Fürs Klima am Boden bleiben
Subventionen abschaffen, Kurzstreckenflüge streichen, Konsumgewohnheiten ändern. Das Netzwerk Stay Grounded hat klare Vorstellungen davon, wie ein klimagerechtes Transportwesen möglich wird. Über 160 Mitglieder, darunter viele Nichtregierungsorganisationen, Bürgerinitiativen und Klimagerechtigkeitsgruppen, sind bei Stay Grounded organisiert. Im Interview spricht Magdalena Heuwieser, Campaignerin und Pressesprecherin des Netzwerks, über ihre tägliche Arbeit für weniger Flugverkehr sowie ihre Ablehnung der Kompensation von Emissionen.
Magdalena Heuwieser, was war der Anlass für die Gründung von Stay Grounded?
[caption id="attachment_4318" align="alignright" width="300"] Magdalena Heuwieser, Quelle: Stay Grounded[/caption]
2016 begann ich, mich mit der Initiative „System Change, not Climate Change“ gegen den Bau einer dritten Start- und Landebahn am Flughafen Wien einzusetzen. Unsere erste Aktion bestand daraus, mit hunderten von Menschen eine rote Linie auf der Fläche zu ziehen, sowohl im Terminal als auch auf dem Acker, wo die Piste hinkommen sollte. Wir hatten im Vorfeld Erfahrungen anderer Gruppen eingeholt, die bereits gegen den Flughafenausbau in London-Heathrow oder auch in Mexiko Stadt und Istanbul protestierten und mussten feststellen: Es gab bisher keine Vernetzung zwischen Initiativen, die sich gegen das unbegrenzte Wachstum des Flugverkehrs engagieren. Der Aktionstag wurde global: In sieben Ländern fanden Proteste gegen die Verdrängung durch Flughafenprojekte und für eine Verringerung des klimaschädlichen Flugverkehrs statt. Damals beschlossen wir, die Vernetzung auszubauen.
Was sind die Ziele von Stay Grounded?
Wir setzen uns für ein klimagerechtes Transportwesen ein. Hierfür haben wir 2018 ein Positionspapier mit 13 Schritten veröffentlicht. Dazu gehört für uns zum Beispiel die Verlagerung auf klima-freundlichere Verkehrsmittel wie die Bahn, die Abschaffung von Kurzstreckenflügen und der Privilegien der Luftfahrtindustrie sowie die Schließung von Regionalflughäfen. Darüber hinaus braucht es jedoch auch die Veränderung unserer Lebens-, Arbeits- und Konsumgewohnheiten und deutlich lokalere Produktions- und Arbeitsweisen. Wichtig ist für uns, dass dieser Strukturwandel nicht auf Kosten der Beschäftigten in der Luftverkehrsindustrie geschieht, sondern dass gute Übergangsprozesse gestaltet und neue Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen werden.
Eine klimafreundliche Luftfahrt halten wir übrigens in den nächsten Jahrzehnten für sehr unwahrscheinlich. So sind zwar zum Beispiel synthetische Kraftstoffe entwickelt, doch wenn man alle vor der Covid-19-Pandemie bestehenden Flugverbindungen mit diesen Kraftstoffen betreiben wollte, bräuchte man hierfür mehr als die weltweite Produktionsmenge an erneuerbaren Energien. Es bliebe nichts mehr für andere Sektoren übrig. Agrartreibstoffe wie Palmöl lehnen wir ab. Die Hoffnung auf grünes Wachstum kann neue Probleme verursachen und verhindert die aktuell notwendigen Maßnahmen zur Reduktion von Flugverkehr.
Wie sieht die Arbeit von Stay Grounded aus?
Das Netzwerk besteht aus über 160 Mitgliedsorganisationen und zusätzlich Einzelpersonen. Entscheidungen über strategische Schwerpunkte unserer Kampagnen treffen wir im Konsens. Wir fünf Campaignerinnen und Campaigner kümmern uns um die Koordination von Arbeitsgruppen, die Unterstützung von und die Vernetzung zwischen den Mitgliedern und die Öffentlichkeitsarbeit. Darüber hinaus stellen wir den Mitgliedern zum Beispiel Analysen und Ressourcen für ihre Arbeit zur Verfügung und wir organisieren Webinare zu unterschiedlichen Themen. Darüber hinaus unterstützen wir unsere Mitglieder natürlich bei Protestaktionen.
[caption id="attachment_4319" align="aligncenter" width="699"] Mobilitätswende jetzt, Quelle: Copyright CC-BY_Stefan Müller[/caption]
Wie viel Radikalität ist bei solchen Aktionen aus Sicht von Stay Grounded erlaubt?
Unserer Meinung nach ist es durchaus Zeit für zivilen Ungehorsam, weil in den vergangenen Jahren die negativen Auswirkungen der Klimazerstörung mit legalen Mitteln nicht verhindert werden konnten. Aber gerade wenn es um den Flugverkehr geht, müssen solche Aktionen natürlich friedlich ablaufen – schließlich ist Sicherheit hier auch ein extrem wichtiges Thema. Am 31. Oktober 2020 hat unsere Mitgliedsorganisation „Am Boden bleiben“ beispielsweise eine Blockade-Aktion zur Eröffnung des neuen Berliner Flughafens BER organisiert.
Wie sind in der Regel die Reaktionen auf solche Proteste?
Bislang habe ich keine sehr schlechten Erfahrungen gemacht. Bei vielen Aktionen, die im Rahmen von Stay Grounded organisiert werden, geht es ja nicht darum, Passagierinnen und Passagiere am Fliegen zu hindern oder Einzelpersonen zu beschämen. Wir wollen hingegen die Industrie und die Politik in die Verantwortung nehmen. Das Presse-Echo war beispielsweise bei der kürzlichen BER-Aktion enorm hoch. Das sind Möglichkeiten, um die Debatte rund um Flugverkehr und Klima anzuregen und politisch Druck zu machen.
[caption id="attachment_4320" align="aligncenter" width="680"] Burn borders not kerosine, Quelle: Copyright CC-BY_Stefan Müller[/caption]
Wie hat die Covid-19-Pandemie diese Arbeit beeinflusst?
Als der Flugverkehr im Frühjahr 2020 eingebrochen ist, haben viele Fluglinien staatliche Hilfspakete gefordert. Wir haben darum die internationale Kampagne #SavePeopleNotPlanes gestartet. Denn es kann doch nicht sein, dass Milliarden Steuergelder in einer so klimaschädlichen und ohnehin enorm subventionierten Industrie versenkt werden. Jetzt wäre der Zeitpunkt, einen gerechten Strukturwandel zu finanzieren, der weder auf die Kosten der Beschäftigten in den fossilen Sektoren geht, noch auf Kosten unserer Zukunft.
Stay Grounded lehnt die Kompensation von Emissionen aus dem Flugverkehr ab. Warum?
Oft werden hierdurch Projekte unterstützt, die zu erneuten Landkonflikten führen oder die sowieso durchgeführt worden wären – und die Emissionen werden kein Stück gemindert. Gerade Waldprojekte sehen wir sehr kritisch, da niemand langfristig garantieren kann, dass die Emissionen in den Wäldern gebunden bleiben. Kompensation ist letzten Endes nichts anderes als Ablasshandel, um guten Gewissens weiter zu fliegen.
Gibt es aus Ihrer Sicht auch notwendige Flüge?
Für mich persönlich nicht. Ich habe keine Familie auf einem anderen Kontinent. Das heißt aber nicht, dass wir das Fliegen komplett abschaffen wollen – denn natürlich gibt es Menschen, für die das Fliegen zum Beispiel aus familiären Gründen wichtig ist, natürlich gibt es Konferenzen, die für den globalen Austausch und Zusammenhalt notwendig sind. Aber alleine, wenn wir die nicht notwendige Hypermobilität begrenzen, kann der Flugverkehr schon massiv reduziert werden.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Christiane Weihe.
Magdalena Heuwieser ist Campaignerin und Pressesprecherin des Netzwerks Stay Grounded, das sie mitbegründet hat. Sie hat Internationale Entwicklung an der Universität Wien studiert und setzt sich seit vielen Jahren für Klimagerechtigkeit ein. So hat sie bereits 2016 als Mitglied des Netzwerks „System Change not Climate Change“ gegen den Bau einer dritten Piste auf dem Flughafen Wien protestiert. Darüber hinaus hat Magdalena Heuwieser das Buch „Grüner Kolonialismus in Honduras – Land Grabbing im Namen des Klimaschutzes und die Verteidigung der Commons“ veröffentlicht.
Breite Informationssammlung auf der Website www.fliegen-und-klima.de des Öko-Instituts