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Lebensmittel-Einkauf 4.0: Nachhaltig oder nicht?

Können digitale Plattformen für mehr Nachhaltigkeit im Lebensmittelmarkt sorgen? Hierzu hat das Öko-Institut 15 Anbieter analysiert. Die Autorinnen fassen hier im Blog die wichtigsten Ergebnisse zusammen.

Aktuell wird in Deutschland nur etwa ein Prozent aller Lebensmittelkäufe im Internet getätigt. Insbesondere bei Obst und Gemüse möchten viele die Ware vor dem Kauf sehen und anfassen. Doch der Verkauf von Lebensmitteln im Internet wächst seit Jahren stärker als jeder andere Bereich im Onlinehandel. Die Corona-Pandemie hat zudem für einen solchen Nachfrageschub gesorgt, dass viele Lieferdienste den Bestellungen kaum nachkommen. Können digitale Plattformen für mehr Nachhaltigkeit im Lebensmittelmarkt sorgen? Hierzu hat das Öko-Institut 15 Anbieter analysiert. Die Autorinnen fassen hier im Blog die wichtigsten Ergebnisse zusammen.

Sich vernetzen, Kleidung kaufen oder Fahrten buchen – all dies ist heute über digitale Plattformen möglich. Auch Lebensmittel können Verbraucherinnen und Verbraucher seit Längerem im Internet bestellen. Hinter dem Onlineangebot stehen verschiedene Akteure, darunter bekannte Konzerne aus dem stationären Handel, wie Rewe oder Edeka, aber auch der Online-Riese Amazon, neu gegründete Unternehmen oder Bauernhöfe.

 

Projekt analysiert Nachhaltigkeitseffekte digitaler Plattformen

Mit Blick auf das wachsende Angebot untersucht das Öko-Institut in einem laufenden Vorhaben „Regionale Wertschöpfungs- und Nachhaltigkeitseffekte digitaler Plattformsysteme für zukünftige Grundversorgung von Ernährung und Mobilität“ (regGEM:digital) welche Auswirkungen digitale Plattformen auf Mensch und Umwelt haben. Ein besonderes Augenmerk liegt auf der regionalen Verankerung der Plattformen. Und der Frage: Verhalten sich regionale Plattformen nachhaltiger als internationale?

Das Bundesforschungsministerium fördert das Projekt, das sich auf die Themenfelder Ernährung und Mobilität konzentriert. Nach einer Literaturrecherche haben die Wissenschaftlerinnen des Öko-Instituts 15 Plattformen pro Thema analysiert. Bei der Auswahl der Plattformen haben sie auf eine ausgewogene Mischung aus unterschiedlichen Geschäftsmodellen geachtet. Folgende Abbildung gibt einen Überblick zu den im Themenfeld Ernährung analysierten Plattformen und deren zugrundeliegenden Geschäftsmodellen.

[caption id="attachment_3591" align="aligncenter" width="619"]Diese 15 Plattformen haben die Wissenschaftlerinnen vom Öko-Institut analysiert und nach Geschäftsmodellen sortiert. Quelle: Öko-Institut Diese 15 Plattformen haben die Wissenschaftlerinnen vom Öko-Institut analysiert und nach Geschäftsmodellen sortiert. Quelle: Öko-Institut[/caption]

Noch dominieren Onlineshops den Markt

Schnell wird deutlich, dass es sich häufig um Onlineshops handelt, bei denen das Geschäftsmodell des stationären Handels eins-zu-eins ins Netz übertragen wird. Der Plattformbetreiber ist alleiniger Anbieter. Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass Kundinnen und Kunden die Waren nun online aussuchen und geliefert bekommen. AmazonFresh und REWE gehen einen Schritt weiter: Sie schaffen einen virtuellen Marktplatz, auf dem diverse Anbieter zusammenkommen. Das Prinzip ist von Amazon und Ebay bekannt.

Andere nutzen die digitalen Möglichkeiten, um gänzlich neue Geschäftsmodelle aufzuziehen und einen Beitrag zur Nachhaltigkeit zu leisten: Die Plattform „Too Good To Go“ setzt sich gegen die Verschwendung von Lebensmitteln ein und vermittelt überschüssige Speisen. „Marktschwärmer“ vernetzt Erzeuger, Händler und Verbraucher und bietet so kleinen landwirtschaftlichen Betrieben eine Vermarktungsalternative zu Großmarkt und Wochenmarkt. „Etepetete“ liefert Obst- und Gemüsekisten, die auch mit krummem Gemüse befüllt sind, das für gewöhnlich vernichtet wird. „IPGarten“ ermöglicht seinen Nutzerinnen und Nutzern vom Sofa aus einen Gemüsegarten zu beackern.

 

Digitale Plattformen bieten Potenzial zur Inklusion und zur regionalen Wertschöpfung

Die Wissenschaftlerinnen untersuchen in dem Projekt zum einen die sozialen Effekte der untersuchten Plattformen. Dabei spielt die geografische Ausbreitung der Onlinedienste eine Rolle: Der „Biobote Emsland“, „Marktschwärmer“ oder das „Ökodorf Brodowin“ sind regional ausgerichtet und haben zum Ziel, den Absatz regionaler Produkte zu fördern und damit dem Sterben kleiner Höfe zu begegnen. Sie beziehen ihre Ware aus der Region und setzen sich für faire Preise ein. Die Digitalisierung erleichtert dabei die Erschließung größerer Kundenkreise, ebenso wie die Kooperation mit und unter regionalen Landwirtinnen und Landwirten.

Einen weiteren Vorteil können Lieferdienste bieten. Sie sind besonders attraktiv für bestimmte Personengruppen, etwa mobilitätseingeschränkte Menschen oder solche in weniger gut angeschlossenen Regionen. Sämtliche hier untersuchten Onlineshops und Abo-Modelle liefern die Waren bis nach Hause. Die meisten liefern bislang jedoch nur in wenigen Großstädten Deutschlands oder bieten ein begrenztes Sortiment an – die Chancen bleiben also ungenutzt.

Dies hängt vor allem mit der Logistik von Lebensmitteln zusammen. Denn Frischewaren wie Milchprodukte können nicht einfach per Paket verschickt werden, sondern müssen unter Einhaltung der Kühlkette bis zur Haustür geliefert werden. Eine Begrenzung des Liefergebiets kann hier von Vorteil sein: der Biobote Emsland oder das Ökodorf Brodowin liefern ihre Waren zwar nur regional, dafür aber auch in ländlichen Gebieten aus. Das Unternehmen Bofrost liefert seine Tiefkühlwaren gar seit vielen Jahren deutschlandweit.

 

Verschiedene Faktoren bestimmen die ökologische Nachhaltigkeit

Aus Umweltsicht sind gleich mehrere Punkte relevant: Genau wie im Supermarkt ist auch bei digitalen Plattformen zunächst entscheidend, ob es sich um Bio-Lebensmittel handelt. Denn mit dem konventionellen Anbau ist eine Fülle negativer Auswirkungen auf die Umwelt verbunden, darunter der Einsatz von Pestiziden, der zu Belastung von Böden und Gewässern führt, oder der großflächige Anbau in Monokulturen, der sich negativ auf die Biodiversität auswirkt. Tierische Produkte belasten die Umwelt zudem deutlich stärker als pflanzliche. Positiv hervorzuheben sind daher Plattformen wie der „Biobote Emsland“, „Etepetete“ oder „IPGarten“, die auf Bio-Gemüse und Bio-Obst setzen.

Zudem beeinflusst die zugrundeliegende Logistik, das heißt die Anlieferung, Lagerung und Auslieferung der Lebensmittel den Energieverbrauch und damit die CO2-Emissionen. Es punkten demnach jene Plattformen, bei denen die Waren aus der Region stammen und damit über kurze Lieferwege verfügen. Bei einigen Anbietern wird die Ware auf der „letzten Meile“ sogar klimaschonend mit dem Fahrrad ausgeliefert.

Schließlich spielen der Verpackungsaufwand und das Abfallaufkommen eine entscheidende Rolle. Zwar geben fast alle der Plattformen an, Mehrweg- oder mindestens umweltschonende Verpackungen einzusetzen. Wünschenswert wäre jedoch, wenn die Anbieter den Verpackungsaufwand insgesamt reduzieren. Einige der Anbieter etwa liefern ihre Produkte, sofern möglich, ohne jegliche Verpackung in einer Pfandkiste. Werden Waren abgeholt wie bei „Marktschwärmer“ und „Too Good To Go“, können Verbraucherinnen und Verbraucher darauf achten, ihre eigenen Stoffbeutel und Frischedosen zu verwenden. „Too Good To Go“, aber auch „Etepetete“ leisten zudem einen positiven Beitrag, indem sie sich gegen die Vernichtung von Lebensmitteln und Speisen einsetzen.

 

Nachhaltigkeit – wie immer ist die Realität komplex

Leider gibt es nicht die eine nachhaltige Plattform. Eine Vielzahl von Faktoren bestimmt die soziale und ökologische Nachhaltigkeit. So kann es Plattformen geben, die zwar ausschließlich Bio-Lebensmittel zum Kauf anbieten, diese jedoch aus der ganzen Welt beziehen und quer durch Deutschland verschicken. Andere Plattformen konzentrieren sich auf den urbanen Raum und lassen damit Chancen der verbesserten Inklusion gerade in ländlichen Regionen ungenutzt. Als Verbraucherin oder Verbraucher lohnt es sich daher genau hinzuschauen. Dabei spielt natürlich auch eine Rolle, welchen zusätzlichen Aufwand ich bereit bin zu betreiben. Denn die wenigsten Plattformen bieten ein solch umfassendes Angebot, dass der Gang in den Supermarkt entfällt.

Cara-Sophie Scherf und Dr. Nele Kampffmeyer sind Expertinnen für nachhaltiges Wirtschaften und arbeiten im Bereich Umweltrecht & Governance am Standort Berlin.

Weitere Informationen

Kurzpapier zur Analyse der Wertschöpfungs- und Nachhaltigkeitseffekte digitaler Plattformen im Bereich Ernährung

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