Mehr Transparenz: Ein Klimaneutralitätsnetz
Mit dem Netzentwicklungsplan Strom (NEP) werden verschiedene Szenarien berechnet, wie das Höchstspannungsnetz der Zukunft aussehen muss. In verschiedenen Szenariorahmen werden die unterschiedlichen Ausbaumöglichkeiten dargestellt. Damit soll die Stromversorgung sichergestellt werden. Der NEP wird von den vier deutschen Übertragungsnetzbetreibern (ÜNB) 50Hertz, Amprion, TenneT und TransnetBW erarbeitet. Nach einem öffentlichen Konsultationsverfahren und einer fachlichen Prüfung bestätigt die Bundesnetzagentur (BNetzA) den NEP. Anschließend wird über die Aufnahme der dort festgeschriebenen Maßnahmen in das Bundesbedarfsplangesetz entschieden.
Mit dem ersten Entwurf des NEP 2037-2045 legen die ÜNB erstmals ein Klimaneutralitätsnetz vor, wie es der Koalitionsvertrag der Bundesregierung als Ziel formuliert und auch das Öko-Institut wiederholt angeregt hat. Der erste Entwurf des NEP stellt die berechneten Ergebnisse der im Szenariorahmen entworfenen Szenarien dar. Der Szenariorahmen wurde sowohl hinsichtlich seiner Inputdaten als auch seiner Methodik vom Öko-Institut überwiegend als erfreulich beurteilt.
Die Veröffentlichung zeigt transparent auf, was nach Berechnungen der ÜNB netzinfrastrukturseitig erforderlich erscheint, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Nun kann darüber diskutiert werden
Drei Szenarien führen zu einem Zielnetz: Besteht keine Unsicherheit?
Um es kurz zu machen: Der nun identifizierte Netzausbaubedarf ist sehr hoch und wirft die Frage auf, ob er in dieser Form selbst unter „idealen Bedingungen“ umgesetzt werden kann. Die Invarianz des identifizierten Netzausbaubedarfs zwischen den drei verschiedenen Szenarien A 2045, B 2045 und C 2045 suggeriert, dass aus Sicht der ÜNB keine Unsicherheit bezüglich des zukünftigen Netzausbaubedarfs besteht: Sind keine Alternativen der wahrscheinlichen zukünftigen Entwicklungen denkbar? Dies ist irritierend, da die Unsicherheit bezüglich der zukünftigen Entwicklungen des Stromsystems aus Sicht der ÜNB bisher zu hoch war, um überhaupt ein Zielnetz im Rahmen des NEP-Prozesses zu berechnen.
Mögliche Erklärungen könnten sein,
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dass die Szenarien sich wenig unterscheiden und
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die wahrscheinlich angewandte Methodik zur Zielnetzbestimmung der Szenarien A 2045 und C 2045 es fördert, dass sich die Zielnetze ähneln.
Auf beides gehen wir im Folgenden kurz ein
Ähnliche Zielszenarien
Dass die entwickelten Szenarien zu identischen Zielnetzen führen, erscheint mit Blick auf die Zielszenarien A, B und C 2045 – ohne eigene Berechnungen angestellt zu haben – nicht unbedingt wahrscheinlich, aber zumindest möglich: Die Szenarien unterscheiden sich in ihrer Ausgestaltung nur in wenigen Aspekten nennenswert:
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Die Bruttostromnachfrage variiert zwischen den Szenarien im Szenariojahr 2045 circa zwischen 1100 Terawattstunden (TWh) und 1300 TWh (circa 20 Prozent).
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Es gibt bezüglich des Ausbaus der erneuerbaren Energien bei Photovoltaik eine Bandbreite der installierten Leistung zwischen 400 und 450 Gigawatt (GW), bei Wind onshore zwischen 160 und 180 GW, was in beiden Fällen etwa Schwankungen um circa 10 Prozent ausmachen.
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Die installierte Leistung der Elektrolyseure schwankt zwischen 50 und 80 GW.
Erwartungsgemäß unterscheiden sich auch die Strommarktergebnisse der Szenarien aufgrund der geringen Variation der Inputdaten nur wenig
Keine Startnetzentwicklung in A und C: A2045 und C2045 stammen vom Szenario B2045 ab
Da für das Szenariojahr 2037 bisher nur das Ergebnis des Szenarios B 2037 vorliegt, das Zieljahr 2045 aber für alle Szenarien berechnet wurde, ist davon auszugehen, dass die Zielnetze A 2045 und C 2045 durch das Ausschlussverfahren entwickelt wurden: Vermutlich wurde geprüft, ob in dem betreffenden Szenario auf einzelne Netzausbauvorhaben des Zielnetzes B 2045 verzichtet werden kann oder ein weiteres ergänzt werden muss – und dies hat sich für kein Netzausbauvorhaben bestätigt. Es stellt sich die Frage, ob die Netze für die Szenarien A und C 2045 identisch aussähen, wenn sie nicht vom Zielnetz B 2045 her, sondern ausgehend vom Startnetz über das Szenariojahr 2037 hinweg entwickelt worden wären
Ungünstige Kombination: Viel neuer Netzausbaubedarf, wenig Zeit
Mit dem vorliegenden Netzentwicklungsplan kommt eine Vielzahl an neuen Netzausbauvorhaben auf den Tisch, die bisher kaum von anderen Institutionen auf ihre Wirksamkeit und Erforderlichkeit hin untersucht werden konnten. Gleichzeitig drängt die Zeit: Da der Ausbau der Erneuerbaren Energien (EE) bereits größtenteils bis zum Jahr 2037 umgesetzt sein soll, muss auch der Netzausbaubedarf weitestgehend bis 2037 realisiert sein. Dies erfordert, so sagen es auch die ÜNB, „entschlossenes Handeln und ein gemeinsames Einstehen – von ÜNB und Genehmigungsbehörden, von Politik in Bund, Ländern und Kommunen wie auch weiteren Akteuren der Energiewende“ (1. Entwurf des aktuellen NEP, 2037-2045 (2023) S. 224).
Das bedeutet gegebenenfalls auch, dass die Ergebnisse dieses NEPs bereits für politische Entscheidungsprozesse zur Beschleunigung weiteren Netzausbaubedarfs zum Beispiel durch die Aufnahme dieser Vorhaben in den Bundesbedarfsplan zugrunde gelegt werden sollten. Ein Kriterium hierfür ist, dass sich die Netzausbauvorhaben szenarioübergreifend als erforderlich erwiesen haben und dass sie von der BNetzA bestätigt wurden.
An dieser Stelle zeigen die ÜNB auch richtig auf, was es konkret braucht, um das Übertragungsnetz zu ertüchtigen:
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mehr Umsetzungsgeschwindigkeit beim Netzausbau,
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mehr Innovation, um den erforderlichen Netzausbaubedarf zu reduzieren,
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mehr systemdienliche Erschließung von Flexibilität durch eine entsprechende Ausgestaltung der regulatorischen Rahmenbedingungen sowie
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eine integrierte Systemplanung, um unnötige Redundanzen zu vermeiden (ebd., S. 224)
Es braucht mehr Köpfe: Ein Expert*innenrat Netzausbau?
Diese vorgestellten Optionen, die aktuell noch nicht Bestandteil des NEPs sind, ermöglichen offensichtlich, dass der identifizierte Netzausbaubedarf doch variiert werden kann.
Hier wünschen wir uns, dass über die bestehenden Unsicherheiten diskutiert wird: verschiedene Optionen, sofern bekannt, sollten dargestellt werden. Dies betrifft insbesondere die Darstellung von technischen Alternativen in der Umsetzung, zum Beispiel in Form der kurz angerissenen Idee der nationalen offshore-Vernetzung, aber auch marktliche Alternativen, z.B. die Integration netzdienlich eingesetzter Flexibilität als Sensitivität.
Insofern sollte der nun identifizierte Netzausbaubedarf vielfältig überprüft werden – natürlich durch die BNetzA, aber auch durch variierte Szenarien und durch andere Institutionen: er muss validiert werden, es müssen Unsicherheiten offengelegt und Alternativen diskutiert werden – und zwar schneller als mit dem nächsten NEP in zwei Jahren.
Wir würden folgende validierenden Variationen befürworten:
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Variation der Szenarien: Die Stromnachfragen sind im Vergleich zu anderen Studien relativ hoch. Ein extremeres Effizienz-Szenario mit einer deutlich geringeren Stromnachfrage (circa 900 TWh) wäre von Interesse, gegebenenfalls auch mit einer entsprechenden Reduktion des EE-Ausbaukorridors, wenn z.B. hohe EE-Überschüsse dies nahelegen. Die Sensitivität zeigt auf, inwiefern Stromeinsparungen nachgelagerte Infrastrukturbedarfe reduzieren.
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Variation der Marktmodellierung: Die Stromimporte nach Deutschland erscheinen vergleichsweise hoch. Naheliegend wäre eine Sensitivität, in der eine Restriktion zur Einhaltung einer stärker ausgeglichenen Stromhandelsbilanz eingeführt wird. So kann ermittelt werden, durch welche Anpassungen des Szenariorahmens derart hohe Importe vermieden werden können.
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Validierung der Netzentwicklung: Abgleich des identifizierten Netzausbaubedarfs im NEP mit gröberen Ergebnissen anderer Szenarien (zum Beispiel der Langfristszenarien) als Plausibilitätscheck
Zum Umgang mit dem durch den aktuellen NEP zur Diskussion gestellten Netzausbaubedarf schlagen wir vor, dass eine Priorisierung des identifizierten Netzausbaubedarfs erarbeitet werden sollte. Aus dieser sollte hervorgehen, welche Maßnahmen vorrangig weiterzuverfolgen sind und bei welchen Maßnahmen durch Innovationen oder durch die systemdienliche Erschließung von Flexibilität Substitutionspotential besteht. Diese Darstellung könnte veranschaulichen, dass es sinnvoll ist, regulatorische Rahmenbedingungen anzupassen.
Franziska Flachsbarth und Prof. Dr. Dierk Bauknecht sind Senior Researcher im Institutsbereich Energie & Klimaschutz am Standort Freiburg. Sie forschen zur Transformation des Stromsektors.
Wahrhaftig, es braucht dringend mehr Köpfe, insbesondere solche, deren Intensionen nicht durch eigene betriebswirtschaftliche Interessen gefärbt sind. Auch Ihre Bedenken hinsichtlich der Umsetzbarkeit der geplanten Netzausbaumaßnahmen teile ich voll und ganz. Ich gehe noch einen Schritt weiter und zweifle die Notwendigkeit vieler dieser Maßnahmen im Übertragungsnetz an.
Last but not least weise ich auf eine massive Erzeugungslücke in 2045 hin, die die BNetzA nochalant wegbügelt. https://www.orangebuch.de/wp-content/uploads/2023/11/KonsultationsbeitragNEP2037_45_2.pdf