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EU #RestoreNature: Endlich verbindliche Ziele zur Wiederherstellung der Natur

Erstmals gibt die Europäische Union verbindliche Ziele bis 2030 und darüber hinaus vor, mit denen Ökosysteme wieder hergestellt werden sollen. Judith Reise vom Öko-Institut sagt: „Das war längst überfällig, denn der Handlungsbedarf ist enorm hoch.“

Am 22. Juni 2022 präsentierte die EU-Kommission das im Green Deal angekündigte Naturschutz-Paket. Der Entwurf für eine Verordnung zur Wiederherstellung der Natur (EU-Renaturierungsgesetz/ nature restauration law) nimmt eine zentrale Rolle ein.

Judith Reise Quelle: Öko-Institut

Zwar gab bereits die EU-Biodiversitätsstrategie 2020 ein Renaturierungsziel vor: 15 Prozent der degradierten Ökosysteme in der EU sollten bis 2020 wiederhergestellt sein. Dieses Ziel wurde aber nicht erreicht. Ein Grund: Es gab keinerlei Verpflichtungen für die Mitgliedstaaten, entsprechende Pläne vorzulegen und Maßnahmen umzusetzen.

Natur in Europa in einem besorgniserregenden Zustand

Der Zustand der Natur in Europa ist besorgniserregend, wie der letzte große Bericht der Europäischen Umweltagentur 2018 (European Environment Agency, EEA) zeigt. Demnach befinden sich 81 Prozent der in der EU geschützten Lebensräume in einem schlechten Zustand. Davon sind 36 Prozent in einem Verschlechterungsprozess, lediglich 9 Prozent verbessern sich.

Einer der Hauptgründe ist die intensive Nutzung der Ökosysteme in der EU: die Art und Weise unserer Land- und Forstwirtschaft, Fischerei aber auch durch die Ausbreitung von Siedlungen und Infrastruktur. Diese zerschneiden, versiegeln, zerstören Lebensräume und wandeln sie um. Ein großes Problem sind auch die Düngemittel und Pestizide, die Lebewesen direkt und indirekt schädigen.

Dies alles wird gekrönt von den bereits deutlich spürbaren Folgen des fortschreitenden Klimawandels, wie uns beispielsweise die lange Dürreperiode der vergangenen Jahre gezeigt hat.

Wichtige Funktionen wieder erfüllen

Die Wälder, Moore, Seen, Flüsse, Meere, Grünländer und Ackerböden müssen wieder in einen Zustand versetzt werden, der es ihnen ermöglicht, ihre wichtigen Funktionen als Lebensraum, Nahrungsgrundlage, Kohlenstoffsenke und Erholungsraum zu erfüllen. Dafür reicht es häufig nicht aus, sie nur zu schützen. In vielen Fällen müssen aktiv Maßnahmen ergriffen werden, um die natürlichen Stoffströme, wie den Wasserhaushalt, wiederherzustellen und negative Einflüsse, etwa durch Pestizideintrag, zu beseitigen. Das ist im Wesentlichen die Motivation des EU-Renaturierungsgesetzes.

Die Ziele des EU-Renaturierungsgesetzes

Sobald das EU-Renaturierungsgesetz in Kraft tritt, haben die Mitgliedstaaten zwei Jahre Zeit, um einen nationalen Renaturierungsplan zu erstellen. Hieran sollen sich Bürger*innen beteiligen.

Insgesamt sollen bis zum Jahr 2030 Maßnahmen zur Wiederherstellung der Natur auf 20 Prozent der EU-Land- und Meeresfläche umgesetzt werden. Bis 2050 sollen für alle bedürftigen Ökosysteme in der EU Wiederherstellungsmaßnahmen ergriffen werden.

Es folgen in den Artikeln 4 bis 10 zeitlich gestaffelte (2030, 2040, 2050) Unterziele für die verschiedenen Ökosysteme. Der Detailgrad der Zielsetzung ist dabei unterschiedlich, es gibt teilweise maßnahmen- und flächengebundene Ziele und andere sind nur recht grob formuliert.

In Artikel 4 und 5 werden zunächst verbindliche Ziele für die bereits unter der Flora-Fauna- Habitatrichtlinie und der Vogelschutzrichtlinie geschützten terrestrischen und marinen Lebensräume und Arten. So sollen zum Beispiel bis 2030 mindestens 30 Prozent, bis 2040 60 Prozent und bis 2050 90 Prozent der geschützten Lebensraumtypen mit den notwendigen Wiederherstellungsmaßnahmen ausgestattet werden, um sie in einen guten Zustand zu versetzen.

Weitere Ziele sind:

  • Die grüne Infrastruktur in Städten soll erweitert werden mit 10 Prozent Baumbedeckung in allen urbanen Räumen bis 2050.

  • Bis 2030 sollen insgesamt auf 25.000 Kilometer Flüsse so hergestellt werden, dass sie frei fließen und ihrer natürlichen Dynamik folgen können.

  • Die Zahl an bestäubenden Insekten, zum Beispiel Bienen, soll bis 2030 wachsen.

  • In landwirtschaftlich genutzten Räumen sollen sich bestimmte Indikatoren verbessern. Dazu gehören der Agrarvogelindex, der Anteil von Kohlenstoff in mineralischen Böden sowie der Anteil an ökologisch wertvollen Lebensraumstrukturen, wie Hecken oder Blühstreifen. Ebenfalls wichtig sind die flächengebundenen Wiedervernässungsziele von organischen Böden (ehemalige Moore), von denen 30 Prozent bis 2030, 50 Prozent bis 2040 und 70 Prozent bis 2050 wiedervernässt werden sollen.

  • Im Wald werden ebenfalls Indikatoren definiert, die von den Mitgliedstaaten erhoben und in ihrem Trend bis 2030 verbessert werden sollen. Darunter befindet sich beispielsweise die Menge an stehendem und liegendem Totholz, was für viele an den Wald gebundene Arten eine wichtige Ressource darstellt.

Ausblick: Kann das EU-Renaturierungsgesetz seine Ziele erreichen?

Zuallererst muss das Gesetz noch durch das übliche Verfahren im Europäischen Parlament, was noch einige Zeit dauern wird. Hinzu kommt ein hoher Druck aus den Kreisen der Land-, Wald- und Meeresnutzenden, die sich durch die Umsetzung des EU-Renaturierungsgesetzes stark eingeschränkt fühlen.

So sollte der Gesetzentwurf eigentlich am 23. März 2022 vorgestellt werden. Jedoch wurde der Termin kurzerhand auf unbestimmte Zeit verschoben. Stattdessen wurde an diesem Tag eine Kommissionsmitteilung zur Ernährungssicherheit präsentiert. Durch den Krieg in der Ukraine ist das Thema Ernährungssicherheit stärker in den Fokus gerückt und wird auch als Argument für die deutliche Schwächung von Regelungen zum reduzierten Pestizideinsatz genutzt.

Es ist also weiterhin mit viel Gegenwind zu rechnen. Dieser schlägt sich bereits auf die Ziele des EU-Renaturierungsgesetzes nieder. In einem frühen Entwurf des Gesetzes befand sich noch ein Flächenziel (10 Prozent) für die ökologisch wertvollen Lebensraumstrukturen in den Agrarlebensräumen. Dies ist in der aktuellen Fassung gestrichen worden.

Die Auswahl der Indikatoren für die Renaturierung von Wäldern ist bereits ein guter Aufschlag. Allerdings fehlen Indikatoren, die sich mit dem Grad des Baumkronenschlusses und der Menge an Holzvorrat beschäftigen. Diese beiden Faktoren sind jedoch maßgeblich für die Resilienz von mitteleuropäischen Laubwäldern.

Zusätzlich gehört der Holzvorrat im Wald zu den wichtigsten Kohlenstoffspeichern in der EU. Eine weitere Herausforderung bei der Umsetzung der Renaturierungsziele der EU wird sein, bestehende Gesetze so anzupassen, dass diese dem Erfolg der Renaturierung nicht entgegenstehen. Beispielsweise sehen viele Umwelt-NGOs die Renaturierung von Meeresökosystemen durch die EU-Fischereiverordnung verhindert.

Insgesamt bietet das Gesetzesvorhaben zum ersten Mal verbindliche zeitliche und flächenbezogene Ziele zur Wiederherstellung der Natur in der EU. Diese haben bisher bei den bestehenden Naturschutzrichtlinien (Flora-Fauna-Habitat- und Vogelschutzrichtlinie) gefehlt.

Darüber hinaus beinhaltet das EU-Renaturierungsgesetz auch Ziele für die Wiederherstellung von Ökosystemen, die noch nicht unter den genannten Richtlinien geschützt sind. Durch diese wichtige Erweiterung des Handlungsfeldes für den Naturschutz könnten sich neben dem Schutz der Biodiversität auch wirkungsvolle Synergien zum Schutz des Klimas ergeben. Denn insbesondere Wälder, Grünland und marine Seegraswiesen entziehen der Atmosphäre CO2 und speichern den Kohlenstoff für viele Jahrzehnte in ihrer Biomasse und im Boden.

Außerdem können viele Emissionen aus der Landnutzung vermieden werden, wenn die Ziele zur Wiedervernässung von ehemaligen Mooren umgesetzt werden. Im Jahr 2020 hatten die Emissionen aus der landwirtschaftlichen Nutzung von ehemaligen Moorböden einen Anteil von 75 Prozent im gesamten Landnutzungssektorder EU.

Judith Reise ist Expertin für Synergien zwischen Biodiversität- und Klimaschutz und arbeitet im Bereich „Energie und Klimaschutz“ am Standort Berlin.

Weitere Informationen zu Synergien von Biodiversität- und Klimaschutz

Reise et al. 2022. Nature-based solutions and global climate protection

Reise et al. 2021. Die Potenziale natürlicher Ökosysteme zur Vermeidung von Treibhausgasemissionen und Speicherung von Kohlenstoff

Böttcher & Reise 2021. Exploratory Analysis of an EU Sink and Restoration Target. Commissioned by Greenpeace Germany.

Böttcher et al. 2021. Options for Strengthening Natural Carbon Sinks and Reducing Land Use Emissions in the EU

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