Energiearmut-Studie: Wenn das Licht auszugehen droht
Wissenschaftlerinnen des Öko-Instituts haben Maßnahmen gegen die Energiearmut in fünf EU-Ländern analysiert. Das Ergebnis: Eine geschickte Kombination von Instrumenten kann Energiearmut lindern und dabei das Klima schonen.
Energiearmut hat viele Gesichter: Die Sorge, das Haus nicht heizen oder kühlen zu können, die Angst vor Stromsperren, die Furcht vor steigenden Strom- und Heizkostenabrechnungen. Damit steigt der Druck, dass das Geld am Monatsende nicht reicht und Schulden entstehen.
Die Sozialverträglichkeit des Klimaschutzes gewinnt immer mehr Aufmerksamkeit. Die Diskussion ist unter anderem mit dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz und den davon beeinflussten Strompreisen verknüpft. Aber auch die Teilhabe einkommensschwacher Haushalte an Energie- und Klimaschutz ist von großer Bedeutung. Niemand soll aufgrund seiner finanziellen Einschränkungen ausgeschlossen werden. In anderen europäischen Ländern wird das Thema Energiearmut schon länger diskutiert und ist daher auch tief in der nationalen, regionalen und lokalen Politik verankert. Dagegen gibt es in Deutschland relativ wenige Instrumente und Maßnahmen, die Energiearmut mindern können.
Die Studie: Deutschland und der europäische Vergleich
In einer Studie für das Bundesforschungsministerium hat das Öko-Institut Instrumente und Maßnahmen zur Bekämpfung der Energiearmut in Dänemark, Frankreich, Irland, Schweden und dem Vereinigten Königreich verglichen. Die Staaten wurden nach ihrer strukturellen Ähnlichkeit mit Deutschland, zum Beispiel bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt, den Energieverbrauch und die Haushaltseinkommen, ausgewählt.
Das Ziel der Studie war es zu untersuchen, inwieweit die Maßnahmen auf Deutschland übertragbar sind. Zudem wurde bewertet, welche Auswirkungen in Deutschland mit der Umsetzung dieser Maßnahmen zu erwarten sind. Ein besonderer Schwerpunkt lag auf Instrumenten und Maßnahmen, die die Energiearmut lindern und gleichzeitig zum Klimaschutz beitragen.
Die Ergebnisse: „One fits all“ gibt es nicht - die Kombination führt zum Erfolg
Die Studie hat gezeigt, dass es – wie fast immer im Leben - keine einfachen Lösungen gibt. Denn verschiedene Instrumente führen zu unterschiedlichen Formen der Entlastung einkommensschwacher Haushalte. Aber die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Öko-Instituts haben sechs wesentliche Kriterien identifiziert, die wirksame Maßnahmen in Deutschland auf jeden Fall beinhalten sollten:
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Die Maßnahmen sollten langfristig ausgerichtet sein und die Haushalte zu Effizienzsteigerungen und Verhaltensänderungen motivieren, um Energie zu sparen.
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Die Maßnahmen sollten die betreffende Zielgruppe ansprechen. In diesem Fall: alle Haushalte mit niedrigem Einkommen. Auch wenn diese keine Transferzahlungen erhalten, aber in prekären Beschäftigungsverhältnissen stecken.
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Die Maßnahmen sollten aus einer Kombination von Informationen und finanziellen Unterstützungen (Investitionsanreizen) bestehen, um Verhaltensänderungen und Effizienzsteigerungen zu erzielen, so dass die Zielgruppen auch wirklich teilhaben können. Zum Beispiel können dies Investitionsanreize sein, wie ein Geldzuschuss beim Kauf eines A+++-Kühlschranks.
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Die Maßnahmen sollten vorzugsweise auf lokaler oder regionaler Ebene oder sogar Peer-to-Peer (= Kommunikation unter Gleichen) stattfinden, damit lokale Besonderheiten angemessen berücksichtigt werden.
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Die Maßnahmen sollten das Vermieter-Mieter-Dilemma in Deutschland angehen. Der überwiegende Teil der Haushalte in Deutschland mietet. Damit sind die Haushalte von der Sanierungsfreudigkeit der Eigentümer*innen abhängig. Hinzu kommt der damit verbundene Kostendruck durch Kostenumlage auf die Mieter*innen, was sich in weiter steigenden Mieten ausdrücken kann.
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Die Maßnahmen sollten so gestaltet sein, dass zwei Politikrichtungen miteinander interagieren: Die Ausgestaltung der Energiepolitik darf soziale Ungleichheit nicht verstärken und die Ausgestaltung der Sozialpolitik darf die Ziele des Klimaschutz und der Energiewende nicht außer Acht lassen.
Nicht alle dieser Aspekte können immer in einem Instrument oder einer Maßnahme bedient werden. In vielen Fällen ist es sinnvoll, Schwerpunkte zu setzen. Zum Beispiel, wenn eine direkte Entlastung von energiearmen Haushalten notwendig ist, um Hilfe zum Lebensunterhalt zu geben. Dabei ist es jedoch essentiell, die weiteren Aspekte nicht aus den Augen verlieren, um nachhaltig wirksame Maßnahmen oder Instrumente zu gestalten.
„Der Blick in andere Länder hat uns die Augen geöffnet“, sagen die Autorinnen und schreiben in ihrer Studie: Voneinander-Lernen ist sehr hilfreich für die Gestaltung und Umsetzung von Maßnahmen und Instrumenten. Und das, obwohl es zum jetzigen Zeitpunkt keine einheitliche Definition von Energiearmut in den EU-Mitgliedsstaaten gibt. Und auch, obwohl die Politik- und Sozialsysteme, die bisherigen Bemühungen wie auch klimatische und strukturelle Bedingungen – wie eigentümer- versus mieterbetonter Wohnungsmarkt, Anteil Stadt- versus Landbevölkerung –unterschiedlich gelagert sind.
Die grundsätzlichen Aspekte von Energiearmut sind dennoch ähnlich und erlauben eine Adaption, Hybridisierung, das heißt eine Mischung aus zwei oder mehreren Instrumenten, oder Inspiration von und durch Instrumente und Maßnahmen gegen die Energiearmut aus anderen Ländern. Positiv hervorzuheben ist, dass das Lernen in jegliche Richtungen erfolgen kann. Während Deutschland von Ländern mit einer längeren Tradition der Bekämpfung von Energiearmut lernen kann, hat der deutsche Stromspar-Check beispielsweise als Vorreiter für eine EU-Initiative gedient, insbesondere da er den lokalen, Peer-to-Peer Ansatz betont.
Sozialpolitik muss Anreize für klimafreundliche Verhaltensänderungen setzen
In vielen Ländern steht die sozialpolitische Dimension bei Energiearmut allein im Vordergrund. Als direkte Hilfe wird finanzielle Unterstützung zum Lebensunterhalt, ein Zuschuss zur Heizkostenrechnung geboten oder Strom- und Gassperren in Wintermonaten untersagt. Meist sind die Maßnahmen mit vergleichsweise hohen Kosten verbunden und setzen keine Anreize für Effizienzverbesserungen oder Verhaltensänderungen. Wären mit den Maßnahmen und Instrumenten Energieeinsparungen verbunden, würde dies die finanzielle Belastung von Kommunen und Sozialträgern jedoch deutlich mindern und Betroffene könnten nachhaltiger entlastet werden. Andererseits, berücksichtigen energie- und klimapolitische Maßnahmen oftmals nicht die besonderen Umstände von energiearmen Haushalten. Dadurch erreichen sie die Zielgruppe energiearmer Haushalte oft nicht.
Sozialpolitik und Klimapolitik müssen zusammen gedacht und geplant werden. Quelle: Öko-Institut
Auch in Deutschland greift das Sozialsystem und übernimmt Heizkosten bei Haushalten mit geringem Einkommen. Ein Anreiz zur Einsparung von Heizenergie ist in Verbindung mit der Transferzahlung nicht gegeben. Auch das Mieter-/Vermieterdilemma wird dadurch nicht adressiert. Darüber hinaus ist die Zielgruppe auf Transferleistungsempfänger beschränkt. Haushalte mit geringem Einkommen, die keine Transferleistungen beziehen, werden mit den vollen Heizkosten belastest und sind damit von Energiearmut gefährdet. Wichtig ist daher neben der direkten Unterstützung eine Anreizsetzung zu Effizienz und Einsparungen zu geben und die Maßnahmen zielgruppenspezifisch auszurichten.
Wichtig ist: Klimaschutz und Sozialverträglichkeit schließen sich nicht gegenseitig aus. „Lasst uns gemeinsam Energiearmut bekämpfen. Die Sozialpolitik muss Energie- und Klimapolitik mitdenken und umgekehrt Energie- und Klimapolitik sozialverträglich ausgestaltet sein. Die Energiewende erfordert ein sozialverträgliches Denken über den Tellerrand hinaus. Um das zu erreichen, ist ein Erfahrungsaustausch und ein Voneinander-Lernen über politische und geographische Grenzen hinweg ein Ansatz, bei dem alle gewinnen“, sagen die Autorinnen.
Katja Hünecke ist stellvertretende Leiterin des Bereichs Energie & Klimaschutz am Standort Darmstadt. Sie ist Expertin für soziale und ökonomische Aspekte der Energienutzung, insbesondere Biomasse in Deutschland und der Welt. Dr. Johanna Cludius ist Expertin für Verteilungswirkungen von Energie- und Klimapolitik und die Analyse von mikroökonomischen Daten auf Ebene privater Haushalte. Sie arbeitet im Bereich Energie & Klimaschutz am Standort Berlin. Dr. Katja Schumacher ist stellvertretende Leiterin des Bereichs Energie & Klimaschutz am Standort Berlin. Ihre Expertise liegt im Bereich der Kosten- und Nutzenanalyse von energie- und klimapolitischen Maßnahmen.