Feuerlöschen durch Anreize
Seit vielen Jahren wird in den internationalen Medien prominent über den ghanaischen Schrottmarkt Agbogbloshie berichtet. Mal wird er als Europas größte E-Schrott-Deponie bezeichnet, mal als einer der am schlimmsten verschmutzten Orte der Welt, mal als Hölle auf Erden, in der sich schonungslos die Kehrseiten der Globalisierung zeigt.
Nichts davon ist wirklich falsch, aber dennoch beschreibt keines der Wortbilder die Vielschichtigkeit der Lage. Denn: Agbogbloshie ist weder eine reine Deponie, noch wird sie ausschließlich durch illegale E-Schrott-Lieferungen aus Europa befüllt. Agbogbloshie ist vielmehr ein Ort, den die informellen Schrottsammler, -Zerleger und -Händler im Großraum Accra für ihre Tätigkeit als zentralen Umschlagsplatz nutzen. Und ein Großteil der dort anzutreffenden Schrotte kommt aus der lokalen Nutzung, nicht direkt aus Europa. Dass Ghana durchaus beträchtliche Mengen an Alt- und Gebrauchtwaren aus Europa bezieht, ist zwar richtig, es gibt aber in der Regel keine direkten Lieferbeziehungen zwischen den Importeuren und den Akteuren am Schrottplatz. Diese sammeln ihre Schrotte mühsam per Handwagen im Großraum Accra ein und sind somit ein Kernbestandteil der derzeitigen Abfallwirtschaft.
In den letzten Jahren wurden viele Vorschläge und Konzepte entwickelt, wie die dortige Lage in den Griff zu bekommen sei. Auch wir als Öko-Institut waren und sind an dieser Diskussion beteiligt und arbeiten nun seit über zehn Jahren sehr vertrauensvoll mit vielen Partnern vor Ort zusammen. Und in dieser Zusammenarbeit hat sich folgendes Bild ergeben:
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Der internationale Handel mit Elektro-Schrott muss bekämpft werden. Allerdings wird dies alleine nicht ausreichen, um die Probleme zu lösen. Denn die Nachfrage nach elektrischen und elektronischen Geräten steigt: In Ghana und den meisten anderen Ländern der Welt.
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Die Sammlung und Verarbeitung von Schrotten schafft zahlreiche Arbeitsplätze, sodass Reformprozesse darauf abzielen sollten, die bestehenden Akteure zu integrieren.
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Nicht alle Tätigkeiten der informellen Akteure verursachen Probleme. Nur ein kleiner Teil der Materialien und Prozesse – beispielsweise das offene Abbrennen von Kabeln – ist für einen Großteil der Verschmutzungen verantwortlich.
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Zwar gibt es technische Verfahren, mit denen diese Verschmutzungen vermieden werden könnten, sie sind aber aufwändiger und kostspieliger, als die derzeit angewandten Prozesse. Für die informellen Recycler gibt es daher eine Art „Lock-in-Effekt“, der sie an ihrem Handeln festhalten lässt: Jede technische Verbesserung würde unmittelbar zu geringeren Nettoerlösen führen. Angesichts ihrer prekären sozioökonomischen Situation scheuen die Akteure verständlicherweise vor entsprechenden umwelttechnischen Verbesserungen zurück.
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Dennoch müssen diese besonders verschmutzenden Praktiken dringend in formale und sachgerechte Verfahrenswege überführt werden. Klassische regulatorische Ansätze wie Kontrollen und Verbote sind aber ebenfalls zum Scheitern verurteilt: Denn die informellen Akteure können ihre Prozesse jederzeit in andere Stadtviertel und Hinterhöfe verlagern und somit dem regulatorischen Druck ausweichen.
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Damit bedarf es einer Veränderung der Anreizsysteme: Sammler und Recycler müssen einen direkten ökonomischen Vorteil erhalten, wenn sie besonders problematische Schrotte an sachgerechte Strukturen übergeben. Dieser Aspekt der Anreize wurde bereits im Jahr 2016 in die ghanaische Gesetzgebung zu Giftmüll und Elektroschrott aufgenommen.
Im Projekt „Umweltgerechte Entsorgung und Recycling von Elektroschrott in Ghana“ der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) hat das Öko-Institut zusammen mit lokalen Organisationen solch ein Anreizsystem erstmals eingeführt und die Wirkungen ausgewertet. Von Oktober 2018 bis August 2019 konnten informelle Sammler und Recycler alte Kabel an ein vom Projekt betriebenes Übergabezentrum auf dem Schrottmarkt übergeben.
Bei jeder Übergabe erhielten die Lieferanten eine Kompensationszahlung, die über dem eigentlichen Materialwert der Kabel lag. Es wurde somit ein System geschaffen, in dem es plötzlich attraktiver wurde, Kabel mitsamt ihrer schadstoffhaltigen Isolierung abzugeben, als diese in offenen Feuern abzubrennen.
Zwar waren viele Schrottsammler und Recycler anfangs skeptisch, konnten aber überzeugt werden, dass dieses Modell sowohl wirtschaftliche, als auch gesundheitliche Vorteile bietet. Nach einer Anlaufphase bildete sich ein regelmäßiger Zulieferstrom und es konnten in fast 1.400 Einzellieferungen über 27 Tonnen Kabel gesammelt und einem sachgerechten Recycling zugeführt werden. Gleichzeitig gingen die Anzahl und die Intensität der hochgiftigen Kabelfeuer merklich zurück.
Das Projektteam hat den Ansatz und die Ergebnisse der ghanaischen Regierung zur Verfügung gestellt und wird derzeit mit Unterstützung der deutschen finanziellen Zusammenarbeit fortgesetzt und auf weitere Schrottarten ausgeweitet. Eine langfristige Finanzierung soll über das Verursacherprinzip sichergestellt werden. So hat Ghana eben damit begonnen, eine Umweltgebühr auf alle importierten Geräte zu erheben. Die Gelder sind zweckgebunden und sollen für die sachgerechte Sammlung und das Recycling – einschließlich entsprechender Anreizsysteme – verwendet werden.
Andreas Manhart ist Senior Researcher im Bereich Produkte & Stoffströme am Standort Freiburg. Seit 2005 beschäftigt er sich am Öko-Institut mit der Frage, wie Sozial- und Umweltstandards auch in sehr weit verzweigten und globalisierten Wertschöpfungsketten sichergestellt werden können.