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Gasnetze in Europa: Diskrepanz zwischen Gasinfrastrukturplanung und Klimaschutzzielen

Um die europäischen Klimaziele zu erreichen, muss der Verbrauch fossiler Gase signifikant sinken. Einige Netzbetreiber haben vor diesem Hintergrund bereits Pläne zur Stilllegung von Gasverteilnetzen angekündigt

In Mannheim soll das von der MVV betriebene Gasnetz bereits im Jahr 2035 stillgelegt werden, sodass ab diesem Zeitpunkt keine Erdgasversorgung für Gebäude mehr verfügbar sein wird. Enercity plant die Stilllegung des Gasnetzes in Hannover bis 2040.

Allerdings sind praktische Entscheidungen über die Planung, Wartung und den Ausbau der Gasinfrastruktur bislang häufig noch nicht auf diese Realität abgestimmt. Relevante politische Entscheidungen für die Gasinfrastruktur werden häufig als Reaktion auf Anfragen von Gasverteilernetzbetreibern und nicht in Übereinstimmung mit den Verpflichtungen zum Klimaschutz getroffen.

Im Rahmen einer Studie hat das Öko-Institut daher die Planungen und regulatorische Strukturen der Gasnetze in sieben europäischen Ländern (Belgien, Dänemark, Deutschland, Italien, Niederlande, Österreich, Großbritannien) untersucht. Die Untersuchung zeigt eine deutliche Diskrepanz zwischen den gegenwärtigen Strukturen der Gasverteilung und den Zielen der Dekarbonisierung und des Klimaschutzes.

Emissionsminderungen und Zukunftsvisionen

Szenarien zur Dekarbonisierung bis 2050 prognostizieren für die EU einen starken Rückgang des fossilen Gasverbrauchs bis 2040 und nahezu keinen Verbrauch mehr im Jahr 2050. Diese Prognose steht jedoch im Widerspruch zu den aktuellen Planungen vieler Mitgliedsstaaten, die den Erhalt oder Ausbau der Gasverteilungsinfrastruktur weiterverfolgen und in diese investieren. Diese Diskrepanz birgt das Risiko, dass die angestrebten Klimaziele verfehlt und unnötige Investitionen getätigt werden, die letztlich von den Verbraucher:innen zu tragen sind.

Widerspruch zwischen Netzplanung und Klimazielen

Die Gasnetzplanung basiert in der Regel auf Verbrauchsprognosen, die historische Muster sowie die erwartete zukünftige Nachfrage berücksichtigen. In diesem Kontext sind jedoch Klimaziele und nationale Initiativen zur Wärmewende von untergeordneter Bedeutung. Das Ergebnis ist, dass die Netze in vielen Fällen weiterhin instandgehalten oder sogar ausgebaut werden, um die prognostizierte Nachfrage zu decken – obwohl eigentlich eine Reduktion des Gasverbrauchs angestrebt werden sollte. Diese Diskrepanz stellt eine erhebliche Herausforderung auf dem Weg zu einem nachhaltigen Energiesystem dar und unterstreicht die Notwendigkeit einer stärkeren Abstimmung zwischen Gasnetzplanung und Dekarbonisierungsstrategien.

Regulatorische Hemmnisse und internationale Beispiele

Die Analyse zeigt, dass einige Länder bereits erste Maßnahmen zur Förderung des Netzabbaus implementiert haben, während in anderen Ländern die entsprechenden regulatorischen Richtlinien noch nicht vorhanden sind (siehe Abbildung). In Österreich, Belgien, Italien und Großbritannien beispielsweise existieren keine eindeutigen Richtlinien, die eine langfristige Unterstützung von Netzabschaltungen gewährleisten. In den Niederlanden hingegen wird eine degressive Abschreibung der Netzwerke gefördert, sodass die Kosten früherer Instandhaltungen aufgefangen und Netzbetreiber entschädigt werden. Diese Möglichkeit wurde ebenfalls in Deutschland im September 2024 von der Bundesnetzagentur durch die Anpassung der Abschreibungsmodalitäten implementiert.

Ein ambitioniertes Ziel verfolgt Dänemark, wo ein Zeitplan entwickelt wurde, um die Nutzung von Gas in Gebäuden bis 2030 zu beenden. Die dänische Regierung setzt auf eine sorgfältige Planung und Umsetzung der Maßnahmen durch den staatlichen Netzbetreiber Evida. Dieser hat bereits mit den Vorbereitungen zur Stilllegung der Netze begonnen.

 

Überblick über die länderspezifischen Erkenntnisse zur Regulierung der Stilllegung von Gasnetzen

Unterstützung für schutzbedürftige Verbraucher*innen

Die Unterstützung schutzbedürftiger Verbraucher:innen ist ein wichtiges Handlungsfeld. Infolge der zukünftig zu verteilenden Kosten des Netzes auf eine stetig sinkende Anzahl an Nutzer:innen ist mit einer Zunahme des finanziellen Drucks auf diejenigen zu rechnen, die sich keine Umstellung auf emissionsarme Alternativen wie Wärmepumpen leisten können. Deshalb wird empfohlen, Rahmenbedingungen einzuführen, die auch schutzbedürftigen Verbraucher:innen den Umstieg auf umweltfreundliche Heiztechnologien ermöglichen und sie vor höheren Netzgebühren zu schützen.

Empfehlungen zur Reform der Gasnetzregulierung

Die Studie gibt sechs zentrale Empfehlungen zur Umgestaltung der Regulierung der Gasnetze im Einklang mit den Klimazielen:

1.  Phase-out-Ziele festlegen und Klimamandat für Regulierer schaffen: Regulierer sollten verpflichtet werden, Klimaziele zu berücksichtigen und die schrittweise Stilllegung bestehender Gasnetze zu planen.

2. Regulatorische Rahmenbedingungen anpassen:

  • Schaffung eines Regulierungsrahmens, der die Ablehnung von Neuanschlüssen an das Gasnetz und die Trennung bestehender Kunden vom Netz ermöglicht.
  • Anreize für den Netzausbau (z.B. durch Konzessionsverträge) und zusätzliche Kundenanschlüsse schrittweise beenden.
  • Ermöglichung der Kostendeckung für die zukünftige Stilllegung oder den Rückbau des Netzes über laufende Netzentgelte oder Finanzierungsmechanismen, wobei diese Gelder für die spätere Stilllegung und den Rückbau zurückgestellt werden.
  • Vermeidung von Stranded Assets, gleichmäßige Verteilung der Stilllegungskosten über einen längeren Zeitraum und Verkürzung der Abschreibungszeiträume für vergangene und künftige Infrastrukturinvestitionen, so dass sie zum Zeitpunkt der Stilllegung des Netzes vollständig amortisiert sind.

3. Integrierte Wärme- und Netzplanung vorantreiben: Die Planung von Gasinfrastruktur und der Wärmeversorgung sollte an Klimaziele angepasst und kohärent gestaltet werden.

4. Realistische Annahmen zur Verfügbarkeit emissionsfreier Technologien treffen: In Anbetracht der langen Investitionszyklen ist bei der Installation neuer Heizsysteme darauf zu achten, dass diese mit den langfristigen Klimazielen vereinbar sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die künftige Verfügbarkeit und der Preis von Biomethan und Wasserstoff unsicher sind.

5. Datenerfassung auf EU-Ebene fördern: Während die Gasnachfrage vom statistischen Amte der europäischen Union (Eurostat) detailliert erfasst wird, sind Daten über die Gasinfrastruktur auf nationaler Ebene schwer zu erhalten. Um die zeitliche Entwicklung der Gasnetze zu verfolgen, sollten Daten über die Gasnetze in allen Mitgliedstaaten gesammelt und veröffentlicht werden. Auf diese Weise lässt sich systematisch feststellen, ob die Veränderungen der Infrastruktur mit den Klimazielen und dem verbundenen Rückgang des Gasverbrauchs in Einklang stehen.

6. Unterstützung für schutzbedürftige Kund*innen priorisieren: Finanzielle Unterstützung und klare Ausstiegshilfen sollten bereitgestellt werden, um die Lasten fair zu verteilen und eine sozialverträgliche Energiewende zu ermöglichen.

Der Blogbeitrag erschien zuerst am 11. Dezember 2024 im Blog "transforming economies".

Weitere Informationen

Studie „Breaking free from fossil gas: planning and regulating Europe's gas networks“ von Öko-Institut und RAP

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