Internationales Plastikabkommen mit lokalen Realitäten verknüpfen
Plastikmüll einer Mahlzeit von zwei Personen in Thailand.
Im März 2022 gab es viel Begeisterung, als die Umweltversammlung der Vereinten Nationen (UN Environmental Assembly) beschlossen hat, ein umfassendes internationales Plastikabkommen zu verhandeln. Am 24. November 2022 ist die EU der High Ambition Coalition beigetreten. Von allen Seiten gibt es hohe Erwartungen, das globale Plastikmüll-Problem in den Griff zu bekommen. Während Ende November 2022 die erste high-level Verhandlungsrunde für das Abkommen startete, haben uns unsere Reisen nach Südostasien mit den lokalen Realitäten dort konfrontiert.
Wir haben drei Beispiele (im Folgenden A, B, C) herausgegriffen, die zeigen, wie die lokalen Realitäten überall auf der Welt unterschiedlich aussehen, wie dort trotzdem Fortschritte erzielt werden können und warum sie mit den Debatten während der Verhandlungen des internationalen Plastikabkommens verknüpft werden müssen.
Unterwegs waren wir mit finanzieller Unterstützung der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Vorhaben „Nachhaltige Lösungsansätze zur Reduzierung von Kunststoffverpackungen in Asien“, das das Bundesumweltministerium (BMUV) im Programm „Exportinitiative Umwelttechnologien“ fördert
A: „Reusables“ heißen in Indonesien „Returnables“ und werden als Lifestyle beworben. Aber ohne Besteuerung und Verbote für Einwegverpackungen und positive monetäre Anreize für Mehrweglösungen wird Plastik nicht zu reduzieren sein.
ReUse, also Wiederverwendung, ist ein wichtiger Ansatz, um Plastikmüll zu vermeiden. Obwohl Einwegverpackungen in Südostasien das alltägliche Straßenbild prägen, gibt es zum Beispiel auf lokalen Märkten auch wiederverwendbare Teller und Schüsseln sowie eine zentrale Sammel- und Spülstelle.
In Indonesien, Malaysia und Thailand treffen (politische) Maßnahmen zur Förderung von Mehrweglösungen allerdings auf große Skepsis. Vorgeschoben werden Argumente zu fehlenden Hygiene- und Gesundheitsstandards. Es fehle an Waschstationen und/oder Sammel- und Rückverfolgbarkeitslogistik und die Bevölkerung habe kein Interesse. Dabei sind Maßnahmen zur Förderung von ReUse nötig, um das Ziel der indonesischen Regierung zu erreichen, 70 Prozent Plastik zu vermeiden bis zum Jahr 2027.
Die kleinen Anbieter von ReUse-Lösungen vermarkten ihre Produkte eher als „Returnables“ („zurückbringbar“) und nicht als „Reusables“ („wiederverwendebar“), um nicht den Eindruck von etwas Schmutzigem zu erwecken. Welche negativen Folgen Einwegplastik bei der Nutzung hat, beispielsweise durch Bestandteile, wie die Weichmacher oder Bisphenol A, wird nicht thematisiert.
Statt in die Verbesserung des Prozesses zu investieren, zum Beispiel in eine Rücknahmeinfrastruktur („Reverse logistics“) oder zentrale Wäschereien für Reusables, wird lieber in „moderne Technologien“ und große (einzelne) Anlagen investiert. Auch in der internationalen Kooperation herrscht dieses Denken vor. Wir haben ReUse-Systeme als „modern“ geframt, zum Beispiel durch die Nutzung von digitalen Apps für die Rückverfolgbarkeit und Abrechnungsmodalitäten, um das Interesse der Finanzierungsinstitutionen zu wecken.
Jedoch wird das Ziel der Reduzierung von Einwegverpackungen nicht zu erreichen sein.
Neben einem klaren Bekenntnis der Verhandler*innen des Plastikabkommens zu Plastikvermeidung und ReUse bedarf es
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einer hohen Besteuerung von Einweg,
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negativer Anreize (= Verbote) für ressourcen-intensive Einwegplastikprodukte sowie
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erheblicher positiver Anreize, großer Förderprogramme und Subventionen für zirkuläre Mehrweg-Geschäftsmodelle
… wie schon in diesem Blog geschrieben.
Die Zielgruppe von ReUse-Unternehmen ist noch klein, städtisch und jung. Überall auf der Welt müssen nationale Regierungen und kommunale Entscheidungsträger*innen Maßnahmen ergreifen, die ReUse-Lösungen massenmarkttauglich machen
B: Upcycling vs. Downcycling vs. Recycling: Es braucht eine klare Definition und ein breites Verständnis.
Es ist faszinierend und schockierend zugleich, wie man die Begriffe Upcycling, Downcycling und Recycling auslegen kann: So wird die Verwendung aus recyceltem PET in Textilien als Upcycling angepriesen. Auf einer Erklärtafel in einer Material Recovery Facility (MRF) steht: „recycling involves destruction of waste in order to create something new”. Also: Der Unterschied zwischen Recycling und Upcycling sei, dass man im Falle von Recycling den Abfall bzw. das Material kaputt machen müsse, um etwas Neues zu schaffen, während beim Upcycling direkt aus Abfall etwas Neues entstehe.
Auch was genau das sogenannte advanced recycling ist, wissen die Wenigsten. Es ist ein häufig von der Industrie verwendetes Wort für das chemische Recycling; ein Oberbegriff für unterschiedliche Verfahren, von denen keins bisher großtechnisch verfügbar ist. Pyrolyse ist eins davon. Die Arbeit von unseren Kolleg*innen zeigt, dass eine emissionsfreie Wirtschaft basierend auf chemischem Recycling nahezu unmöglich ist. Sie zeigen, dass mechanisches Recycling wo immer möglich, der Pyrolyse vorgezogen werden sollte.
Eine Strategie zur Förderung eines mechanischen Recyclings im großen Stil, um Rezyklat-Anteile in den Verpackungen zu erhöhen, sollte auf der politischen Agenda der Verhandelnden des Plastikabkommens weit oben stehen. In welchen Fällen und unter welchen Umständen das chemische Recycling in der Circular Economy für Plastik eingesetzt werden soll, wird in der EU bereits hitzig ausgehandelt. In Südostasien scheint die Entscheidung für die tragende Rolle des chemischen Recyclings schon gefallen zu sein – trotz hohem Energieaufwand, schlechterer Ökobilanz als mechanisches Recycling und hohen Kosten.
Hier besteht ein großer Bedarf an unabhängiger und wissensbasierter Beratung, da die großen Investitionen in Technologien mit zweifelhaftem Umweltnutzen zu unerwünschten Lock-In-Effekten führen und die Bemühungen für eine Plastikreduktion verwässern würden. Damit ist gemeint, dass vor der Entscheidung für Investitionen der Umweltnutzen möglicher Maßnahmen verglichen werden sollte. Gefördert werden sollten diejenige Maßnahme mit dem höchsten Potenzial, die Umwelt zu entlasten. Bei Investitionsentscheidungen ohne solche Analysen stehen sonst möglicherweise weniger Gelder für die Förderung von Maßnahmen mit hohem Umweltnutzen zur Verfügung.
Mit diesem uneinheitlichen Hintergrundwissen redet man dann beispielsweise in den Workshops in Indonesien und Thailand über Rezyklat- und Recyclingziele – ohne gemeinsame Definitionen und ohne Debatte über die Prioritäten. Diese Unklarheit findet man selbst in den politischen Zielen: In Thailand beispielsweise wird in der nationalen Roadmap über Plastikabfallmanagement (2018 bis 2030) das Ziel von 100 Prozent Recycling von Kunststoffen bis zum Jahr 2027 formuliert. Aber ohne zu differenzieren, welche Art von Recycling gemeint ist.
Insofern wird man sich über das Verständnis und Definitionen einig werden müssen, wenn sich Politiker*innen treffen, um das Plastikabkommen zu verhandeln. Und wenn das gemeinsame Verständnis auf dem hohen Niveau vorhanden ist, wird noch viel Übersetzungsarbeit der Debatten während der Verhandlungen eines internationales Plastikabkommen in die lokalen Realitäten nötig sein
C: Falscher Fokus: Der Einsatz der Müllverbrennung und Deponien muss zukünftig geringer werden
Auf dieser Müllkippe werden 24 Stunden pro Tag an sieben Tagen die Woche die Abfälle aus Jakarta angeliefert.
Wenn man am Fuß der größten Deponie Südostasiens in Jakarta steht, fragt man sich, wieso wir als Gesellschaft nicht viel, viel mehr machen, um Abfälle zu minimieren und zu vermeiden. Es gibt 50 Meter hohe Berge an Müll. Menschen – „Waste Picker“ – tummeln sich wie Ameisen auf dem Berg in der Hitze und stochern, um etwas von Wert zu finden. Sie arbeiten 24 Stunden an sieben Tagen der Woche. Vor lauter Müll scheint man nur noch die kurzfristigen Lösungen zu sehen: Plakate in den Gebäuden bei der Deponie werben für Maßnahmen, die die Lebensdauer von Deponien verlängern sollen. Abfallverbrennung wird als Beitrag zur Minimierung von Abfällen propagiert.
Besser wäre es, die Lebensdauer der Produkte zu verlängern und Ressourcen möglichst lang im Kreislauf zu halten. In Indonesien soll die Müllverbrennung zwar zurückgefahren, aber immer mehr Kunststoffabfälle als Refuse Derived Fuel (RDF) als Brennstoff in Zementwerken verfeuert werden. Das ist unter den aktuellen Umständen eine sinnvolle Second-Best-Option, denn die Länder in Südostasien erleben in den nächsten Jahrzehnten einen Bauboom. Die Zementnachfrage ist entsprechend enorm und mit RDF kann man Kohle als Brennstoff ersetzen. Es ist besser als die Deponierung oder die Verwertung in einer Müllverbrennungsanlage, die oft sehr ineffizient mit schlechten Wirkungsgraden arbeiten. Mittelfristig sollen aber Maßnahmen umgesetzt werden, um mechanisches Recycling zu fördern oder noch besser, um Plastikabfälle zu verringern und Deponien sowie Müllverbrennungsanlagen möglichst überflüssig zu machen.
Kommunen könnten für die Abfallvermeidung viel tun mit Verboten, der Einrichtung von Getrennt-Abfallsammelstellen, plastikfreien (Groß-)Veranstaltungen, öffentlicher Beschaffung und, und, und. Finanziert werden könnte das zum Beispiel durch Abfallabgaben der Einwohner*innen und Gewerbe sowie durch die Implementierung eines verpflichtenden erweiterten Herstellerverantwortungsmechanismus.
Die Regierungen können die Kommunen allerdings nicht alleine lassen. Denn viele Maßnahmen müssen auf nationaler Ebene entschieden werden. Beispiele sind fiskalische Maßnahmen, wie Steuern und Abgaben auf Einwegkunststoffe, die Entwicklung von Richtlinien und Standards für wiederverwendbare Produkte sowie die zugehörigen Prozesse oder die Festlegung von nationalen Zielvorgaben für wiederverwendbare Behälter im Markt.
Auf allen Ebenen – lokal, national und beim internationalen Plastikabkommen – müssen Fortschritte erzielt werden, um in Zukunft weniger neue Deponien zu eröffnen, weniger Abfälle zu verbrennen und die Arbeitsbedingungen im Abfallsektor zu verbessern. Das alles, um die Plastikabfälle und ihre Nebenwirkungen beherrschen zu können.
Unser Fazit
Dass etwas geschehen muss, hat die Weltgemeinschaft im März 2022 anerkannt, als beschlossen wurde ein internationales Plastikabkommen zu verhandeln. Dass etwas geschehen muss, wissen auch alle, die wir auf der Reise getroffen und gesprochen haben. Wie man die Ziele umsetzt, die verhandelt und voraussichtlich von nationalen Regierungen ratifiziert werden? Dazu gibt es viele Fragezeichen.
Unsere Partner-Institutionen haben uns in einigen Fragen um Unterstützung und Orientierung sowie Hilfe bei Argumentationen gebeten. Wir wurden beispielsweise gefragt, wie die Anfrage der Betreiber von chemischen Recyclingprozessen, den gesamten Kunststoffabfall der Hotelindustrie als Input für ihre Prozesse zu bekommen, fachlich zu bewerten ist. Und welche Recyclingoptionen überhaupt in Frage kommen. Ein weiterer Fall: Unternehmen aus dem Ausland setzen die Regierungen unter Druck, ein (noch) fragliches Verfahren für biologische Abbaubarkeit von Plastik in der natürlichen Umgebung im Rahmen ihrer Standardisierung anzuerkennen. Jedoch ist dies bisher nur in dafür vorgesehenen technischen Kompostieranlagen möglich. Und eine der großen Fragen: Wie wird ReUse massentauglich? Hier brauchen unsere Partner fachliche und wissenschaftliche Argumentationslinien.
Vor dem Hintergrund begrüßen unsere politischen Partner unsere auf Grundlage wissenschaftlicher und unabhängiger Analyse erarbeiteten Vorschläge für Politikmaßnahmen zur Abfallreduktion. Diese haben wir zum Beispiel auf der Basis einer detaillierten Abfallhierarchie in einem Policy Brief für SUP and Packaging Waste Prevention mit thailändischen Partnern skizziert. Thailand hat einige Maßnahmen aus diesem Policy Brief in seinen Waste Management Action Plan Phase II (2022 bis 2027) übertragen.
Das zeigt uns, wie wichtig es ist, die lokalen Herausforderungen anzuerkennen und zu beraten. Das heißt: Es ist nicht nur ein internationales Abkommen zu erreichen. Sondern dies muss auf der kommunalen und nationalen Ebene ankommen und sichtbare Fortschritte mit einem hohen Umweltnutzen erzielen. Zudem muss mit Fachexpertise zwischen den Ebenen vermittelt und Definitionen, Debatten und Entscheidungen und die Konsequenzen für alle Ebenen gut erklärt werden. Studien sind gut! Aber wir müssen mehr machen – Studien, Beratung und Vernetzung!
Genau das kann unser Beitrag als Öko-Institut mit unserer Unabhängigkeit und der wissenschaftsbasierten Politikberatung sein. Wir wollen unsere Partner mit unserer Erfahrung und mit unserem Anspruch unterstützen,
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gegenüber der Politik ihre Herausforderungen zu benennen,
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konkrete Empfehlungen auf allen Handlungsebenen zu formulieren und
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die Verantwortlichen zu benennen und zu vernetzen.
Das Ziel: Die Umsetzung von Maßnahmen zum Erreichen von politischen Zielen in Kommunen darf kein Fragezeichen bleiben, sondern muss ganz konkret bearbeitet werden.
Clara Löw und Siddharth Prakash forschen zu nachhaltigen Materialien, Produkten und Konsummustern im Institutsbereich „Produkte & Stoffströme“ in Freiburg.
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