Gezielter trennen & sortieren: Wertschöpfung von „Urban Mining“ im Bau- & Altfahrzeugsektor erhöhen
Das Umweltbundesamt beschreibt Urban Mining als integrale Bewirtschaftung des anthropogenen – also dem vom Menschen geschaffenen – Lagers mit dem Ziel, aus langlebigen Gütern sowie Ablagerungen Sekundärrohstoffe zu gewinnen. Daraus ergeben sich die Fragen: Wo liegen die Sekundärrohstoffe, in welchen Mengen und wie können diese abgebaut werden? 2010 lagen in Deutschland rund 52 Milliarden Tonnen Material im anthropogenen Lager, wovon die Mehrheit im Hoch- und Tiefbau zu finden war. Schätzungen gehen davon aus, dass das Lager in Deutschland jährlich um 0,8 Milliarden Tonnen wächst. Mineralische Materialien machen den größten Anteil aus, Metalle – mit Stahl als größtem Posten – sind am wertvollsten.
Höherwertige Verwertung von Stahl & Schotter im Bausektor
Rund ein Drittel des deutschlandweiten Stahlbedarfs liegt im Bausektor, die Tendenz ist steigend. Im Jahr 2019 wurden 6,3 Millionen Tonnen (Mio. t) Altstahl aus dem Baubereich gewonnen. Die Sammelquote für Stahl und Eisen aus dem Bausektor ist mit 97 bis 99 Prozent bereits sehr hoch.
Im Jahr 2020 benötigte der Bausektor 584 Mio. t mineralische Baustoffe, also Natursteine, Kies, Sand und weitere Gesteinskörnungen, besonders als Teil von Beton. 220 Mio. t Bauabfall kommen pro Jahr zusammen, daraus werden 77 Mio. t Baustoffe recycelt und wieder eingesetzt. Hier ist noch Luft nach oben. Vor allem, weil Sand weltweit knapper wird, die Deponiekapazitäten begrenzt sind und auch die Entsorgungswege länger und damit teurer werden. Hier gibt es demnach konkrete Anreize für eine höherwertige Verwertung.
Hinzukommt, dass im Jahr 2010 noch dreimal so viel Material in den Gebäudebestand hinein gebaut wurde wie schlussendlich an Material herausgekommen ist. Laut Christian Dierks, wissenschaftlicher Mitarbeiter am ifeu, setzt sich diese Entwicklung nicht fort. Er geht davon aus, dass die Materialflüsse im Gebäudebestand sich im Vergleich zum Neubau zugunsten des zu entnehmenden Materials auf 1:1,5 oder 1:1,3 verschiebt. Trotzdem wird es aufgrund von Verlusten beim Recycling vermutlich keine vollständige Bedarfsdeckung aus Recyclingmaterial geben.
In Betrachtung der Umweltwirkungen von Baustoff-Recycling zeigt sich, dass vor allem die Transporte zur Aufbereitung und zum Einsatzort hohe Emissionswerte haben. Hier gilt es stärker auf Regionalität zu setzen. Das Eisenschrott-Recycling ist dabei nicht nur wirtschaftlich, sondern auch angesichts der Emissionen sehr relevant. In Zukunft wird wahrscheinlich die Verwertung des beim Brechen des Altbetons anfallenden Feinmaterials von besonderer ökologischer Bedeutung sein. Dieses enthält einen großen Anteil des alten Zementsteins und könnte wieder zu Zement-Ersatz aufbereitet werden. Auch ist es möglich, an diesem Material CO2 permanent zu binden.
Schrottwertschöpfung durch verbesserte Trennung & Aufbereitung erhöhen
Dr. Melanie Leitner, Postdoc Metallurgical Process Efficiency and Circularity bei der K1-MET GmbH, widmet sich den Herausforderungen sowie Lösungsansätzen vom Stahlrecycling im Bausektor. Hinsichtlich des Rohstahls wird global von einem etwa 30-prozentigem Mehrbedarf im Jahr 2050 ausgegangen. Die größte Nachfrage liegt dann wahrscheinlich in den Schwellenländern. Aktuell benötigt der Sektor Bau und Infrastruktur etwas mehr als 50 Prozent des global produzierten Stahls. Gebäude weisen die längste Nutzungs- beziehungsweise Verweildauer auf, wodurch 70 Prozent des jemals produzierten Stahls noch immer in Gebrauch befinden.
Die EU zählt als Nettoexporteur von Schrott, denn 2022 exportierte die EU Schrott in der Höhe von 17,6 Mio. t und importierte 3,9 Mio. t. Aktuell wird hier aufgrund der minderen Schrottqualität wenig Recycling betrieben, Schrott zählt aber als ein wertvoller Sekundärrohstoff und zeigt großes Potential als Eisenquelle und Kühlmittel in der Stahlproduktion, schont die Ressourcen und ist somit von hoher Bedeutung für die klimaneutrale Stahlerzeugung. Darüber hinaus schafft Schrott wirtschaftliche Vorteile. Störelemente wie Molybdän, Nickel, Kupfer, Zinn und weitere beeinflussen die Beschaffenheit beziehungsweise die Verwendung der Materialien und begrenzen das Recycling. Kupfer im Stahl führt unter anderem zu Oberflächenrissen beim Warmwalzen und Umformen, Molybdän senkt die kritische Abkühlungsgeschwindigkeit für die Martensitbildung, die zentral für die guten Eigenschaften des Stahls ist. Noch ist die Aufbereitung von Schrott gegenüber dem Neukauf von primären Rohstoffen – also Erzen – teurer und durch den Export der Schrotte gehen hochwertige Materialien in der EU verloren. Aus diesem Grund müssen Rohstoffe besser und in größeren Mengen aufbereitet werden. Dr. Melanie Leitner sieht einige Maßnahmen, die Schrottwirtschaft zu verbessern. Es gilt Störstoffe beispielsweise durch verbesserte Sensorik zu entfernen und Materialien generell gezielter zu trennen sowie eine effizientere Aufbereitung hinsichtlich Charakterisierung und Sortierung zu schaffen. Und schließlich soll Stahl aus Sekundärrohstoffen auch die Qualitätsanforderungen erfüllen, sodass sich dieser zumindest zum Teil in Bereichen wie dem Automobilsektor verwendet lässt. Denn ein geschlossener Recyclingkreislauf kann zu einer CO2-Einsparung von 1,67 t pro Tonne Schrott führen.
Der Bausektor als Senke für den Stahl?
Die Nutzung von Rohstoffen aus dem Automobilsektor wird im Öko-Institut unter anderem im Projekt „Kartierung des Anthropogenen Lagers V - Strategieentwicklung für einen nationalen Urban Mining Prozess“ untersucht. Ausgangspunkt in Deutschland sind etwa 49 Millionen Pkw, welche überwiegend Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor sind. Hinsichtlich der verfügbaren Ressourcen im Pkw nimmt Stahl mit 52,1 Mio. t den größten Anteil ein. Kunststoff liegt mit 11 Mio. t an zweiter, Aluminium mit 8,7 Mio. t an dritter Stelle. Antriebsbatterien aus E-Pkw sind mit 1,3 Mio. t im Rohstofflager vorhanden und Kupfer und Zinn machen einen Anteil von 1,1 Mio. t aus. Die meisten der in Deutschland endgültig außer Betrieb gesetzten Fahrzeuge (knapp 3,3 Millionen im Jahr 2018) werden in die EU exportiert, ein sehr kleiner Anteil geht auch direkt in Nicht-EU-Länder. Insgesamt machen die Exporte etwa einen Anteil von 78 Prozent aus. Der Restanteil wird – anerkannt oder nicht anerkannt – demontiert und geschreddert bzw. danach erst exportiert. Das Ressourcenpotenzial ist demnach stark verringert, jedoch immer noch enorm.
Die Recyclingroute für Altfahrzeuge startet mit der Trockenlegung, wobei Flüssigkeiten wie Öle entfernt werden, danach erfolgt die Demontage ausbaupflichtiger Teile wie dem Katalysator oder Batterien. Dabei können auch wiederverwendbare beziehungsweise für das getrennte Recycling gedachte Teile demontiert werden. Anschließend wird die Restkarosserie inklusive des Motorblocks geschreddert und die geschredderten Stoffe in mehrere Fraktionen separiert. In der Schwerfraktion landen vor allem Metalle, die sich gut für die Wiederverwertung eignen und wie Stahl auch gute Recyclingquoten haben. Die Leichtfraktion besteht zum großen Teil aus Kunststoffen.
Das aus diesen Fraktionen wiedergewonnene Material geht allerdings mit Qualitätseinbußen einher, weshalb zum Beispiel der Stahl eher für den Bau- als den Fahrzeugsektor relevant ist. Der im Stahl enthaltene Kupfergehalt wirkt sich – wie bereits beschrieben – negativ auf die Materialbeschaffenheit aus. Daher bietet sich für die Weiterverwendung fast nur der Bausektor an. Zur Verbesserung der Stahlqualität und potenziellen Erschließung weiterer Verwendungsbereiche ließe sich der Kupfergehalt beim Pkw-Recycling fast halbieren, indem vor der Demontage der Hauptkabelstrang entfernt werden würde. Auch eine stärkere Trennung der Materialien im Nachhinein ist möglich, allerdings auch teuer. Im Kunststoffrecycling fehlt es zudem an Optionen. Es gibt eine große Materialvielfalt, viele Schadstoffe, die früher als Teil von Additiven eingesetzt wurden, um bestimmte Eigenschaften wie Flammschutz zu erreichen, sowie eine fehlende Wirtschaftlichkeit gegenüber der Neuproduktion. Und bislang gibt es keine gesetzlich festgelegten Vorgaben zur Materialtrennung vorm Schreddern. Ein Lösungsansatz aus Sicht des Öko-Instituts wären hier Rezyklat-Einsatzquoten, die auf EU-Ebene bereits diskutiert werden. Auf EU-Ebene ist demnach ab dem Jahr 2030 eine verpflichtende Einsatzquote von 25 Prozent Post-Consumer-Kunststoffrezyklaten in jedem Neufahrzeug geplant.
Langfristig gilt es den Kunststoffsektor zu defossilisieren und die Prozesse des Urban Minings, also der Rückgewinnung von Ressourcen aus dem anthropogenen Lager, sinnvoll in die Kreislaufwirtschaft – also die Eindämmung der Ressourcennutzung, die Wiederverwendung, Reparatur und weitere – einzubinden.
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Die Teilnehmer*innen des Onlineforums waren sich einig, dass es weiterer Anreize für das Recycling gegenüber Neuproduktion bedarf. Die Verwertung sekundärer Stoffströme muss insgesamt wirtschaftlicher werden. Im Bausektor ist zudem auch ein Blick auf Regionalität wichtig, da Transporte mit hohen Emissionen einhergehen. Unter anderem wurden Baustoffbörsen als Idee für eine Übersicht zu verfügbaren Baustoffen genannt. Es kam auch die Frage einer möglichen Konkurrenz von Rezyklatquoten im Bau- und Fahrzeugsektor auf.
Diese und weitere Fragen besprechen wir dann gemeinsam mit Akteur*innen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik sowie der Zivilgesellschaft auf unserem halbtägigen Abschlussforum zur „Circular Economy – What’s next?“ am 5.11.2024 in Berlin. Eine Zusammenfassung der wichtigsten Aussagen und Erkenntnisse vom Onlineforum zum Thema „Rohstoffgewinnung aus der Stadt – anthropogenes Rohstofflager“, das am 24. September 2024 stattfand, gibt es in der Sonderfolge von „Wenden bitte!“
Dr. Johannes Klinge (geb. Betz) arbeitet zu kritischen Rohstoffen und deren Versorgungssicherheit. Er ist Senior Researcher im Bereich „Ressourcen & Mobilität“ am Standort Darmstadt.
Eine Dokumentation aller Veranstaltungsteile des Wissenschaftsforums mit den Präsentationen der Vortragenden und weiteren Inhalten finden Sie unten bei den einzelnen Veranstaltungen, jeweils unter „Dokumentation“.
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