“Es ist nicht mehr hip und cool, um die Welt zu jetten“
Die Tickets sind billig, das nächste attraktive Ziel ist nah: Für viele Menschen schien ein Flug in eine europäische Metropole lange Zeit nicht ungewöhnlicher als ein Ausflug in die Nachbarstadt. Wie können sie dazu bewegt werden, weniger zu fliegen? Welche Verantwortung tragen sie persönlich und was muss die Politik tun, um das Wachstum des Flugverkehrs zu begrenzen? Dazu haben wir mit Prof. Dr. Stefan Gössling gesprochen. Er widmet sich an der an der schwedischen Linnaeus Universität der Tourismusforschung und damit auch der Frage, wie Reisen und Mobilität nachhaltiger werden können.
Professor Gössling, was können wir von der COVID-19-Pandemie für den Klimaschutz im Flugverkehr lernen?
Die erste Lehre ist auf jeden Fall: Es gibt viel mehr Flugverkehr als wir wirklich brauchen. Im Grunde hatten wir schon vorher nachgewiesen, dass so viel geflogen wird, weil die Subventionen des Flugverkehrs hoch und die Preise dadurch niedrig sind. Aber wenn man die Menschen fragt, welche Flüge für sie wirklich wichtig sind, dann ist das nur ein Bruchteil. Ich habe mit meinen Studentinnen und Studenten mal ein Experiment durchgeführt, bei dem herauskam, dass sie nur 40 Prozent ihrer Flüge in der Vergangenheit für „wichtig“ oder „sehr wichtig“ halten. Und wenn man Menschen nach ihrem Traumreiseziel fragt, nennen sie nach einer Ferndestination wie den Malediven oder Neuseeland mehrheitlich direkt ein europäisches Land: Spanien.
Wie können Menschen dazu bewegt werden, weniger zu fliegen?
Wenn man den Preis erhöht, fliegen die Menschen automatisch weniger. Hiermit erreicht man vor allem die relativ große Gruppe der Menschen, die der Klimaschutz im Flugverkehr wenig interessiert. Außerdem sollten Subventionen abgeschafft und eine CO2-Steuer eingeführt werden. Ich plädiere außerdem für eine Risikosteuer. Dass sich COVID-19 – und vorher SARS und MERS – so schnell verbreiten konnten, ist ein Resultat des immensen Flugverkehrs. Neben den Kosten spielen aber auch soziale Normen eine wichtige Rolle.
Was heißt das konkret?
Es gibt zum Beispiel die Gruppe der Superreichen, die aus meiner Sicht bislang viel zu stark vernachlässigt wurde. Die 150 reichsten Individuen der Welt besitzen ein Vermögen, das größer ist als das der ärmsten 3,6 Milliarden Menschen. Das ist eine Gruppe von Menschen, die man über die Kosten nicht erreicht. Reiche Menschen, Promis und Superstars verursachen durch ihren energieintensiven Lebensstil nicht nur immense Emissionen, sie sind damit auch Vorbild für viele Menschen.
Wie lässt sich das ändern?
Hier könnte sozialer Druck helfen. Das Geschäftsmodell von Bill Gates etwa, derzeit der drittreichste Mensch der Welt, basiert ja auf der Assoziation mit guten Taten. Er könnte es sich ohne Probleme leisten, den Treibstoff für seinen Privatjet synthetisch mit Hilfe von erneuerbaren Energien produzieren zu lassen. Warum also fordern wir das nicht von ihm ein?
Wie lassen sich soziale Normen abseits der Superreichen wandeln?
Ein großer Schritt wurde aus meiner Sicht durch Greta Thunberg und Fridays for Future gemacht. Ihnen ist es gelungen, das Bild vom hippen Jetsetter in Frage zu stellen und individuelle Verantwortlichkeit für Emissionen zu fordern. Bislang war niemand verantwortlich, es war immer leicht auf andere zu zeigen, die Politik oder die Flugverkehrsindustrie. Persönlich war niemand verantwortlich. Durch Greta ist also ein sozialer Normenwandel in Gang gesetzt worden. Auf einmal sind Vielflieger Umweltsünder, es ist nicht mehr hip und cool, um die Welt zu jetten. Ich hoffe, dass die Bewegung die COVID-19-Pandemie gut übersteht, denn sie hat wirklich das Potenzial, grundsätzlich etwas zu verändern.
Welche Botschaften sind am ehesten geeignet, Verhaltensänderungen herbeizuführen?
Beim Klimaschutz wird sehr viel mit Dystopien gearbeitet, also abstrakten Bedrohungen von Mensch und Umwelt, oder auch der Einschränkung der persönlichen Freiheiten. Wir leben in einer Gesellschaft, die bereits von vielen Risiken gekennzeichnet ist, die den Menschen Angst machen – wie aktuell die Pandemie. Doch Angst ist ein lähmendes, kein aktivierendes Gefühl. Wer Angst hat, zieht sich in sich selbst zurück und denkt nicht über gesellschaftliche Probleme nach. Wenn wir den Klimawandel wirklich anpacken wollen, brauchen wir innere Stabilität, das Gefühl von Sicherheit und positive Visionen. Daraus kann Empathie entstehen, daraus kann folgen, dass wir die Folgen des Klimawandels bedenken und entsprechend handeln.
Wie können diese Visionen aussehen?
Es müssen attraktive Alternativen sein. Pünktliche und schnelle Züge zum Beispiel, die dem Flugverkehr überlegen sind. Dafür muss in die Fernbahnnetze investiert, müssen Nachtzugverbindungen ausgebaut statt abgeschafft werden. Man könnte auch die Abschaffung von Subventionen damit verbinden, dass die dadurch frei gesetzten Gelder für Projekte eingesetzt werden, die für eine positive gesellschaftliche Entwicklung sorgen – etwa für bessere Fahrradinfrastrukturen in den Städten.
Kann Fliegen auch sinnvoll sein?
Ja, natürlich. Es ist zum Beispiel wichtig für einen Austausch in der globalen Welt oder für Menschen, die aus persönlichen Gründen schnell ihre Familie erreichen müssen. Aber es darf eben nicht passieren, dass jemand einen Flug nur macht, um seinen Frequent Flyer-Status nicht zu verlieren.
Was ist aus Ihrer Sicht der größte Mythos beim Thema Fliegen und Klimaschutz?
Dass wir das Problem durch die Vorschläge der Flugindustrie technisch in den Griff bekommen. Es werden ja ständig neue „Lösungen“ präsentiert – effizientere Flugzeugtypen, nachhaltigere Kraftstoffe, elektrische Antriebe. Doch jeder dieser Vorschläge kommt und geht, realisiert worden ist nichts von dem, was in den letzten 25 Jahren als Lösung propagiert wurde. Und CORSIA, ein internationales „Instrument“ für den Klimaschutz im Luftverkehr, ist aus meiner Sicht nichts mehr als eine Nebelkerze. Man hat die ganze Flugindustrie dann ja auch davon entbunden, wirklich etwas zu tun, also Emissionen messbar zu vermindern.
Warum tut die Politik nicht genug?
Verkehr ist ein Thema, vor dem die Politik stets zurückschreckt. Denn Mobilität ist sehr eng mit unserer Identität verbunden. Beim Thema Flugverkehr heißt das: Die wenigsten Menschen auf dieser Welt fliegen und die, die es tun, insbesondere die Vielflieger, bauen darauf einen Teil ihrer Persönlichkeit. Zu der kleinen Elite der Fliegenden gehören zudem häufig auch die Politikerinnen und Politiker, die den Flugverkehr eigentlich begrenzen sollten.
Was könnten sie hierfür tun?
Das ist nicht mit einer Maßnahme getan. Ich sehe da eine sehr lange Liste von Notwendigkeiten. Das ist eine Mammutaufgabe, die über Jahrzehnte gelöst werden muss. Dabei müssen wir uns unbedingt an den Fakten orientieren. So hat der Flugverkehr zum Beispiel nicht den sozialen Nutzen, den er sich selbst gerne zuschreibt. Das gilt übrigens auch für seinen ökonomischen Nutzen.
Wenn sie Bundeskanzler wären, welche Entscheidung würden Sie morgen zum Klimaschutz im Flugverkehr treffen?
Diese Frage kann ich leider nicht beantworten. Ich bin ja Wissenschaftler und kein Politiker. Diese zwei Bereiche sind in Deutschland auch sehr klar getrennt. Da wünsche ich mir oft eine stärkere Verbindung und dass die Politik die Erkenntnisse der Wissenschaft nutzt, um sich auf zukünftige Krisen vorzubereiten – wie etwa auf die Klimakrise.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Christiane Weihe.
Prof. Dr. Stefan Gössling ist Professor für Tourismusforschung an der schwedischen Linnaeus Universität sowie für Humanökologie an der Lund Universität (ebenfalls Schweden). Der Fokus seiner Arbeit liegt auf Nachhaltigkeit im Tourismus, im Transport sowie in der Mobilität. Dabei beschäftigt er sich unter anderem mit der Digitalisierung von Tourismus, der Verkehrsökonomie sowie der Veränderung von sozialen Normen im Konsum.
Das Interview ist in gekürzter Fassung im Online- und Mitgliedermagazin eco@work "Besser am Boden bleiben? Luftverkehr und Klimaschutz" erschienen.