nehmen und aufzeigen, dass jede*r etwas beitragen kann. Auch kleine Schritte führen zum Ziel. Wichtig ist, sich auf den Weg zu begeben und die Gesellschaft in kleinen Schritten dahin zu führen, dass weniger Ressourcen verbraucht werden. Zum Beispiel existiert mit PSLifestyle ein Tool, das „dich dazu inspiriert, gemeinsam nachhaltige Lebensstile in ganz Europa zu gestalten“.
- Alle einbeziehen: Um alle Menschen einzubeziehen, sollten Ziele und Inhalte zielgruppengerecht erklärt und begründet werden. Das ermöglicht Menschen, aktiv den Wandel zu gestalten. Insbesondere Menschen, die sich bisher wenig mit ressourcenschonenden und nachhaltigen Lebensstilen auseinandergesetzt haben, sollten adressiert und einbezogen werden. Niederschwellige Möglichkeiten, neues Verhalten auszuprobieren, machen suffiziente Alternativen z.B. in Reallaboren sichtbar und erlebbar. Während Politik beispielsweise neue Radwege beauftragt, können z.B. kommunale Initiativen Radtouren für Neubürger*innen anbieten. Auf großen Messen genauso wie auf Stadtteilfesten könnten Second-Hand-Stände oder vorwiegend vegetarisches Catering angeboten werden.
Akteursspezifische Strategien für ein neues Konsumverständnis
- Politik in der Regierungsverantwortung: Rahmenbedingungen schaffen (siehe Factsheet)
- Parteien (unabhängig von Regierungsverantwortung): Basierend auf ihren Positionen ein positives Bild der Zukunft zeichnen, Standpunkte und Maßnahmen begründen und erklären.
- Unternehmen: Umorientierung von Unternehmenszielen und -praktiken, neue Unternehmensformen fordern und wählen, die Frage nach „gutem Wirtschaften“ erörtern, Wohlbefinden der Mitarbeitenden in den Blick nehmen, Überproduktion und Retouren-Vernichtung vermeiden, langlebige Produkte herstellen und darüber kommunizieren, Kapital mit langfristigen Erträgen anlegen & Reinvestition des Gewinns in das Unternehmen, sekundärer Ressourceneinsatz, kurze Transportwege und nahe Produktionsstandorte wählen, Sparen von finanziellen Ressourcen im Marketing, sinnstiftende Arbeit als Arbeitsmarktvorteile nutzen, Wert schöpfen durch die Gewichtung von Qualität über Quantität.
- Verbraucherverbände und NGOs: Alle Bevölkerungsgruppen adressieren, Vorteile suffizienter Lebensstile kommunizieren, den Wachstumsbegriff reflektieren
- Medien: Suffiziente Lebensstile auf positive Weise sichtbar machen, reale Vorbilder zeigen, wissenschaftliche Erkenntnisse zielgruppengerecht erklären.
- Wissenschaftler*innen: Sich an der Debatte um alternative Wirtschaftsindikatoren und ein neues Wirtschaftssystem beteiligen, wissenschaftliche Erkenntnisse verständlich kommunizieren.
- Social-Media-Expert*innen: Dem Thema Sichtbarkeit verleihen, Debatten anstoßen, zum Mitmachen anregen.
- Individuen: Suffizienz in kleinen Schritten für sich erproben (weniger Fast Fashion kaufen, fleischärmere Ernährung testen, Dinge reparieren, nachhaltige Mobilitätsformen ausprobieren, weniger Einwegplastik kaufen, …), gemeinwohlorientierte Unternehmen bevorzugen, mit anderen darüber ins Gespräch kommen, an Reallaboren teilnehmen.
Clara Löw forscht zu nachhaltigen Materialien und Produkten sowie zur Circular Economy im Bereich Produkte & Stoffströme in Freiburg. Katharina Hurst arbeitet als studentische Hilfskraft im Bereich Produkte & Stoffströme in Freiburg.
Weitere Informationen
Factsheet „Ein neues Konsumverhalten etablieren“
Blogbeitrag „Entsorgung von Elektro- und Elektronik-Altgeräten: Sollten die Verbraucher*innen die Verantwortung tragen?“, erstes Brennglas im Rahmen des Spendenprojekts „Circular Economy: Aufruf und Vorschläge zur zirkulären Wirtschaft“
Blogbeitrag „Bringt die geplante EU-Verpackungsverordnung die Wende?“, zweites Brennglas im Rahmen des Spendenprojekts „Circular Economy: Aufruf und Vorschläge zur zirkulären Wirtschaft“
Blogbeitrag „Nachhaltige Elektro- und Elektronikgeräte als Standard: Bestehende Kostenstruktur verändern", drittes Brennglas im Rahmen des Spendenprojekts „Circular Economy: Aufruf und Vorschläge zur zirkulären Wirtschaft“
Factsheet „Circular Economy – Rücknahme von Elektroaltgeräten“
Factsheet „Circular Economy – Reduktion des Verpackungsaufkommens“
Den Wachstumsbegriff, der unsere Gesellschaft prägt, zu hinterfragen, ist sicherlich richtig. Aber es geht ja nicht nur um einen großenteils immer noch unhinterfragten, kulturell verfestigten Wachstumsbegriff auf der gesellschaftlichen Bewusstseinsebene, sondern um das Problem der realen Wachstumsökonomie. Solange diese immer noch weitgehend ungeregelte Wachstumsökonomie als Garant für Wohlstand unangetastet bleibt, wird sich in den Köpfen alleine nichts ändern. Als Grundlage brauchen wir die Instrumente zur Schaffung eines Wiederverwertungs- und Suffizienzmarktes.
Sehr richtig: Es geht um Instrumente über die Bewusstseinsebene hinaus. Unserer Meinung gehört dazu bspw. die (finanzielle) Förderung von Anbietern zirkulärer Geschäftsmodelle, wenn sie z.B. Produkte zur Wiederverwendung anbieten oder reparieren. Darüber hinaus gibt es noch weitere Baustellen: Seit 1967 dient das Stabilitätsgesetz als Orientierungsrahmen für das wirtschaftspolitischen Handeln Deutschlands. "Stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum" ist eines der vier Ziele (StabG, §1). Herausforderungen und Rahmenbediungen heute unterscheiden sich jedoch stark von den 60er Jahren.