Fit for 55: Auf dem Weg zum „großen historischen Paket“ Ambitionsniveau halten
Nun ist das EU-Parlament am Zug: Nach der Vorstellung des Fit for 55-Pakets hat der Gesetzgebungsprozess begonnen. Zunächst wird über Änderungsanträge beraten und abgestimmt. Dann folgen die Verhandlungen der Mitgliedstaaten. Michael Bloss ist mittendrin in diesem Prozess. Er ist seit 2019 Mitglied des Europaparlaments für die Fraktion Die Grünen/Europäische Freie Allianz. Im Interview mit eco@work berichtet er von den Möglichkeiten für einen sozial gerechten Klimaschutz, den Mut zu großen Schritten und Verhandlungen mit polnischen Konservativen.
Michael Bloss, wie beurteilen Sie das Fit for 55-Paket?
Es ist das größte Klimapaket, das es je gab und es ist allumfassend – und das ist natürlich richtig gut. Gleichzeitig muss es in ein paar Punkten verbessert werden. So wurden etwa die sozialen und die internationalen Dimensionen fast nicht mitgedacht und es wurde vieles nach hinten verschoben. Man sollte sofort mit sehr hohen CO2-Minderungen anfangen.
Wie gestaltet sich der Prozess derzeit?
Viele Mitgliedstaaten wollten erst mal abschichten, also die Bemühungen wieder verringern. Auch mit Blick auf den Krieg in der Ukraine. Das ist die große Frage auf der politischen Ebene: Schaffen wir es, das Ambitionsniveau des Pakets zu halten oder sogar zu verbessern? Damit daraus wirklich dieses große historische Paket wird, das es sein soll, müssen wir für viele Dinge kämpfen.
Wo genügen die sozialen Ansätze nicht?
Der Fokus liegt fast ausschließlich auf Emissionsminderungen und Wirtschaftswachstum. Zwar soll Geld aus dem Emissionshandel für Gebäude und Verkehr in den Social Climate Fund gehen, um damit vor allem Mitgliedstaaten mit einem geringeren Einkommensniveau zu unterstützen. Aber der ist viel zu klein, eigentlich müssten die gesamten Einnahmen da rein fließen. Der Social Climate Fund wurde auch recht hemdsärmelig kurz vor Veröffentlichung des Pakets zusammengezimmert, weil es eben jene Kritik gab, dass Fit for 55 nicht sozial genug ist. Vielleicht werden mit dem Geld tatsächlich sinnvolle Programme umgesetzt. Es besteht aber auch die Gefahr, dass sich die nationalen Regierungen nicht ums Soziale kümmern und das Geld nutzen, um sich bei Wähler*innen beliebt zu machen. Ich finde es übrigens auch nicht besonders sozial, dass die Bürger*innen einen CO2-Preis bezahlen sollen, die Industrie aber immer noch von kostenlos Zertifikate bekommt.
Wie kann man dafür sorgen, dass das Geld aus dem Social Climate Fund gerecht verteilt wird?
Man könnte verschiedene Modelle nutzen. Etwa, indem man sagt: Wir nutzen einen europäischen Durchschnitt und dass zusätzlich in jedem Land aber auch die zwei oder drei untersten Einkommensgruppen berücksichtigt werden. Leider kennt sich Europa bislang überhaupt nicht aus mit Sozialpolitik, deswegen gibt es keine einheitlichen Definitionen – etwa zur Frage, wie Energiearmut genau aussieht.
Wie könnte die soziale Seite gestärkt werden?
Ich finde eine Idee aus den USA sehr spannend: den Clean Future Act. Er denkt Energie- und soziale Fragen zusammen. Da wird viel Geld investiert, etwa in den Nahverkehr. Aber Priorität haben jene Gemeinden, die am stärksten abgeschnitten sind. Investitionen in die Gebäuderenovierung gehen zunächst in Sozialwohnungen – und die bekommen dann gleich auch eine Solaranlage aufs Dach. Wir müssen uns anschauen: Was brauchen die Menschen?
Wie könnte die internationale Dimension verbessert werden?
Es wäre schon mal ein wichtiger Schritt, überhaupt unsere finanziellen Versprechungen an den globalen Süden einzuhalten. Aber es geht natürlich auch um sinnvolle Investitionen in diesen Ländern, um Partnerschaften und Energietransfers. Auch die Handelspolitik sollte so umgestaltet werden, dass sie zur Eindämmung der Klimakrise beiträgt.
Wie könnte das aussehen?
Bislang verstehen die Handelsabkommen Klimabestimmungen erst einmal als Handelsbeschränkung. Das muss sich ändern. Hier könnte der Carbon Border Adjustment Mechanism, kurz CBAM, aus dem Fit for 55-Paket helfen. Denn er bringt den CO2-Fußabdruck von Produkten mit in die Handelspolitik, indem er einen CO2-Preis auf Importe erhebt. Es müsste aber auch ein sozialer Ausgleich für ärmere Länder stattfinden, damit dort wirkungsvolle Dekarbonisierungsstrategien auf den Weg gebracht werden kann. So etwa mit Blick auf eine Stärkung des Binnenhandels und lokale Kreisläufe in Afrika.
Mit Blick auf den Krieg in der Ukraine bräuchte es ja noch höhere Ambitionen.
Absolut. Leider gehen viele Dinge derzeit in die falsche Richtung. Es ist keine Lösung, Erdöl und Erdgas in Katar einzukaufen und LNG-Terminals zu bauen. Alles, was möglich ist, muss nun getan werden, um noch schneller aus den fossilen Energien herauszukommen. Ich denke da an die Frage, wie es gelingen kann, die Heizungen effizienter zu machen, Wärmepumpen in die Heizungskeller und Solaranlagen auf die Dächer zu bringen oder auch die Gebäudesanierung schnell voranzubringen.
Könnte es auch einen Rückschritt beim Klimaschutz geben – eine stärkere Hinwendung zur Kohle?
Ich denke, dass die Vorteile der Erneuerbaren immer klarer werden und es immer unwirtschaftlicher wird, auf fossile Energien zu setzen. Wir müssen jetzt stark für die CO2-Bepreisung kämpfen, da sie ein Haupttreiber für den Klimaschutz ist. Der Emissionshandel gewährleistet, dass wir langfristig unsere Klimaziele einhalten, denn er legt eine Obergrenze an Emissionen fest. An diesem Cap muss festgehalten werden, auch, wenn manche schon versuchen, es aufzubohren. Damit würde aus meiner Sicht die Büchse der Pandora geöffnet.
Wie verteilen sich Widerspruch und Unterstützung für das Paket im Parlament derzeit?
Es ist eine sehr spannende und dynamische Situation mit vielen unterschiedlichen Mehrheiten, die man mobilisieren kann und muss. So etwa mit Blick auf die liberale Fraktion, die mal auf die eine und mal auf die andere Seite fällt. Wenn wir sie auf unserer Seite haben, haben wir eine Mehrheit. Manchmal erlebt man dabei auch Überraschungen – so etwa, als die polnischen Konservativen mit uns für ein ambitioniertes Klimaziel gestimmt haben. Das lag wohl auch daran, dass sie im polnischen Parlament in der Opposition mit drei grünen Abgeordneten sitzen. Vieles ist nicht so, wie es auf den ersten Blick scheint. So haben etwa die Sozialdemokraten aus Rumänien recht wenig mit jenen aus Schweden zu tun. Wir sind sehr viele, wir sind sehr verschieden. Das ist es eben auch, was Europa ausmacht.
Was können wir von der Corona-Pandemie für einen ambitionierten Klimaschutz lernen?
Wir können lernen, dass sehr viel möglich ist, wenn die Politik es will. Wir haben gefördert, wir haben unterstützt und extrem hohe Ausgaben gehabt und sind dadurch besser durch die Pandemie gekommen. Ich denke, wir brauchen diesen Mut: Einfach mal die Dinge zu machen, sie anders zu machen und besser zu machen. Davon müssen wir lernen, mit genauso großem Mut und genauso großen Veränderungen an Fit for 55 zu gehen. Das würde ich mir wünschen. Denn die kleinen Schritte, die brauchen wir in der Klimapolitik nun wirklich nicht mehr.
Bis wann erwarten Sie die ersten Beschlüsse zu Fit for 55?
Ich denke, Ende 2022 werden die ersten Dinge beschlossen, so etwa die Erneuerbare-Energien-Richtlinie oder auch die Energieeffizienz-Richtlinie. Auch der Ausstieg aus dem Verbrenner bis 2035 wird wahrscheinlich so durchgehen. Das ist ja auch nicht besonders ambitioniert, die meisten Hersteller wollen sowieso ab 2030 keine Verbrenner mehr bauen. Komplexere Themen wie die Ausweitung des Emissionshandels oder auch der Social Climate Fund werden wahrscheinlich ein wenig länger brauchen.
Wenn sie Bundeskanzler wären, wie würden Sie Deutschland fit für die Klimaziele machen?
Ich würde den Ausbau der erneuerbaren Energien deutlich schneller vorantreiben und im Verkehr deutlich stärker auf Regulierungen setzen, auch mit Blick auf ein Tempolimit. Außerdem würde ich die Bürger*innen deutlich stärker einbeziehen und ihre Energie nutzen. Man muss sich nur die großartigen und fortschrittlichen Ideen anschauen, die uns der Bürgerrat Klima an die Hand gegeben hat. Es gibt so viel Tatkraft und einen starken Willen zur Veränderung, das muss man viel stärker nutzen. Sonst verlieren wir uns nur in Grabenkämpfen zwischen politischen Parteien während die Bürger*innen schon viel mehr wollen.
Was ist für Sie der größte Mythos mit Blick auf einen ambitionierten Klimaschutz?
Dass uns in der Zukunft irgendeine interessante Technologie retten wird. Hier gibt es ja unterschiedliche Ansätze – etwa mit Blick auf Carbon Capture and Storage-Technologien, also Ansätzen zur Speicherung von CO2. In so etwas wurde schon sehr viel Geld versenkt und trotzdem funktioniert es immer noch nicht so wirklich. Irreführend ist auch der Ansatz, dass wir unsere Gasboiler in Zukunft einfach mit Wasserstoff betreiben. Dabei sagt uns die Wissenschaft doch schon längst, dass das nicht funktionieren wird. Durch solche Ideen wird ein Zukunftsglauben ausgebeutet. Wir aber müssen die Lösungen der Gegenwart nutzen.
Vielen Dank für das Gespräch. Das Interview führte Christiane Weihe.
Michael Bloss hat an der Technischen Universität Dresden Internationale Beziehungen studiert und anschließend seinen Master in Globalisation and Development in London erworben (School of Oriental and African Studies). Bevor er 2019 für die Fraktion Die Grünen/Europäische Freie Allianz (EFA) selbst Mitglied des Europäischen Parlaments wurde, war er dort von 2014 bis 2018 politischer Referent und arbeitete im baden-württembergischen Landtag. Michael Bloss ist im EU-Parlament im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie sowie im Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. Darüber hinaus hat er den Koalitionsvertrag der schwarz-grünen Landesregierung in Baden-Württemberg mit Blick auf Energie, Umwelt und Klima mitgestaltet. Er ist in Baden-Württemberg Mitglied des Parteivorstandes.