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„Manganknollen sollten nicht leichtfertig zum Abbau freigegeben werden“

Warum Manganknollen nicht „Batterien aus einem Stein“ sind und worin die besonderen Herausforderungen und damit auch Risiken beim Tiefseebergbau bestehen, erklärt der Geowissenschaftler Andreas Manhart im Interview.

Viele Unbekannte in der Tiefsee

Die Tiefsee ist zu Teilen ein mystischer Ort, ‘terra incognita‘ – also unerforschtes Land. Ganz konkret handelt es sich um den Meeresbereich außerhalb der 200-Meilenzone. Kein Land hat hier Hoheitsrechte und damit auch kein vordefiniertes Anrecht auf Ausbeutung der dortigen Rohstoffvorkommen. Das Internationale Seerechtsabkommen (United Nations Convention on the Law of the Seas UNCLOS) regelt die Nutzung der Meere und alle Entscheidungen zum Abbau von Rohstoffen müssen von der internationalen Gemeinschaft getroffen und von der Internationalen Meeresbodenbehörde (International Seabed Authority ISA) verwaltet werden.

Anfang Juli erst diskutierte die internationale Gemeinschaft bei der ISA in Kingston, Jamaika, die Regeln für einen möglichen Abbau von Rohstoffen in der Tiefsee. Im Fokus der Diskussion stand und steht nach wie vor der mögliche Abbau sogenannter Manganknollen, die in großer Zahl und Dichte in der Clarion-Clipperton Zone – einer Meeresregion im Pazifik – vorkommen. Diese über Millionen Jahre entstandenen Knollen liegen auf dem Boden der Tiefsee und enthalten Rohstoffe wie Mangan, Kupfer, Kobalt und Nickel. Das Mandat der ISA sieht einerseits vor, die marine Umwelt und damit die Biodiversität der Tiefsee zu schützen, andererseits die im Zusammenhang mit Mineralien stehenden Tätigkeiten zum Nutzen der Menschheit zu organisieren, zu regeln und zu kontrollieren. Ein Zielkonflikt scheint unausweichlich.

Unser Experte Andreas Manhart erklärt, worum es beim Tiefseebergbau geht:

Frage: Um welche Rohstoffe geht es konkret?

Andreas: Manganknollen enthalten eine große Bandbreite chemischer Elemente, unter anderem Metalle. Eine Darstellung der gesamten Metallmengen in den jeweiligen Vorkommen wirkt deshalb auf die meisten Laien sehr beindruckend und erweckt den Eindruck, ein Abbau würde viele Versorgungsprobleme der Menschheit lösen. Dabei wird aber meist übersehen, dass auch kristalline Gesteine an Land eine ähnliche Bandbreite an Elementen enthalten – und trotzdem kommt niemand auf den Gedanken beispielsweise den Abbau des Schwarzwaldes zu fordern. Es ist in beiden Fällen so, dass es für eine wirtschaftlich sinnvolle Gewinnung Mindestkonzentrationen in den Gesteinen braucht – und da wird die Bandbreite meist sehr schmal. Bei den Manganknollen sprechen wir dann von Nickel, Kobalt, Kupfer und möglicherweise Mangan. Alle restlichen Elemente wären lediglich Abfälle im Gewinnungsprozess und würden bestenfalls im Straßenbau eingesetzt. Und auch bei den verbleibenden vier Rohstoffen muss man das Potenzial der Knollen realistisch einschätzen. Weltmarktrelevante Mengen wären eigentlich nur bei Mangan, Kobalt und Nickel zu erwarten.

Frage: Wofür werden diese Rohstoffe benötigt?

Andreas: Nickel und Mangan werden überwiegend in der Stahlindustrie benötigt. Kupfer wird als hervorragender elektrischer Leiter in allen möglichen elektrischen und elektronischen Anwendungen eingesetzt. Bei Kobalt spielten in den letzten zwei Jahrzehnten Lithium-Ionen-Batterien eine große Rolle. Zwar braucht es nicht für alle Batterien Kobalt, aber kobalthaltige Batterien erreichen zurzeit eine etwas höhere Energiedichte als kobaltfreie Alternativen. Da Kobalt aber sehr teuer ist, wurden Batterietypen entwickelt, in denen Kobalt teilweise durch Nickel ersetzt wird – und mittlerweile werden verstärkt Batterietypen genutzt, die ganz ohne Kobalt und Nickel auskommen.

Frage: Welchen Bedarf haben wir in Deutschland im Speziellen?

Andreas: Als exportorientierte Volkswirtschaft ohne eigenen Erzbergbau ist Deutschland natürlich auf den Import von Rohstoffen und Halbzeugen angewiesen. Und Metalle sind weder aus dem täglichen Leben noch den Technologien für eine ökologische Transformation wegzudenken. Bedarfsprognosen sind aber immer nur eine vereinfachte Modellierung der Zukunft abgeleitet von aktuell überschaubaren Trends. Und gerade bei der Batterietechnik werden die Prognosen von der Realität oft in nur wenigen Jahren falsifiziert. Aktuell erleben wir gerade einen Boom von Lithium-Eisen-Phosphat-Batterien, einem Untertyp der Lithium-Ionen-Batterien, der von vielen Experten noch vor einigen Jahren totgesagt wurde. Grund für den Boom sind verbesserte Batterieeigenschaften sowie die deutlich günstigere Ausgangslage bei Rohstoffverfügbarkeit und Preisen. In nur wenigen Jahren nahm also der Anteil der Elektroautos mit kobalt- und nickelfreien Batterien weltweit stark zu. Und auch in anderen Bereichen gibt es mehr Steuerungsmöglichkeiten als nur eine Ausweitung des Bergbaus: Kupfer lässt sich hervorragend recyceln und die benötigten Nickel- und Manganmengen können über Auswahl und Bepreisung der Stahlsorten mitgesteuert werden.

Frage: Wer hat ein besonderes Interesse am Abbau in der Tiefsee?

Andreas: Aktuell bemüht sich vor allem eine kleine Gruppe an Start-up-Unternehmen mit Risikokapitel um Lizenzen für den kommerziellen Abbau. Dies geschieht im Verbund mit wenigen kleinen Pazifikstaaten wie Nauru, Tonga und Kiribati. Denn nach Regeln der ISA können Lizenzen nur an Staaten vergeben werden – Unternehmen müssen sich also mit Staaten zusammentun. Große Bergbauunternehmen sind aktuell noch sehr zurückhaltende – ebenso wie ein großer Teil der metallverarbeitenden Industrien. Hier werden die Ansätze zum Tiefseebergbau offensichtlich deutlich realistischer eingeschätzt.

Vordergründig wird von den Befürwortern des Abbaus oft behauptet, es ginge ihnen um Rohstoffe für die globale ökologische Transformation und Entlastungen des Bergbaus an Land. Hinter diesen Behauptungen stecken aber natürlich vor allem harte Renditeerwartungen.

Frage: Haben wir einen Wettbewerbsnachteil, wenn wir uns nicht am Tiefseebergbau beteiligen, oder ist es gegebenenfalls sogar eine Chance?

Andreas: Es wird ja oft behauptet, wir befänden uns bei der Rohstoffversorgung im Wettbewerb mit China. Natürlich ist dieses Thema wirtschaftspolitisch relevant und verdient Aufmerksamkeit. Allerdings ist China bei den genannten Rohstoffen selbst auch kein Schwergewicht: Kobalt, Nickel und Mangan werden überwiegend in ganz anderen Ländern abgebaut. Aber China hat bei vielen Raffinerieprozessen und Vorprodukten eine starke industrielle Stellung – gerade bei Stoffen für die Batterieproduktion. Industriepolitisch ist es deshalb vor allem bedeutsam, Abkommen mit den verschiedene Förderländern zu schließen und in der EU Raffinerie- und Verarbeitungskapazitäten zu halten und aufzubauen. Ein Fokus auf ein geologisches Vorkommen wird die Abhängigkeiten in den industriellen Wertschöpfungsketten nicht spürbar reduzieren können.

Frage: Könnte der Tiefseebergbau denn bei Umwelttechnologien wie Lithium-Ionen-Batterien, Windkraft und PV-Anlagen für Entlastungen bei der Rohstoffversorgung sorgen?

Andreas: Bei den meisten Technologien kommt es überhaupt nicht auf eventuell zusätzliche Mengen aus dem Tiefseebergbau an. Eventuelle Knappheiten bei Windkraft und PV-Anlagen hängen mit Rohstoffsituationen und Produktionskapazitäten zusammen, die über den Tiefseebergbau gar nicht entlastet werden können. So kann Tiefseebergbau weder zur Versorgung mit Seltenen Erden noch mit Kapazitäten für kristallines Silizium aushelfen. Und auch bei Lithium-Ionen-Batterien gilt die Versorgung mit Lithium und Graphit als am kritischsten – beides Rohstoffe, die nicht durch Tiefseebergbau zur Verfügung gestellt werden können.

Frage: Und welche (potenziellen) Gefahren gehen mit einem Abbau von Manganknollen einher?

Andreas: Die Tiefsee ist eines der letzten vom Menschen weitestgehend unberührte Ökosystem der Erde. Zwar ist die Gesamtfläche der Tiefsee sehr groß, aber der Abbau von Manganknollen hätte den Nachteil, dass er genau die belebte Oberfläche des Meeresbodens betrifft und ausgesprochen flächenintensiv wäre. Denn im Gegensatz zu Lagerstätten an Land sind die Tiefseevorkommen nur auf die obersten 10 cm beschränkt – darunter ist nichts mehr zu holen. Zur Förderung nennenswerter Mengen müssen also große Flächen systematisch umgepflügt werden. Und die Regenerationszeiten für das dortige Ökosystem sind ausgesprochen lange. Eine vernünftige Bergbaunachsorge mit dem Ziel einer zeitnahen Wiederherstellung des Ökosystems ist in der Tiefsee also gar nicht möglich. Darüber hinaus käme es beim Abbau zur Aufwirbelung von Sedimenten, die mit der Meeresströmung verfrachtet würden. Neben den lokalen Auswirkungen käme es also auch zu regionalen Veränderungen der Umweltbedingungen. Die Ökologie der Tiefsee ist bisher nur in Ansätzen erforscht und verstanden. Wir wissen also nicht, welche Auswirkungen ein industrieller Abbau von Manganknollen auf Ökosysteme und marine Nahrungsketten hätte.

Frage: Den Bergbau brauchen wir aber noch, oder?

Andreas: Die Weltbevölkerung wächst und wir wollen die UN-Entwicklungsziele erreichen. Dies bedeutet auch ein deutlich höheres Wohlstandsniveau für Menschen, die bisher in Armut gelebt haben. In dieser Phase der Menschheitsentwicklung haben wir also tendenziell global steigende Rohstoffbedarfe. Ein Fokus auf Kreislaufwirtschaft ist hier ausgesprochen wichtig. Und Kreislaufwirtschaft bedeutet nicht nur Recycling – sie umfasst auch einen Shift zu besseren Produkten und Dienstleistungen, die mit weniger Rohstoffverbrauch mehr Nutzen bringen. Aber wir müssen auch realistisch bleiben: In absehbarer Zeit werden wir auf Bergbau nicht verzichten können. Gleichzeitig ist es richtig, dass jeder Bergbau auch immer mit Eingriffen und Folgen für die Umwelt verbunden ist. Aber beim Bergbau an Land haben wir viel mehr Möglichkeiten zum Gegensteuern: Die Erzkörper sind viel mächtiger als in der Tiefsee, sodass pro Fördermenge ein drastisch geringerer Flächenverbrauch verursacht wird. Zudem gibt es erprobte Verfahren zur Begrenzung der Umweltfolgen sowie der Bergbaunachsorge. Und auch den Verweis auf die sozialen Folgen des Bergbaus die mit Tiefseebergbau angeblich vermieden werden könnten – halte ich für etwas fadenscheinig: Die Beobachtung der Bergbaupraktiken durch Arbeiter*innen und Anwohnende ist immer auch ein Korrektiv. Erste wenn die sogenannte „Social Licence to Operate“ gegeben ist, erfüllt ein Bergbauvorhaben die gesellschaftlichen Erwartungen hinsichtlich ökonomischer Chancen und Begrenzung der Umweltauswirkungen. Dieses Korrektiv fehlt beim Tiefseebergbau. Damit werden (Küsten-)Anwohner gegebenenfalls erst viel zu spät auf negative Folgen aufmerksam – nämlich dann, wenn ein Gegensteuern kaum mehr möglich ist.

Abschlussfrage: Der Tiefseebergbau bringt die Energiewende demnach nicht voran. Worauf sollten wir uns deiner Meinung nach fokussieren?

Andreas: Die Energiewende bedarf vielfältiger technologischer Veränderungen und damit auch Veränderungen in den Nachfragemustern nach Rohstoffen. Einige Technologierohstoffe wie Lithium und Graphit werden zumindest zeitweise verstärkt nachgefragt werden, bei anderen – beispielsweise Öl, Gas, Kohle und Platingruppenmetallen – wird die Nachfrage zurückgehen. Wir müssen diese Veränderungen im Blick haben und versuchen, Lieferketten so zu gestalten, dass uns bei einzelnen Technologien nicht schnell steigende Rohstoffpreise einen Strich durch die Rechnung machen. Absolute Verknappungen – also die physische Erschöpfung der Vorräte – befürchten wir bei den Technologierohstoffen aber nicht. Es geht vielmehr um zum Teil schnell schwankende Preiseniveaus beziehungsweise die Abhängigkeit von einzelnen Lieferketten.

Jenseits einer Diversifizierung bei Rohstoffen und Lieferketten ist es vor allem wichtig, Produkte so zu bauen, dass sie mit möglichst wenig Rohstoffen viel Nutzen erzielen. Besonders große Potenziale sind hier aktuell bei den Nutzungsdauern zu holen. Gerade bei Produkten für den privaten Konsum – die ja auch eine große Bandbreite an zum Teil kritischen Rohstoffen enthalten – müssen wir weg von Ramsch- und Wegwerfprodukten: Höhere Qualitäten, eine bessere Reparierbarkeit und eine entsprechend begleitende Servicelogistik können hier sehr große Potenziale heben. Beim Recycling sind wir technologisch meist schon sehr weit. Probleme bereiten oft aber noch Rückführlogistik und Finanzierung. Interessanterweise scheint es aktuell für einige Risikokapitalgeber attraktiver zu sein, Geld in den Abbau von Manganknollen in der Tiefsee zu investieren, als in das weltweite Einsammeln und Recyceln alter Lithium-Ionen-Batterien. Dabei gäbe es hier noch viel ungenutztes Rohstoffpotenzial und die Durchführung würde – im Gegensatz zum Tiefseebergbau – eine ganze Reihe weiterer Umwelt- und Gesundheitsprobleme lösen.

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Nach wie vor zählt die Tiefsee zu den am wenigsten erforschten Ökosystem auf der Erde und dass, obwohl das entsprechende Gebiet ungefähr 54 Prozent der Erdoberfläche ausmacht. Aktuell gehen Forscher*innen davon aus, dass ungefähr zwei Drittel der Tiefsee-Organismen unbekannt sind. Die Konsequenzen für die Biodiversität in der Tiefsee können demnach nicht auch nur annähernd abgeschätzt werden.

 

Andreas Manhart ist Experte für Ressourcenwirtschaft und arbeitet als Senior Researcher im Bereich „Produkte & Stoffströme“ am Standort Freiburg.

Weitere Informationen

Studie „The rush for metals in the deep sea – Considerations on Deep-Sea Mining“ des Öko-Instituts

 

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