Lambert Schneider im Porträt #Cop26
Laura Dahmer hat für den Tagesspiegel Background Energie & Klima den Forschungskoordinator Dr. Lambert Schneider vom Öko-Institut porträtiert. Darin spricht der Wissenschaftler über die Weltklimakonferenz COP26 in Glasgow, bei der er mitverhandelt.
Eigentlich war ein Videoanruf verabredet. Aber als Lambert Schneider sich ins Meeting mit Tagesspiegel Background einwählt, erscheint sein Gesicht durch eine Handykamera, hinter ihm Bäume, der Ton knackt immer wieder. „Ich hoffe, es ist in Ordnung, wenn wir doch ohne Video telefonieren. Ich saß schon den ganzen Tag vorm Bildschirm und dachte, ich nutze den Moment, um rauszugehen“, entschuldigt sich Schneider. Eine Stunde wird dieser Spaziergang dauern „und sich fast anfühlen wie eine Mittagspause“, wie der 50-Jährige am Ende bemerkt.
Der Anruf liegt bereits ein paar Wochen zurück. Aktuell bekommt Schneider wahrscheinlich genügend Abwechslung vom Bildschirm. Er befindet sich auf dem Weltklimagipfel COP26 in Glasgow, um die EU in den Verhandlungen zu unterstützen. Es ist Schneiders 20. Klimagipfel. Was sich 2001, während seiner Premiere, wie ein Sprung ins kalte Wasser anfühlte, ist für ihn heute Routine. Seit 20 Jahren ist der Klimaforscher, mit wenigen Unterbrechungen, Teil der Verhandlungsdelegation. Er verhandelt die Regeln zu Artikel 6 des Pariser Übereinkommens, bei dem es um den Handel mit CO2-Zertifikaten geht.
Das Paris-Abkommen übertraf seine Erwartungen
„Es gibt da gleich mehrere Probleme“, sagt er. Zum Beispiel die Doppelzählung, über die seit fünf Jahren gestritten wird: „Einige Länder, darunter Brasilien, wollen weiter CO2-Zertifikate verkaufen wie damals unter dem Kyoto-Protokoll. Da unter dem Pariser Übereinkommen nun aber alle Länder Klimaziele haben, würde das zur einer Doppelzählung der Minderungen führen. Brasilien würde CO2-Zertifikate verkaufen und sich die Minderungen gleichzeitig auf sein eigenes Klimaziel anrechnen. Für das Klima bringt das natürlich nichts, sondern führt nur zu mehr Emissionen.“ Seit Jahren wird um eine Lösung gerungen. Schon vor drei Jahren in Kattowitz sollte es beim Artikel 6 eine Einigung geben.
Nach all den Jahren Erfahrung kann Schneider sagen, dass Veränderungen lange dauern: „Zum Teil diskutieren wir heute die gleichen Fragen wie schon 2001“, sagt er und lacht. „Was sich aber wesentlich verändert hat: das Mantra des Kyoto-Protokolls, wir bräuchten Kosteneffizienz und dafür Kohlenstoffmärkte. Das Pariser Abkommen dagegen will Mechanismen, die zur Ambition beitragen und für mehr Klimaschutz sorgen.“ Beim Paris-Abkommen von 2015 passierte es das einzige Mal, dass er ein Abschlusspapier in der Hand hielt. Da dachte er: „Das ist besser, als ich erwartet habe.“
Schon als Schüler wollte er ans Öko-Institut
Auch über die Weltklimakonferenz hinaus ist der Kompensationshandel Schneiders Steckenpferd. Seit Neuestem ist er Teil des neu gegründeten Integrity Council for Voluntary Carbon Markets. Diese Initiative will eine Art globales Qualitätssiegel für Kompensationszertifikate entwickeln, „die das aktuelle Qualitätsproblem lösen soll“. Als Co-Vorsitzender des Expertengremiums wird er nun daran arbeiten, Mindestanforderungen für die Qualität von Zertifikaten zu entwickeln. Darüber hinaus arbeitet Schneider mit dem WWF und dem Environmental Defense Fund (EDF) an einer eigenen Initiative, um die Qualität von Kompensationszertifikaten zu bewerten und transparent zu machen.
Seit 20 Jahren beschäftigt sich der Klimaforscher schon mit dem Thema Kohlenstoffmärkte, allerdings in wechselnder Position: Von 2000 bis 2009 war Schneider beim Öko-Institut, dann wechselte er ins UN-Klimasekretariat nach Bonn – und 2019 wieder zurück zum Öko-Institut nach Berlin. Schon als Jugendlicher wollte er zu dem Forschungsinstitut, erzählt er. „Ich habe in der Schulzeit ein Buch vom Öko-Institut gelesen, ‚Die Energiewende-Studie‘. Das hat mich so fasziniert, dass ich dachte: So was will ich später machen.“ Nach zwei Anläufen wurde er für ein Praktikum genommen. Heute ist er im selben Institut Forschungskoordinator für internationale Klimapolitik.
Tango auf dem Klimagipfel
Lambert Schneiders gleichnamiger Vater ist Archäologe und emeritierter Professor an der Universität Hamburg. Sein ebenfalls gleichnamiger Großvater war Verleger während des und nach dem Zweiten Weltkrieg, er brachte die deutsche Erstauflage „Die Tagebücher der Anne Frank“ heraus. Aufgewachsen ist Schneider in Hamburg. Er studierte in Berlin und ist der Stadt, bis auf die Bonner Jahre, treu geblieben.
Hier geht er in seiner Freizeit gerne klettern. Und er tanzt: Swing oder Tango. Das ein oder andere Mal machte er das auch schon bei der Klimakonferenz: „In Buenos Aires hatte ich natürlich keine andere Wahl, als Tango tanzen zu gehen. Da hat man auch öfter andere Delegierte getroffen“, sagt er und lacht. Viel Zeit zum Tanzen bleibt allerdings selten, die meiste Zeit sitzt er in Verhandlungen. Nach dem Weltklimagipfel, verrät Schneider noch, bevor er seinen Spaziergang beendet, macht er deshalb meistens erstmal Urlaub.
3 Fragen an Lambert Schneider:
Wer rettet das Klima – die Politik oder der Einzelne?
Ganz klar die Politik. Wir brauchen politische Instrumente, um die Emissionen zu reduzieren. Das Handeln der Einzelnen ist trotzdem wichtig, weil es einen Beitrag leistet, auch wenn er kleiner ist. Und weil es aufzeigt, was politisch möglich ist. Wenn wir uns aber nur auf die Einzelnen verlassen, kommen wir nicht ans Ziel. Das ist auch eine Frage sozialer Gerechtigkeit.
Auf welchen Flug würden Sie nie verzichten?
Ich verzichte auf alle Flugstrecken, die sich auch mit dem Zug zurücklegen lassen. Aber ich fliege auch ab und zu – zum Beispiel zu den Klimakonferenzen.
Wer in der Energie- und Klimawelt hat Sie beeindruckt?
Wahrscheinlich ein Klischee, aber: Greta Thunberg. Ich habe sie auf der Klimakonferenz in Kattowitz mehrmals gesehen, mit ihrer Mutter in der Kantine und bei der Rede im Konferenzraum. Wirklich bekannt wurde sie erst danach, aber ich konnte schon damals verstehen, warum sie so viele Menschen beeindruckt. Sie hat mich wirklich berührt.
Welche Idee gibt der Energiewende neuen Schwung?
Ich finde es gerade beeindruckend, wie sich immer mehr Länder Nullemissionsziele setzen. Auch wenn die in ferner Zukunft liegen: sie verdeutlichen, wohin die Reise geht, und immer mehr Länder fangen an zu überlegen, welche Transformationspfade sie einschlagen müssen, um diese Ziele zu erreichen.