Nicht schöner wohnen. Sondern besser. Ein Energie-Plus-Mehrgenerationenhaus in Berlin
Franziska Mohaupt, eine der Initiatorinnen des Wohnprojektes erzählt die Geschichte des Hauses von den ersten Ideen bis zum heutigen Alltag.
2008 begannen zwei befreundete Paare aus Berlin, über ihren gemeinsamen Traum vom Wohnen zu sprechen. Über mehr Gemeinschaft im Alltag, über ein solidarisches Miteinander und möglichst viele Gemeinschaftsflächen. Über ein nachhaltiges Haus, gebaut nach möglichst hohen Ökostandards. „Wir haben schnell den Plan gefasst, diesen Traum zusammen umzusetzen und ein sozial-ökologisches Wohnprojekt zu starten“, erzählt Franziska Mohaupt, eine der Initiatorinnen. „Zuerst haben wir die grundlegenden Prinzipien definiert, die in dem Haus und der Gemeinschaft umgesetzt werden sollen, dann haben wir nach Menschen gesucht, die mit uns die Idee vom sozialen und ökologischen Projekt umsetzen wollen.“ Denn für sie hatte die Gemeinschaft klare Priorität vor dem „schönen Wohnen“, das sollte auch für alle Interessierten gelten. Außerdem suchten und fanden sie einen Planer und eine Architektin, die das Projekt begleiteten und bei der Suche nach einem Grundstück halfen.
2012. Der Bau beginnt.
Fast vier Jahre sollte es dauern, bis die Initiatorinnen und Initiatoren ein passendes und bezahlbares Grundstück fanden: ein Lückenschluss in Berlin-Lichtenberg mit breiter Front wurde möglich. „Als wir ein Grundstück hatten, haben sich auch schnell viel mehr Menschen gefunden, die dabei sein wollten“, so die Initiatorin. Der Bau beginnt. Finanziert wird das Haus teils über Bankkredite, teils über zahlreiche Direktkredite, insgesamt 2,7 Millionen Euro sind für Grundstückskauf und Bau insgesamt nötig.
Die ökologischen Grundsätze werden durch verschiedene Maßnahmen verwirklicht. „Wir wollten zum Beispiel auf chemische Stoffe verzichten, eine hohe Recycelbarkeit der verwendeten Materialien erreichen und natürlich so wenig Energie wie möglich verbrauchen.“ Dafür sieht der Plan auch relativ geringe Wohnflächen vor. „Wir haben nach dem Prinzip eine Person ein Zimmer geplant, die Zimmer sollten maximal 15 Quadratmeter haben.“ Außerdem wird das Haus so gestaltet, dass Wohnungen flexibel verändert werden können, um sich verschiedenen Anforderungen anpassen zu können.
Zusätzlich wird die Fassade gut gedämmt. Ein Holzpelletofen wird eingebaut, dessen Größe normalerweise in einem Ein- bis Zweifamilienhaus zum Einsatz kommt. Er soll aber erst ab 5 Grad plus anspringen, wenn die Wärme aus den Abwasser- und Abluft-Wärmepumpen nicht mehr reicht. Aufs Dach kommt eine große Photovoltaik-Anlage. Über das Jahr gerechnet produziert das Mehrgenerationenhaus nun mehr Energie als es verbraucht. Installiert wird außerdem ein Tank für die Sammlung von Grauwasser, das gereinigt für die Bewässerung des Gartens genutzt werden kann.
2014. Die Gemeinschaft zieht ein.
2014 ziehen die Mieterinnen und Mieter in das viergeschossige Haus in der Sophienstraße ein. 1.207 Quadratmeter Wohnfläche stehen ihnen insgesamt inklusive der Gemeinschaftsräume zur Verfügung. Es gibt 18 Ein- bis Vierzimmerwohnungen, 38 bis 90 Quadratmeter sind sie groß. Alle haben eine große Wohnküche. Der Gemeinschaftsgedanke findet sich überall im Haus wieder. „Wir haben viele Gemeinschaftsflächen und einen großen Garten sowie eine gemeinschaftliche Gästewohnung“, sagt Franziska Mohaupt, „außerdem werden viele Dinge gemeinsam genutzt, so zum Beispiel die vier Waschmaschinen.“ Sie sind – wie alle Elektrogeräte im Haus – besonders energieeffizient.
Organisiert ist die Gemeinschaft nach dem Prinzip des Mietshäusersyndikats, das am Haus beteiligt ist und sich für langfristig bezahlbaren Wohnraum einsetzt. „Ein Verkauf, des Hauses, von Wohnungen oder des Grundstücks sind zum Beispiel nicht möglich“, sagt Franziska Mohaupt, „es soll nicht möglich sein, mit der Wertsteigerung des Hauses zu spekulieren.“ Ein zentrales Element des Zusammenlebens sind im Mehrgenerationenhaus zudem regelmäßige Abstimmungen beim Plenum, das alle zwei Wochen tagt und bei dem aktuelle Fragen besprochen werden. „Bei größeren Entscheidungen muss es Einigkeit geben, alle haben ein Vetorecht.“
2020. Ein Rückblick auf eine vielseitige Initiative.
28 Erwachsene zwischen 25 und 79 und 12 Kinder zwischen 1 und 13 Jahren wohnen im Januar 2020 im Mehrgenerationenhaus. Paare, Singlehaushalte, Familien, WGs. Alle engagieren sich für das Haus – anders könnte das Projekt nicht funktionieren. „Es gibt Arbeitsgruppen für Finanzen, die Wartung der Anlagen oder auch die Gartenarbeit. Man muss schon mindestens fünf, manchmal zehn Stunden pro Woche für das Haus aufbringen.“ Auch ein Wechsel der Mieterinnen und Mieter gehört immer dazu, manchen ist etwa dieser Arbeitsaufwand zu viel. Ungefähr einmal im Jahr zieht eine Mietpartei aus und eine neue ein. Der Suche neuer Mitbewohnerinnen und Mitbewohner wird eine sehr große Bedeutung beigemessen. „Das Kennenlernen kann schon mal bis zu fünf Monate dauern, aber dafür bekommen wir dann auch Menschen, die wir wirklich wollen, und die uns wirklich wollen.“ Dafür nehmen die Interessierten etwa am Plenum teil – das 2020 wegen der Covid-19-Pandemie online stattfindet – und informieren sich über Arbeitsgruppen.
Auch acht Jahre nach dem Baubeginn ist das Energie-Plus-Mehrgenerationenhaus für Franziska Mohaupt immer noch eine fordernde und vielseitige Angelegenheit, die immer wieder ihre Aufmerksamkeit und auch viele Nerven fordert. Etwa, wenn Konflikte auftreten oder am Haus etwas nicht funktioniert. So verhindern derzeit undichte Wassertanks, dass das Grauwasser auch in den Waschmaschinen eingesetzt werden kann.
Bereut hat sie den Bau des Hauses in Eigeninitiative aber nie. Nicht nur, weil ihre Kinder jetzt mit vielen anderen Kindern aufwachsen können. Sondern auch, weil sie sich den Traum von der sozial-ökologischen Gemeinschaft erfüllt hat, der vor über zehn Jahren begann.
Das Energie-Plus-Mehrgenerationenhaus ist ein Projekt der Initiative LaVidaVerde. Das selbst organisierte Haus wurde ab 2008 geplant, 2012 erwarb die Projektgemeinschaft ein Grundstück in der Sophienstraße in Berlin-Lichtenberg. Im August 2014 zogen die Bewohnerinnen und Bewohner in das Energie-Plus-Haus ein, das unter anderem über eine gute Wärmedämmung, eine große Photovoltaikanlage und die Grauwasseraufbereitung verfügt. Jedem Bewohner und jeder Bewohnerin steht eine Wohnfläche von durchschnittlich etwa 32 Quadratmetern zur Verfügung – das sind gut 30 Prozent weniger als der bundesweite Durchschnitt. Darüber hinaus verbrauchen die Bewohnerinnen und Bewohner im Vergleich zu einer Person im deutschen Mehrfamilienhausbestand nur etwa ein Viertel des durchschnittlichen Bedarfs an Heizwärme und Strom. LaVidaVerde ist Mitglied im Mietshäuser Syndikat, das neben dem Hausverein Gesellschafterin der so genannten LaVidaVerde GmbH ist.
Weitere Informationen
Artikel „Die geteilte Wanne. Ein Energie-Plus-Mehrgenerationenhaus in Berlin“ im Magazin eco@work
Website des Hausprojektes „LaVidaVerde“