Spenden

Kostenvergleich im internationalen Wasserstoffhandel: Der PtX Business Opportunity Analyser (PtX-BOA)

Wasserstoff steht auf der politischen Agenda aktuell weit oben. Die Bundesregierung hat im Juli die Wasserstoffimportstrategie verabschiedet, die Fernnetzbetreiber bringen mit dem Wasserstoffleitungsnetz die notwendige Infrastruktur auf den Weg. Derzeitige Schätzungen rechnen mit 50 bis 70 Prozent Wasserstoff-Importbedarf für Deutschland im Jahr 2030.

Die Wirtschaftlichkeit von Wasserstoffimporten kalkulieren

Das entspricht bis zu 90 Terawattstunden (TWh). Nach 2030 werden die Importe noch weiter ansteigen. Bis zum Jahr 2045 hätte Deutschland demnach einen Bedarf an Wasserstoff von insgesamt 360 bis 500 TWh sowie weitere 200 TWh an Wasserstoffderivaten. Wasserstoff und dessen Derivate werden auf lange Sicht ein knappes und teures Gut bleiben. Deshalb sollte ihr Einsatz nur dort geplant werden, wo weder die direkte Nutzung erneuerbarer Energien noch eine Elektrifizierung möglich sind.

Diverse Bezugsquellen für den Import

Wo soll der Wasserstoff herkommen? Um beim Wasserstoffimport Abhängigkeiten wie beim Erdgas zu vermeiden, setzt die Wasserimportstrategie der Bundesregierung auf eine Vielzahl von Bezugsquellen. Innereuropäisch könnte Wasserstoff via Pipelines unter anderem aus dem Norden beispielsweise aus Norwegen und Dänemark sowie aus dem Süden, beispielsweise aus Spanien angeliefert werden. Außerhalb Europas sind Importe aus Nordafrika, Südamerika oder dem Mittleren Osten – vorrangig in Form von Derivaten – geplant. Unter anderem sind dazu Kooperationen mit Entwicklungs- und Schwellenländern angedacht, auch da diese vom Aufbau einer „grünen“ Wasserstoffwirtschaft profitieren können. Damit dies gelingen kann, gilt es alle Nachhaltigkeitsdimensionen von Wasserstoff zu berücksichtigen: Das sind neben den Treibhausgasen auch weitere ökologische, sozio-ökonomische sowie Governance-Aspekte. Zum Beispiel stellt sich die Frage nach lokalen Landnutzungsrechten, die potenziell via Landnutzungsänderungen durch ein geplantes Großprojekt eingeschränkt werden können. Diese Frage ist insbesondere in Ländern des Globalen Südens relevant – wie unsere Metastudie zu den Nachhaltigkeitsdimensionen von Wasserstoff für die Amber Foundation zeigt. Vor allem in ländlichen Räumen sind Landrechte dort oft informell, aber eng mit den lokalen Lebensgrundlagen verknüpft.

Aus der Außenperspektive

Zukünftige Preise und die gesicherte Verfügbarkeit von Wasserstoff sind aktuell noch schwer kalkulierbar. Aus diesem Grund hatte die Bundesregierung bereits 2021 die H2Global-Stiftung gegründet, die auf ein Doppelauktionsdesign setzt. Ziel der Stiftung ist es mit Hilfe langfristiger Verträge mit Produktionsländern die weitere Verfügbarkeit von Wasserstoff zu sichern. Ende 2022 startete die erste Ankaufsauktion, die grünen Wasserstoff und Wasserstoffderivate einkauft. Fertiglobe – ein in den Vereinigten Arabischen Emiraten ansässiger Hersteller und Vertreiber von Stickstoffdünger – ist mit dem preisgünstigsten Angebot als Sieger hervorgegangen. Produziert wird das grüne Ammoniak in Ägypten, 2027 startet der Import. In einer zweiten Auktion werden die Wasserstoffmengen nach dem Import in die EU dann weiterversteigert. Die Importstrategie zielt damit auf Investitionssicherheit – zum einen bei den Exportländern, aber auch der heimischen Industrie – ab. Ziel ist es, dass die Akteure in die entsprechende Infrastruktur investieren.

Doch wie stehen mögliche Produktionsländer im Vergleich untereinander dar? Mit dem vom Öko-Institut und Agora Industry entwickelten Power-to-X Business Opportunity Analyser 2.0 (PtX-BOA) lässt sich die Wirtschaftlichkeit aus Sicht möglicher Produktions- und Abnehmerländer abschätzen.

Die Wirtschaftlichkeit abschätzen

Der im Jahr 2023 erstmals veröffentlichte Rechner ist nun in der Version 2.0 als Web-Applikation verfügbar. PtX-BOA deckt derzeit die meisten potenziellen Produktions- und Abnehmerländer weltweit ab, einschließlich einer tiefergehenden Analyse mit regionalen Details für Argentinien, Marokko und Südafrika. Die Lieferländer können ihre Möglichkeiten für eine PtX-Wertschöpfungskette einschätzen, indem sie mit Hilfe des Tools Anlandungskosten verschiedener PtX-Produkte für verschiedene Abnahmemärkte berechnen. Es unterscheidet sich von anderen Tools dahingehend, dass es die Perspektive des Lieferlandes einnimmt. Der PtX-BOA hilft somit potenzielle Wettbewerbsvorteile auf den globalen Wasserstoffmärkten zu verstehen und einzuschätzen. Diese Informationen werden auch den politischen Entscheidungsträgern dabei helfen, die spezifischen PtX-Kostenpotenziale ihres Landes zu verstehen und so die Entwicklung gezielter politischer Maßnahmen zur Förderung von Investitionen in den entsprechenden Wertschöpfungsketten unterstützen.

Zur Nutzung des Rechners: Eine Kalkulation am Beispiel Kolumbien

 

Die Eingabe startet mit den Haupteinstellungen auf der linken Seite. Hier werden das Produktions- sowie das Abnahmeland ausgewählt. In unserem Fall gehen wir von Kolumbien als Produktionsland und Deutschland als Abnahmeland aus. Beim Produkt lässt sich u.a. aus Ammoniak, grünem Eisen, Wasserstoff, LOHC (flüssige organische Wasserstoffträger), Methan, Methanol und strombasierten Kraftstoffen (Fischer-Tropsch (FT) E-Fuels) wählen. Auch bei der Elektrolyse lässt sich zwischen den gängigen Niedertemperaturverfahren Alkalische Elektrolyse (AEL) und Polymerelektrolytmembran-Elektrolyse (PEM) sowie der dem Hochtemperaturverfahren Festoxid-Elektrolyse (SOEC) wählen.

Daneben wird die erneuerbare Energiequelle ausgewählt, die für die Stromproduktion genutzt werden soll. Zur Auswahl stehen Solarkraft, Windkraft-Offshore, Windkraft Onshore sowie Hybrid-Anlagen, die Wind- und Solarenergie kombinieren.

Um Unsicherheiten sowie mittel- bis langfristige Entwicklungen abzudecken, lassen sich die Zeiträume 2030 oder 2040 als Bezugszeitpunkt für die PtX-Produktion wählen. Bei der Kostenschätzung gibt es die Auswahl zwischen einem Hoch-, Mittel- und Niedrig-Kosten-Szenario.

 

Zudem lassen sich je nach Bedarf weitere Einstellungen vornehmen: Wasser ist neben Strom der zweite wichtige Input für die PtX-Produktion. Ob das Wasser über eine eigene Wasserentsalzungsanlage zur Verfügung gestellt wird oder aber von extern zu festen Kosten bezogen wird, kann ebenfalls festgelegt werden. Einige der PtX-Produkte benötigen CO2 als weiteren Input. Als Kohlendioxidquelle kann entweder eine eigene Direct Air Capture Anlage (DAC) gewählt werden odCO2CO2 wird extern zu einem festen Kostensatz bezogen.

Bei Transportwegen unter 6.000 km Länge können Pipelines zum Einsatz kommen. Bei der Verschiffung kann die Treibstoffquelle variieren.

Und schließlich lässt sich die Kostenangabe, die stets in US-Dollar erfolgt, bezogen auf den Energiegehalt (pro Megawattstunde) oder auf das Gewicht (pro Tonne) berechnen.

 

Ist die Auswahl in den Einstellungen getroffen, gibt die Anzeige in unterschiedlichen Tabs die entsprechenden Analysedaten aus:

 

Auf dem Kosten-Tab (Costs) steht eine Karte bereit, welche die Lieferkosten für das ausgewählte Produkt und Abnahmeland für verschiedene Produktionsländer darstellt. Detallierte Informationen zu den Kosten gibt es mit dem Mouseover:

Direkt darunter erhalten Nutzer*innen eine Übersicht über Kostenverteilung sowie die einzelnen Komponenten:

Der zweite Tab, die Marktanalyse (Market Scanning), enthält Informationen zu den Transportwegen (via Pipeline oder Schiff) im Verhältnis zu den damit verbundenen Kosten sowie Distanzen in Bezug auf die verschiedenen Abnehmerländer.

Obwohl BOA als Analyseinstrument für Power-to-X dient, kann es lokales Wissen nicht ersetzen. Es ist daher flexibel genug, um lokale Daten wie Kapitalkosten für erneuerbare Energien, günstige Kreditbedingungen oder spezifische Kosten für nachhaCO2ge CO2-Quellen zu berücksichtigen und in die Optimierung einfließen zu lassen.

Unter „Country Fact Sheets“ gibt es vertiefende Informationen zu allen im BOA auswählbaren Produktions- und Abnehmerländern. Für letztere umfasst dies länderspezifische Informationen zu dem aktuellen Bedarf an Wasserstoff, der nationalen Strategie für Wasserstoff und Derivate, den Merkmalen des länderspezifischen Wasserstoffhandels sowie der bestehenden Transportinfrastruktur. Die Fact Sheets der potenziellen Produktionsländer geben Informationen zum Potenzial für die lieferbare Menge an Wasserstoff, die bestehende LNG-Infrastruktur, Möglichkeiten für Kohlenstoffabscheidung und -speicherung, Strompreise sowie Informationen (und Verlinkung zum bestehenden Dokument) dazu, ob bereits eine Wasserstoffstrategie für das jeweilige Land besteht.

Geht „grüner“ Wasserstoff?

Im Fokus des Tools stehen Produktions- und Kostenpfade von „grünem Wasserstoff“ und Derivaten. Zur Produktion von grünem Wasserstoff bedarf es grünen Stroms, der jedoch in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern bislang kaum bis gar nicht verfügbar ist. Der Aufbau von Wasserstoffprojekten und -infrastrukturen für den Export kann sich sowohl positiv als auch negativ auf den häufig dringend notwendigen Ausbau und klimaneutralen Umbau der heimischen Energiewirtschaft im Partnerland auswirken. Konkrete Prüfkriterien für die Nachhaltigkeit der Projekte vor Ort sind in der Nationalen Wasserstoffstrategie bislang nicht enthalten. Jedoch weist sie klar darauf hin, dass soziale Standards einzuhalten sind sowie Aspekte wie eine nachhaltige Wasserversorgung und Landnutzung beim Aufbau der Wasserstoffprojekte in Entwicklungs- und Schwellenländern berücksichtigt werden müssen. Die entsprechenden Nachhaltigkeitskriterien gilt es mit den Produktions- und Abnehmerländern im Dialog erst noch zu erarbeiten.

Auf dem Nachhaltigkeits-Tab von PtX-BOA finden Nutzer*innen bereits eine Übersicht zu den relevanten Nachhaltigkeitsdimensionen in Hinsicht auf die Wasserstoffproduktion, gesplittet in ökologische, ökonomische, soziale und Governance-Aspekte. Unterschieden wird jeweils in Leitlinien (“guardrails”) sowie Ziele (“goals”). Leitlinien können dabei helfen, grüne PtX-Produkte herzustellen, die auch über ihre Treibhausgasemissionsintensität hinaus nachhaltig sind und sich nicht negativ im Produktionsland auswirken. Ziele hingegen setzen höhere Anforderungen, nämlich die PtX-Produktion so auszugestalten, dass sich die lokalen ökologischen und sozioökonomischen Bedingungen im Produktionsland verbessern.

Das Projekt „PtX Hub“, welches im Auftrag von Agora Energiewende und Agora Industry noch bis Mitte 2025 läuft und in dessen Rahmen BOA entstanden ist, widmet sich aktuell der Erweiterung des PtX-Rechners um die erwartbaren Treibhausgasemissionen, die bei der Produktion und Lieferung der verschiedenen PtX-Produkte aus unterschiedlichen Quellen entstehen können.

Dr. Markus Haller beschäftigt sich mit Förderinstrumenten für den Ausbau erneuerbarer Energien, der Systemintegration erneuerbaren Stroms und langfristigen Szenarien zur Transformation des Energiesystems. Christoph Heinemann ist Experte für die Erzeugung und Nutzung von Wasserstoff als Klimaschutzinstrument. Dr. Roman Mendelevitch ist Experte für internationale Energierohstoffmärkte. Susanne Krieger betrachtet die Nachhaltigkeitsdimensionen der Wasserstoffproduktion. Alle vier Wissenschaftler*innen arbeiten im Bereich Energie & Klimaschutz an den Standorten Freiburg und Berlin.

Weitere Informationen

PtX Business Opportunity Analyser

Webinar “Unveiling the Business Opportunity Analyser 2.0 – enhanced cost calculations with system optimization” (YouTube, June 24th)

Studie „Sustainability dimensions of hydrogen production in countries of the Global South” des Öko-Instituts

Importstrategie für Wasserstoff und Wasserstoffderivate (Stand Juli 2024)

Offizielle Webseite der Bundesregierung zur Nationalen Wasserstoffstrategie

 

 

Keine Kommentare

Neuer Kommentar

* Pflichtfelder