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Kunststoffe ohne Erdöl – Herausforderungen, Ansätze, Weichenstellungen

Anlässlich des Wissenschaftsforums 2024 des Öko-Instituts haben wir mit Expert*innen im digitalen Forum "Kunststoffe von morgen – Kreislaufwirtschaft ohne Erdöl" diskutiert, welche aktuellen Optionen es für eine kohärente Kunststoffkreislaufwirtschaft gibt und worin Vor-, Nachteile und Sicherheiten bestehen. Andreas Manhart fasst die Erkenntnisse aus Forschung zusammen und greift Lösungsansätze auf.

 

Die globale Kunststoffproduktion basiert heute zu 94 Prozent auf fossilen Rohstoffen – vor allem Erdöl. Bedenkt man, dass Kunststoffrecycling heute global gesehen lange noch nicht allgegenwärtig ist und viele Produkte und Verpackungen nach Ende ihrer Nutzungsdauer verbrannt, deponiert oder ungeregelt entsorgt werden, so haben wir es mit einer nicht unerheblichen CO2 Quelle zu tun. Denn auch bei Deponierung und ungeregelter Entsorgung muss man davon ausgehen, dass ein Teil des enthaltenen Kohlenstoffs – beispielsweise bei Deponiebränden – in die Atmosphäre emittiert wird. Anstatt also weiter fossile Rohstoffe zu fördern und über die Zwischenstation der Produktnutzung als CO2 in die Atmosphäre zu entlassen, muss die Kunststoffwirtschaft umgestaltet werden. Ein „weiter so“ wäre mit den Klimazielen nicht vereinbar.

Die positive Nachricht ist, dass das Umdenken bereits begonnen hat und viele Akteure aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft die Abkehr vom Öl als strategische Herausforderung angenommen haben. Hiervon zeugen nicht nur Strategiepapiere, sondern auch Werbung für sogenannte Biokunststoffe, Outdoorkleidung aus alten Autoreifen und Verpackungen aus „CO2 aus Industrieabgasen“. Doch wie sind diese Ansätze einzuschätzen? Führen sie wirklich zu einer Reduktion von CO2 und entlasten die Umwelt?

Hierarchie in der Kreislaufwirtschaft aufbauen

Das Öko-Institut hat die verschiedenen Ansätze zur Kreislaufführung von Kunststoffen sowie zur Defossilisierung der Polymerproduktion untersucht und klassifiziert. Dabei entstand die Abbildung unten, die insgesamt sieben Möglichkeiten der Kreislaufführung aufzeigt:

  • Die einfachste und wahrscheinlich wichtigste Möglichkeit ist die Reduktion des Kunststoffverbrauchs zum Beispiel durch längere Produktnutzungszeiten und Wiederverwendung (Loops 1 & 2). Hiermit ist allerdings explizit nicht das Ausweichen auf andere Materialien wir Glas, Metall oder Holz gemeint – denn solche Ausweicheffekte entlasten nicht automatisch die Umwelt und bergen in vielen Fällen neue Risiken.
  • Das mechanische Recycling (Loop 3) ist sozusagen die alte Welt des Kunststoffrecyclings, wo sortierte Kunststoffabfälle mechanisch zerkleinert, pelletiert und wieder in der Produktion eingesetzt werden.
  • Bei Loop 4, der Depolymerisierung, handelt es sich um vergleichsweise neue Verfahren bei denen einzelne Polymere gezielt in ihre Ausgangsmonomere zurückverwandelt werden. Diese können dann wieder direkt zur Herstellung der jeweiligen Polymere verwendet werden. Die Verfahren sind für Nylon, Polyurethan und Polyester erprobt und können in vielen Fällen mechanische Recyclingverfahren ergänzen.
  • Das Feedstock Recycling von Loop 5 (auf Deutsch meist als ‚rohstoffliches Recycling‘ bezeichnet) umfasst Verfahren bei denen Kunststoffabfälle – beispielsweise mittels Pyrolyse oder Gasification – in verschiedene Kohlenwasserstoffe, CO und H2 umgewandelt werden, die dann der chemischen Grundstoffindustrie zugeführt werden.
  • Loop 6 beschreibt den Umstand, dass selbst bei optimaler Ausnutzung der Ansätze von Loop 1-5 immer noch Restmengen an Kunststoffen und Polymere einer energetischen Verwertung zugeführt werden müssen – einfach, weil die anderen Verfahren Limitierungen aufweisen bzw. nicht rezyklierbare Nebenprodukte erzeugen. In diesem Fall muss das bei der Verbrennung entstehende CO2 abgeschieden und entweder gespeichert (Carbon Capture and Storage CCS) oder einer stofflichen Nutzung in der chemischen Industrie zugeführt werden (Carbon Capture and Use – CCU).
  • Eine weitere Möglichkeit der Defossilisierung der chemischen Industrie besteht in der Nutzung von Biomasse (Loop 7). Auch hier kann argumentiert werden, dass es sich um eine Art Kreislaufführung handelt, da über den Weg der Photosynthese der Atmosphäre CO2 entzogen wird und somit Emissionen aus der (Plastik-)Verbrennung ausgeglichen werden.

 

 

 

Möglichkeiten zur Kreislaufführung von Kunststoffen

 

Aus Sicht des Öko-Instituts kann keiner der beschriebenen Loops vernachlässigt werden. Dennoch muss es klare Priorisierungen und Hierarchien geben. Denn die Loops haben jeweils unterschiedliche Anforderungen an Energie und landwirtschaftliche Ressourcen. Die inneren Loops sind hier ausgesprochen effizient, während die jeweils äußeren Loops – bezogen auf die Kreislaufführung einer definierten Kunststoffmenge – immer ineffizienter werden. Und da wir wissen, dass erneuerbare Energien und landwirtschaftliche Fläche die wesentlichen Knappheiten auf dem Weg in eine klimaneutrale Zukunft sein werden, müssen hier frühzeitig die richtigen Weichen gestellt werden. Eine hartnäckige Förderung der äußeren Loops auf Kosten der inneren Loops würde mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit massive Umweltfolgen nach sich ziehen und die Einhaltung planetarer Grenzen gefährden.

Ausdifferenzierung der Abfallhierarchie

Damit die Priorisierung der inneren Loops praktikablen Eingang in Steuerungsinstrumente findet, schlägt das Öko-Institut eine Ausdifferenzierung der Abfallhierarchie für Kunststoffe vor. Dabei sollte die Stufe 3 (Recycling) in zwei Untergruppen geteilt werden, wobei die höhere Untergruppe den effizienteren Recyclingverfahren vorbehalten sein sollte. Dies könnte beispielsweise für das Setzen von Rezyklateinsatzquoten genutzt werden, wo eine Gesamtquote auf den gesamten verpflichtenden Rezyklatanteil zielt, während eine zweite, niedriger bemessene Quote ausschließlich mit werkstofflichem Recycling erreicht werden müsste.

 

Vorgeschlagene Ausdifferenzierung der Abfallhierarchie für Kunststoffe

Brennglas Verpackungen

Tom Ohlendorf, Senior Manager Circular Economy, vom WWF Deutschland richtete im Onlineforum den Blick auf die Kunststoffverpackungen. Denn diese machen den größten Einsatzbereich von Kunststoffen aus. Zudem steht die Verabschiedung der neuen EU-Verpackungsverordnung bevor, womit auch eine Vielzahl neuer Regelungen und Zielwerte ins Spiel kommen. Unter anderem müssen von den Herstellern ab 2030 verbindliche Rezyklateinsatzquoten eingehalten werden. Diese Quoten sollen die Nachfrage nach hochwertigen Rezyklaten erhöhen und somit der Recyclingindustrie wirtschaftliche Stabilität und Investitionssicherheit geben. Während Tom Ohlendorf diesen Ansatz prinzipiell begrüßt, warnt er vor nicht intendierten Effekten wie zum Beispiel dem Ausweichen auf andere Verpackungsmaterialien mit mindestens ebenso zweifelhafter Ökobilanz. Problematisch stuft er auch eine mögliche Konkurrenz zwischen mechanischen und chemischen Recyclingverfahren ein: Denn mechanische Verfahren seien in der Regel ökologisch vorteilhafter, laufen aber Gefahr, von Ansätzen des chemischen Recyclings verdrängt zu werden.

Einen wesentlichen Handlungsbedarf sieht Tom Ohlendorf bei der Verbesserung des Verpackungsdesigns für hochwertiges Recycling. Hochgradig rezyklierbare Verpackungen sollen auf jeden Fall ökonomisch bevorteilt werden – u.a. ist dies aktuell mit der Umsetzung der §21 des deutschen Verpackungsgesetztes geplant. Generell gilt es, die Fülle an Hilfs- und Zusatzstoffen zu reduzieren. Sobald die breite Variation an bestehenden Verpackungsmaterialien begrenzt wird, können Recyclingprozesse vereinfacht und kostengünstiger werden.

Nicht nur 'grün' denken: Aufbau zirkulärer Leitmärkte

Johanna Wiechen, Referentin für Industrietransformation und Kreislaufwirtschaft, bei Germanwatch e.V. plädiert für einen „Feedstockchange der Chemieindustrie“. Sie betont die Relevanz des Standortes Deutschland für den Klimaschutz, neue Arbeitsplätze und eine resiliente Wirtschaft. Die Industriestrategie braucht ein neues Zielbild. Es gilt diese nicht nur grün auszurichten, sondern auch zirkulär. Kreislaufwirtschaft soll in Klimaschutzverträge integriert werden. Die Expertin spricht sich für zirkuläre Leitmärkte aus, die durch industriepolitische Förderprogramme wie Ecodesign, Product-as-a-service, Refurbishment, Remanufacturing und weitere begleitet werden.

Die Vision des Kreislaufs zur Realität machen

Dr. Dirk Textor, Vorstand beim Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung e.V., legt dar, dass die Kreislaufwirtschaft bei Kunststoffen momentan eher Vision als Realität ist und rechnet vor, dass die Post-Consumer-Rezklateinsatzquote über alle Anwendungen in Deutschland aktuell bei maximal 14 Prozent liegt. Dirk Textor legt ebenso dar, dass derzeit beworbene Verfahren zum chemischen Recycling genau auf die Plastikabfälle zielen, die bereits besonders gut mechanisch recycelt werden können.

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In der anschließenden Debatte wurden unter anderem Ansätze der Erweiterten Herstellerverantwortung (Extended Producer Responsibility EPR) diskutiert. Ein Beispiel sind Altmatratzen, die aktuell in Deutschland nicht getrennt gesammelt werden und somit zum Großteil in die energetische Verwertung (Verbrennung) gehen. Eine Erweiterte Herstellerverantwortung wie sie beispielsweise bereits in Frankreich etaliert ist, könnte hier Abhilfe schaffen.

Diese und weitere Fragen und Optionen besprechen wir dann gemeinsam mit Akteur*innen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik sowie der Zivilgesellschaft auf unserem halbtägigen Abschlussforum zur „Circular Economy – What’s next?“ am 5.11.2024 in Berlin. Eine Zusammenfassung der wichtigsten Aussagen und Erkenntnisse vom ersten Onlineforum zum Thema „Kunststoffe von Morgen – Kreislaufwirtschaft ohne Erdöl“, das am 23. September 2024 stattfand, gibt es in der Sonderfolge von „Wenden bitte!“

 

 

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