Gemeinsame Vision damit die Endlagersuche gelingt
In einer neuen Studie haben wir im Auftrag des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) untersucht, welche Abläufe das Standortauswahlgesetz (StandAG) vorsieht und mit welchem Zeitaufwand dafür zu rechnen ist. Das StandAG regelt die Suche nach einem Endlager für hochradioaktive Abfälle – mit 2031 als Zielmarke für die Standortbestimmung. Diese Zeitspanne greift nach heutigen Erkenntnissen jedoch zu kurz. Vielmehr zeigt die Studie unter Betrachtung des heutigen Kenntnisstandes, dass die Suche erst 2074 abgeschlossen sein wird.
Zugrunde liegt dem Zeitplan, dass die Verfahrensschritte in einem realistischen Zeitraum ohne großen Verzug abgeschlossen werden. Dass die Suche sich über diesen langen Zeitraum erstreckt, liegt unter anderem daran, dass für die Endlagersuche neue Wege gesucht wurden: Dabei werden alle in ganz Deutschland vorhandenen Gebiete mit Kristallingestein, Tongesteinen oder Salzformationen ergebnisoffen bewertet. Ein wichtiger Anspruch dabei ist, dass auf der Suche nach einem Standort mit bestmöglicher Sicherheit die Öffentlichkeit möglichst umfassend und breit beteiligt wird.
Die Suche erfolgt zudem in mehreren aufeinander aufbauenden Phasen, im Verlauf der Zeit wird die Anzahl der Regionen immer geringer. Ergänzend ist vorgesehen, dass sich auch der Suchprozess selbst weiterentwickeln kann – um die partizipativen Schritte zu überprüfen und den Stand der Technik fortlaufend zu berücksichtigen. Das alles braucht Zeit, wie nun erstmalig in der Studie fundiert eingeschätzt wurde.
Um das Verfahren wie geplant in einem realistischen Zeitraum umzusetzen, wäre es notwendig, dass alle im Verfahren handelnden Akteure eine gemeinsame Vision entwickeln, wie das Standortauswahlverfahren (StandAV) ablaufen soll und sich gegenseitig dabei unterstützen. Ein gemeinsames Verständnis über den Ablauf des Verfahrens hilft auch, den teils widersprüchlichen Anforderungen an das Verfahren, das partizipativ, wissenschaftsbasiert, transparent, selbsthinterfragend und lernend ausgestaltet sein soll, zu begegnen.
Ablauf des Standortauswahlverfahrens
Im StandAG sind drei Phasen vorgesehen, um ein Endlager für den hochradioaktiven Abfall festzulegen. Jede der drei Phasen ist in mehrere Arbeitsschritte untergliedert. Einen Teil der Arbeitsschritte setzt die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) um, wie die geologische Erkundung der möglichen Gebiete und ihre Bewertung im Hinblick auf ihre Eignung als Endlagerstandort. Andere Schritte werden durch das BASE verantwortet.
Es überwacht zum einen den Findungsprozess und prüft die Vorschläge für passende Gebiete. Zum anderen organisiert es die Öffentlichkeitsbeteiligung, die unter anderem über Regional- und Fachkonferenzen stattfindet. Vorgesehen sind in jeder Phase außerdem Nachprüf- und Stellungsnahmeverfahren sowie Erörterungstermine.
Die breite Einbeziehung der Öffentlichkeit ebenso wie die aufwendigen Arbeitsschritte für eine belastbare wissenschaftliche Auswahl führen zu langen Zeitabläufen, die notwendig sind, um die Prozesse so auszugestalten, dass sie zu einem tragfähigen Ergebnis führen. Das Ziel hierbei: eine möglichst große Zustimmungsfähigkeit der Öffentlichkeit.
Für den Zeitplan haben wir die bereits durchgeführten Schritte nach ihrem tatsächlichen Zeitaufwand aufgeführt, für die zukünftigen Schritte haben wir uns auf eine Literaturrecherche, Experteninterviews und unsere eigene Expertise aus vergangenen Verfahren gestützt. Anschließend haben wir unsere Ergebnisse mit dem Zeitplan der BGE aus dem Jahr 2022 verglichen, die für ihre eigenen Verantwortlichkeiten teils detaillierte Zeitpläne oder -schätzungen vorsieht.
Risiken für die Verfahrensdauer
Um die Herausforderungen bei der Endlagersuche festzustellen, haben wir eine Risiko- und Konsequenzenanalyse durchgeführt und verschiedene relevante Auswirkungen eingeschätzt. Interessiert haben uns dabei Auswirkungen auf den Zeitbedarf, auf die Zustimmungsfähigkeit in das Verfahren und auf die Qualität des zu erzielenden Ergebnisses. Die Konsequenzenanalyse zeigt, wie groß diese Auswirkungen einzelner Risiken werden können, wenn auch die Folgerisiken mit betrachtet werden.
Ein Risiko, das sich stark auf den Zeitverlauf des Prozesses auswirkt, kann durch eine große Anzahl von Standortregionen entstehen. Je nachdem, wie viele vorgeschlagen werden, erhöht sich die Anzahl vieler aufwendiger Schritte (unter anderem die Anzahl der Regionalkonferenzen und die Prüftätigkeiten durch das BASE). Wir empfehlen, dass die verschiedenen Akteure sich auf eine maximale Anzahl von Standortregionen einigen, die am Ende der Phase 1 für nähere Untersuchungen vorgesehen werden sollen. Lediglich die Gebiete mit dem Potenzial, ein „Standort mit bestmöglicher Sicherheit“ zu werden, sollten in die nächste Phase aufgenommen werden.
Weitere Risiken für den Zeitbedarf des Verfahrens können durch die Aufbereitung und Zusammenstellung der Daten entstehen. Auch der Öffentlichkeitsdialog kann durch eine Informationsflut oder ein Ungleichgewicht im jeweiligen Wissen verzerrt werden und verschiebt sich dadurch. Der Umgang mit Ungewissheiten kann ebenfalls zu Verzögerungen, aber auch zu einer Verminderung der Zustimmungsfähigkeit oder auch zu einem Qualitätsverlust im Verfahren führen.
In der Beteiligung der Öffentlichkeit sind es beispielsweise die Konzeption und Organisation der Regionalkonferenzen oder auch entstehender Beratungsbedarf oder Schlichtungsaufwand, der die Standortsuche verzögern kann. Ebenso kann weiter Zeitaufwand entstehen, wenn noch unklare Punkte geklärt werden müssen, bevor eine Geschäftsordnung für die Regionalkonferenzen erstellt wird. Auch die Einbindung der Nachbarstaaten kann zu höherem Zeitbedarf führen.
Die Endlagersuche als Chance
Hilfreich für den Prozess des StandAV wäre es, den im Gesetz verankerten selbsthinterfragenden Aspekt als Chance zu sehen. In einem vorwärtsgewandten lernenden Verfahren können Fehler und der Umgang mit ihnen oder transparente Diskurse das Ergebnis verbessern. Wichtig ist auch, jeweils neue Erkenntnisse aus Wissenschaft und Technik für die Endlagersuche zu berücksichtigen.
Für eine breite öffentliche Zustimmungsfähigkeit wäre auch eine gemeinsame Kommunikationsstrategie der beteiligten Akteure empfehlenswert, die auf der entwickelten Vision aufbaut. Unstimmigkeiten zwischen den Akteuren führt zu Unverständnis in der Bevölkerung und könnte der Suche nach einem Endlager für hochradioaktive Abfälle schaden. Denn klar ist, eine erfolgreiche Standortsuche ist im Sinne generationenübergreifender Verantwortung notwendig, um die vorhandenen Abfälle über eine Million Jahre sicher zu lagern.
Judith Krohn ist Senior Researcher im Bereich Nukleartechnik & Anlagensicherheit am Standort Darmstadt und forscht zu Risikodiskursen und Partizipation in Konfliktfeldern. Die Endlagersuche ist seit Langem ein Forschungsschwerpunkt von ihr. Silvia Schütte ist stellvertretende Leiterin des Bereichs Umweltrecht & Governance am Standort Darmstadt. Ihr Forschungsschwerpunkt ist nationales und europäisches Umweltrecht.
Weitere Informationen