Lithiumabbau: Energiewende nicht auf Kosten von Gemeinden im globalen Süden
Die Elektromobilität hat sich auf den Weg gemacht, die deutschen Straßen zu erobern. Im Jahr 2021 lag etwa der Anteil rein elektrischer Pkw an den Neuzulassungen laut Kraftfahrtbundesamt bei 13,6 Prozent – im Vorjahreszeitraum lag dieser Wert noch bei 6,7 Prozent. Laut dem Willen der Bundesregierung soll es bis 2030 hierzulande mindestens 15 Millionen reine Elektroautos geben. In unserer Elektromobilitäts-Reihe aus der eco@work betrachten wir die Elektromobilität aus verschiedenen Blickwinkeln. Mit Pia Marchegiani, Bereichsleiterin Umweltpolitik bei der Fundación Ambiente y Recursos Naturales (FARN) haben wir über den Lithiumabbau in ihrem Heimatland Argentinien gesprochen.
Lithium ist ein zentraler Rohstoff für die Batterien von Elektrofahrzeugen. Sie können je nach Batterietyp zwischen 4 und 15 Kilogramm des wertvollen Metalls enthalten. Der größte Anteil an Lithium wurde weltweit gesehen 2021 in Australien gefördert, etwa 55.000 Tonnen. Doch auch in Lateinamerika befinden sich große Vorkommen: 80 Prozent der weltweiten Reserven liegen in Bolivien, Chile und Argentinien. In diesem Land wurden 2021 etwa 6.200 Tonnen Lithium gefördert, derzeit laufen hier 62 Projekte zum Lithiumabbau.
Lithium aus Argentinien: nicht auf Kosten der anderen
Wie Lithium in ihrem Heimatland Argentinien abgebaut wird, welche Folgewirkungen dies hat und ob dabei die Rechte von Gemeinden gewahrt werden, damit beschäftigt sich Pia Marchegiani von FARN (Fundación Ambiente y Recursos Naturales). Die 1985 gegründete Stiftung setzt sich für eine nachhaltige Entwicklung sowie unter anderem für bessere Standards bei der Rohstoffgewinnung ein. „Die Energiewende darf nicht auf Kosten von Gemeinden im globalen Süden erfolgen, das ist eine weltweite Herausforderung“, sagt die Bereichsleiterin Umweltpolitik. „Es ist doch absurd, wenn die Bekämpfung des Klimawandels auf der einen Seite für massive ökologische und soziale Probleme auf der anderen Seite sorgt.“
Der Lithiumabbau findet in Argentinien oftmals auf dem Gebiet von indigenen Gemeinden statt. Ihre Rechte sind durch unterschiedliche Regelungen geschützt, zum Beispiel durch das Bergbau- und das Umweltrecht sowie Instrumente zum Schutz indigener Völker wie die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation ILO. „Das argentinische Bergbaurecht stammt allerdings aus dem 19. Jahrhundert und es berücksichtigt Beteiligungsrechte nur sehr oberflächlich“, so Marchegiani, „die Umweltstandards sehen zumindest eine öffentliche Diskussion über solche Projekte und die Regelungen der Konvention 169 eine Zustimmung der Gemeinden sowie eine staatliche Leitung der Konsultationen über neue Projekte vor. Leider wird dies oft nicht berücksichtigt.“ So beklagt die Bereichsleiterin, dass die Rechte der Gemeinden oft verletzt werden, etwa, wenn nicht alle relevanten Informationen zu möglichen Umweltbelastungen oder weiteren Risikofaktoren zugänglich gemacht werden. „Oft haben die Gemeinden vor dem Hintergrund, dass von den Unternehmen unvollständige und einseitige Informationen vorgelegt werden, nicht die Kapazitäten, wirklich zu verstehen, was mit den Lithiumprojekten verbunden ist – also wie sie sich auf die Menschen und die Umwelt auswirken werden. Die Grundlage, um fundierte Entscheidungen zu treffen, ist dann unvollständig.“
Beistand, Vertrauen, Unterstützung für indigene Gemeinden
FARN unterstützt die Gemeinden dabei, ihre Rechte zu verstehen und durchzusetzen. Die Stiftung leistet etwa juristischen Beistand, reicht Beschwerden beim Obersten Gerichtshof Argentiniens ein und deckt Fehlstellen auf. „Manchmal gibt es auch einen Austausch zwischen Gemeinden und Bergbauunternehmen ohne die Einbeziehung einer dritten Partei. Es ist die Aufgabe der Regierung, sich aktiv in die Prozesse, in die Ein- und Durchführung von Anhörungsverfahren einzubringen.“ Außerdem brauche es einen Dialog, der die Besonderheiten der indigenen Kultur berücksichtigt. „Die Verantwortlichen sollten sich mit dieser Kultur angemessen auseinandersetzen, aber auch mit den spezifischen, jeweiligen Ökosystemen.“ Hier gebe es im Detail noch keine ausreichenden Regelungen – etwa mit Blick auf die Wassernutzung. „Es ist zum Beispiel nicht geklärt, was passiert, wenn nicht nur ein Projekt ein Wasserreservoir nutzt, sondern gleich zwei oder drei dies tun. Das hat ganz andere Auswirkungen.“
Gleichzeitig seien für die Gemeinden eigene Expertinnen und Experten wichtig, denen sie vertrauen und die sie im Verfahren begleiten. „Diese können zum Beispiel dabei helfen, Umweltanalysen wirklich zu verstehen.“ Darüber hinaus fordert Pia Marchegiani, dass den Gemeinden mehr Zeit gegeben wird, neue Abbauprojekte ohne äußere Einflüsse zu diskutieren. „Oft geht es den Unternehmen nur darum, die Projekte so schnell wie möglich umzusetzen.“ Eine weitere Aufgabe sieht die Stiftung außerdem darin, die Kommunikation zwischen betroffenen Gemeinden und den Aufbau von Netzwerken zu fördern. „So können die Gemeinden ihre Erfahrungen austauschen und wichtige Informationen teilen. Eine unserer Studien zeigt auch, dass sich Lithiumprojekte verbessern, wenn die Gemeinden mobilisiert werden und sich organisieren, wenn Expertinnen und Experten integriert werden und ihr Fachwissen zur Verfügung stellen.“
Vorteile nicht nur für die Unternehmen
Auf die Frage, ob Gemeinden auch von Lithiumprojekten profitieren können, kommt die Bereichsleiterin Umweltpolitik auf zusätzliche Angebote von Bergbauunternehmen zu sprechen. „Sie bieten mitunter an, für Gesundheitsvorsorge, den Bau von Schulen oder auch den Zugang zu sauberem Wasser zu sorgen. Das kann auf den ersten Blick natürlich als positive Auswirkung betrachtet werden – aber wenn man es genauer betrachtet, sollte all das nicht Teil der Diskussionen und Verfahren sein, denn das sind staatliche Aufgaben.“ Die Diskussion könnte sich aus Sicht von Pia Marchegiani einem anderen, auch nicht unkontroversen Thema widmen. So könnten die Gemeinden darüber sprechen, einen Anteil an den erzielten Profiten zu erhalten, statt mit den Unternehmen über Grundrechte zu verhandeln. „Dies wurde etwa bei einem Projekt in der chilenischen Atacama-Wüste so umgesetzt.“
Zentral ist für Marchegiani außerdem, von Anfang an anzuerkennen, dass das Land den Gemeinden gehört und dass sie eine Stimme und Entscheidungsgewalt darin haben müssen, was damit passiert. „Dazu gehört auch ihr Recht, nein zu sagen. Zu einem gesamten Projekt ebenso wie zu einzelnen Details.“
Pia Marchegiani engagiert sich für eine nachhaltige Entwicklung in Lateinamerika, insbesondere in Argentinien. Hierfür hat sie bereits in unterschiedlichen NGOs gearbeitet, ein Fokus liegt dabei auf schutzbedürftigen Bevölkerungsgruppen. Bei der Stiftung FARN (Fundación Ambiente y Recursos Naturales, Stiftung für Umwelt und natürliche Ressourcen) leitet die Sozialwissenschaftlerin nun den Bereich Umweltpolitik (Director for Environmental Policy). Sie unterstützt Gemeinden und die indigene Bevölkerung dabei, ihre Rechte bei Projekten zum Rohstoffabbau in Argentinien zu wahren.
Weitere Informationen
Website „En el nombre del litio“
Artikel „Lithium mine fails to respect communities’ rights in Argentina”