Nachhaltige digitale Technologien und künstliche Intelligenz
Digitale Technologien bestimmen unser Leben. Mit ihrem Einsatz sind einerseits große Erwartungen verbunden, die Effizienz anderer technischer Prozesse zu steigern und unseren Alltag zu verbessern. CO2-Emissionen und der Energieverbrauch müssen drastisch gesenkt werden. Darauf setzt auch der europäische Green Deal: „Digitale Technologien [sind] [...] eine entscheidende Voraussetzung für die Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele des Grünen Deals in vielen verschiedenen Sektoren“. Auch die Bundesregierung verweist in ihrer Digitalstrategie auf die beträchtlichen Potenziale der digitalen Technologien.
Andererseits gilt es aber zu bedenken: Die Herstellung und Nutzung von digitalen Technologien verursacht einen erheblichen Energie- und Rohstoffbedarf. Um belastbare Aussagen zu den Nachhaltigkeitseffekten der Digitalisierung treffen zu können, ist mehr Forschung unerlässlich. Die zentrale Frage dabei: Können digitale Lösungen – je nach Anwendung – insgesamt zu einer positiven Bilanz hinsichtlich ihrer Umwelt- und Nachhaltigkeitswirkungen führen?
Gestufte Nachhaltigkeitsbewertung von digitalen Technologien
Um dieser Frage nachzugehen, hat das Öko-Institut verschiedene laufende Forschungsvorhaben auf ihre Nachhaltigkeitspotenziale hin untersucht. Diese Studie wurde innerhalb des vom BMBF geförderten „Netzwerk Digital GreenTech“ im Auftrag der Gesellschaft für Informatik durchgeführt. Gegenstand der Untersuchung waren neue Produkte, Dienstleistungen und Verfahren in Forst-, Kreislauf- und Wasserwirtschaft, bei denen Umwelttechnologien mit digitalen Technologien wie maschinellem Lernen verknüpft wurden.
Bei den durchgeführten Analysen wurden die Umweltbelastungen der eingesetzten digitalen Technologien den jeweiligen Entlastungspotenzialen gegenübergestellt. Positive Effekte und damit Entlastungspotenziale sind beispielsweise Effizienzsteigerungen in industriellen Prozessen, die zu Einsparungen von Treibhausgasemissionen führen können.
Die Nachhaltigkeitsanalysen wurden in der Studie mit einer gestuften Vorgehensweise durchgeführt. In einer ersten Stufe hat das Öko-Institut für alle Forschungsvorhaben eine „Ex-ante-Analyse“ angefertigt. Diese Voruntersuchungen ermittelten qualitativ alle relevanten Be- und Entlastungspotenziale mit Blick auf die Sustainable Development Goals der Agenda 2030. Ausgehend von diesem Untersuchungsrahmen haben die einzelnen Forschungsvorhaben die jeweils erforderlichen Nachhaltigkeitsanalysen eigenverantwortlich durchgeführt. Um sie bei dieser Selbstevaluierung bestmöglich zu unterstützen, hat das Öko-Institut niedrigschwellige Bewertungsinstrumente bereitgestellt und Methoden erläutert, die für alle relevanten Nachhaltigkeitsaspekte eine möglichst weitgehende Quantifizierung erlauben. Ein Beispiel hierfür ist ein Online-Tool, mit dem der CO2-Fußabdruck der verwendeten digitalen Geräte beziehungsweise Dienstleistungen ermittelt werden kann. In einer dritten Stufe hat das Öko-Institut schließlich für drei ausgewählte Forschungsprojekte eine vertiefende Nachhaltigkeitsanalyse angefertigt und die Ergebnisse auf Deutschland hochskaliert. Im Rahmen einer Beitragsanalyse wurden außerdem jeweils diejenigen Systemkomponenten („Stellschrauben“) identifiziert, die den größten Beitrag zum Gesamtergebnis leisten und Ansatzpunkte herausgearbeitet, um die jeweilige Neuentwicklung zu optimieren.
Jeder Beitrag zählt
Insgesamt zeigten die durchgeführten Nachhaltigkeitsanalysen, dass bei fast allen Forschungsvorhaben Treibhausgasreduktionen zu erwarten sind. Die Netto-Entlastungspotenziale, also die positive Bilanz zwischen Energie- und Rohstoffbedarf sowie den positiven Umweltwirkungen, variieren jedoch stark. Große Wirkungen zeigten sich bei den Technologien, die den reduzierten Einsatz von CO2-intensiven Materialien wie Beton oder industriellen Prozessen wie das Recycling von Kühlgeräten ermöglichen. Hier können die Neuentwicklungen, wenn sie auf ganz Deutschland hochskaliert werden, zu einer Treibhausgasreduktion von mehreren Millionen Kilogramm CO2-Äquivalente führen.
Im Gesamtblick auf die deutschen Treibhausgasemissionen und ihren notwendigen Reduktionen, um das deutsche Klimaschutzziel zu erreichen, relativieren sich die Ergebnisse jedoch etwas. So muss Deutschland beispielsweise im Zeitraum bis 2025 jährlich 23 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente einsparen. Die in den Nachhaltigkeitsanalysen betrachteten Digitaltechnologien können daher jeweils nur einen Beitrag maximal im Promillebereich leisten.
Dennoch ist jeder Beitrag in diesem Zusammenhang wertvoll und unverzichtbar, insbesondere dann, wenn durch die Neuentwicklung weitere Nachhaltigkeitsgewinne entstehen können. Ein Beispiel ist hier die Reduktion des Insektideinsatzes in Waldgebieten, ermöglicht durch eine digitale Technologie.
Kompetenzen aufbauen dank Selbstevaluierung
Die Erfahrungen aus der Anwendung des entwickelten Methodikansatzes zeigen, dass eine Selbstevaluierung durch die Akteure in den jeweiligen Forschungsprojekten zu einer frühzeitigen Auseinandersetzung mit dem Thema Nachhaltigkeit führt. Für diesen Ansatz spricht, dass quantitative Daten als Grundlage für eine substanzielle Nachhaltigkeitsbewertung zuallererst in den Forschungsvorhaben selbst verfügbar werden. Mithilfe niedrigschwelliger Instrumente kann eine Selbstevaluierung so richtungsweisende Impulse für laufende Forschungs- und Entwicklungsarbeiten setzen. Beispielsweise regen die gewonnenen Erkenntnisse über besondere Entlastungs- und Belastungspotenziale die Projektbeteiligten an, Art und Umfang der eingesetzten digitalen Technologien zu hinterfragen und neue Lösungen bei der Chemikalienauswahl zu finden.
Darüber hinaus tragen die dabei gesammelten Erfahrungen zum Aufbau eigener Modellierungs- und Evaluierungskompetenzen in den jeweiligen Forschungsverbünden bei. Ein solches „Capacity Building“ zu Nachhaltigkeitsthemen kann für die Inwertsetzung der Neuentwicklung, aber auch für Weiterentwicklungen und Folgeprojekte hilfreich sein. Schließlich können die Ergebnisse von Nachhaltigkeitsanalysen für Fördermittelgeber handlungsleitend sein, wenn sie über Forschungsprojekte oder deren Weiterführung entscheiden.
Eine große Herausforderung für die Selbstevaluierung besteht darin, quantitative Daten zu den Ökoprofilen der verwendeten Materialien und Komponenten zu recherchieren. Falls bei einer Neuentwicklung komplexe Produkte beziehungsweise Technologien mit einer Vielzahl unterschiedlicher Bauteile zum Einsatz kommen, ist dies besonders herausfordernd. Vor diesem Hintergrund besteht ein großer Bedarf an gut dokumentierten, frei verfügbaren und leicht interpretierbaren Daten zu Nachhaltigkeitseffekten. Neben den vorhandenen Datenbanken wäre eine automatische Verknüpfung von Daten durch Softwarewerkzeuge wünschenswert.
Dr. Martin Möller ist Senior Researcher im Bereich Produkte & Stoffströme am Standort Freiburg. Er arbeitet zu nachhaltigen Technologien, Materialsystemen und Produkten. Dr. Andreas Köhler ist Senior Researcher im Bereich Produkte & Stoffströme am Standort Freiburg. Er leitet die Arbeitsgruppe zu Chemikalien, Werkstoffen und Technologien.