Roda Verheyen: Der Klimawandel und seine Folgen sind ein Menschenrechtsproblem
Im Juli 2021 hat die EU-Kommission das Fit for 55-Paket vorgelegt. Mit ihm soll es möglich werden, die Treibhausgasemissionen der Europäischen Union bis 2030 um mindestens 55 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken. Das Paket der Kommission enthält zahlreiche Vorschläge für ordnungsrechtliche und marktorientierte Instrumente. In unserer Reihe zum Fit for 55-Paket geht es dieses Mal um den peruanischen Kleinbauern Saúl Luciano Lliuya. Eine Gletscherschmelze bedroht seine Heimatstadt Huaraz unmittelbar. Die Anwältin Dr. Roda Verheyen vertritt ihn in seiner Klage gegen RWE. Das Unternehmen soll in dem Umfang für Schutzmaßnahmen bezahlen, in dem es für die weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich ist.
Saúl Luciano Lliuya (anbei); Quelle: Walter Hupiu/ Germanwatch e.V.
Wenn in einer peruanischen Andenstadt ein Gletscher schmilzt, weil die Temperaturen steigen – Wer ist dafür verantwortlich? Wer trägt die Kosten, falls der Gletschersee die Wassermengen nicht mehr halten kann und eine Flutkatastrophe zahllose Existenzen zerstört? Oder besser: Wer kümmert sich darum, dass es gar nicht erst so weit kommt und finanziert die notwendigen Schutzmaßnahmen?
„Jene, die den Klimawandel verursachen“, fordert Dr. Roda Verheyen, „und dazu zählt auch der Essener Energiekonzern RWE: Er ist für etwa ein halbes Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich und sollte daher einen ebenso hohen Anteil daran leisten, Menschen vor den Folgen des Klimawandels zu schützen.“ Die Rechtsanwältin aus Hamburg, die ihre Doktorarbeit über Klimaschäden verfasst hat, vertritt Saúl Luciano Lliuya bereits seit 2015 bei einer Klage gegen RWE.
Denn das Haus des peruanischen Kleinbauern und Bergführers ist ebenso wie ein großer Teil seiner Heimatstadt Huaraz von einer möglichen Flutwelle aufgrund der Gletscherschmelze bedroht. Daher verklagt er den Energiekonzern auf einen Anteil an den notwendigen Schutzmaßnahmen.
Ein verzögerter Prozess
„Wir sind inzwischen in der zweiten Instanz vor dem Oberlandesgericht Hamm. 2017 wurde mit der Beweisaufnahme begonnen, als nächstes steht voraussichtlich in diesem Jahr ein Ortstermin in Huaraz an, der sich wegen der Corona-Pandemie stark verzögert hat. Dabei soll geklärt werden, ob das Haus von Saúl Luciano Lliuya durch eine Flutwelle aus dem Gletschersee Palcacocha bedroht ist.“
Verzögert wurde das Verfahren in der Vergangenheit aber auch durch ihren Prozessgegner. „RWE versucht immer wieder, den Prozess in die Länge zu ziehen, etwa indem alle Sachverständigen zurückgewiesen werden.“ Trotz allem sagt sie, werde sie keinesfalls „den Atem verlieren“. Und auch Saúl Luciano Lliuya sei sich von Anfang an bewusst gewesen, dass sich die Klage über einen langen Zeitraum ziehen könnte. „Bei ihm steckt aber mehr als eine persönliche Motivation dahinter. Er sieht den größeren Rahmen: Dass bei einem Urteil zu unseren Gunsten auch die anderen Verursacher von Treibhausgasemissionen endlich in der Pflicht stehen.“
Der Fall Huaraz ist die erste Klage, bei der ein Verursacher vor Gericht steht, die es so weit geschafft hat. Sie wird unterstützt von Germanwatch e.V. und der Stiftung Zukunftsfähigkeit sowie durch Spenden und Crowdfunding finanziert.
Saúl Luciano Lliuya mit der Rechtsanwältin Dr. Roda Verheyen und Teilen des Germanwatch-Teams beim Oberlandesgericht Hamm zur Klimaklage gegen RWE. Quelle: Germanwatch e.V.
Gletscherschmelze, wissenschaftlich belegt
Grundlage der Klage waren Aussagen über die tropischen Anden im IPCC Bericht 2014. Unabhängige Wissenschaftler*innen von der University of Oxford haben jetzt 2021 eine Studie vorgelegt, die nicht nur den Temperaturanstieg in Peru – dieser liegt bei etwa einem Grad – mit der durch Treibhausgasemissionen verursachten Erderwärmung erklärt, sondern auch mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 99 Prozent davon ausgeht, dass die Gletscherschmelze nicht auf natürliche Schwankungen zurückzuführen ist. „RWE bestreitet sogar, dass in den peruanischen Anden die Temperatur überhaupt gestiegen ist. Das ist aus wissenschaftlicher Sicht absurd und komplett aus der Zeit gefallen. Das Unternehmen begibt sich damit in die Nähe von Klimaskeptikern.“
Verhandelt wird über die Klage nach dem Zivilrecht. „Eigentlich müsste aber der Rechtsrahmen angepasst werden. Es ist aus meiner Sicht eine klare völkerrechtliche Verpflichtung, einen Mechanismus einzurichten, der eine neue rechtliche Grundlage für solche Ansprüche schafft. Der regelt, in welchen Fällen und ab wann Kosten geltend gemacht werden können. Diese Forderung besteht übrigens schon lange.“
Eine rechtliche Frage, eine moralische Verpflichtung
Der Fall hat nicht nur eine sehr hohe juristische Bedeutung und erhält daher sehr große Aufmerksamkeit. Mindestens einmal in der Woche spricht Dr. Roda Verheyen mit Studierenden, Journalist*innen oder anderen Jurist*innen über die Klage, ihre Ursprünge und ihre Folgen.
Die Mitbegründerin des internationalen Netzwerks „Climate Justice Programme“ hat zudem bereits Klimaschützer*innen vor dem Bundesverfassungsgericht vertreten. Dieses sprach 2021 ein richtungsweisendes Urteil, das das bisherige deutsche Klimaschutzgesetz als unvereinbar mit den Grundrechten einstufte.
Gewinnt Dr. Roda Verheyen vor dem Oberlandesgericht Hamm und RWE legt Widerspruch ein, geht die Klage als nächstes vor den Bundesgerichtshof. „Theoretisch könnten wir danach sogar noch vor dem Bundesverfassungsgericht landen.“ Wird es ein Sieg durch alle Instanzen, hätte dies eine sehr hohe symbolische Wirkung. Weitere Unternehmen, die wie RWE zum Klimawandel beitragen, könnten verklagt werden.
Saúl Luciano Lliuya (anbei); Quelle: Walter Hupiu/ Germanwatch e.V.
Und was passiert, wenn sie verliert? Wird sie dann keine Klimaklagen mehr führen? „Das kommt darauf an, warum ich verliere. Wenn die Klage an rechtlichen Gründen scheitert, muss vielleicht erst das Recht verändert werden. Wenn es aber etwa um Lücken in der Beweisführung geht, werde ich früher oder später mit einer ähnlichen Klage vor einem deutschen Gericht stehen – ich habe schon eine Warteliste möglicher Kläger*innen.“
Sie sieht neben der rechtlichen zudem eine moralische Verpflichtung. Von Unternehmen wie RWE ebenso wie von Industriestaaten wie Deutschland. „Die Klimafolgen sind global sehr ungerecht verteilt. Es gibt so viele Menschen wie Saúl auf dieser Welt, die damit allein gelassen werden. Auch die Bundesrepublik hat hier eine Verantwortung. Der Klimawandel und seine Folgen sind aus meiner Sicht ein Menschenrechtsproblem.“
Dr. Roda Verheyen hat in Hamburg, London und Oslo Jura studiert, arbeitet seit 2006 als Rechtsanwältin und ist Partnerin in der Hamburger Kanzlei Günther. Zuvor war sie als selbständige Beraterin tätig, unter anderem für Germanwatch e.V. und die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit. Gemeinsam mit Peter Roderick hat sie 2002 das internationale Netzwerk „Climate Justice Programme“ gegründet. Dr. Roda Verheyen ist außerdem Richterin am Hamburgischen Verfassungsgericht. In zahlreichen Veröffentlichungen hat sie sich bereits mit dem Klimawandel sowie mit Klimaklagen befasst. Saúl Luciano Lliuya ist ein Kleinbauer und Bergführer aus der peruanischen Andenstadt Huaraz. Unterstützt von Dr. Roda Verheyen sowie Germanwatch und der Stiftung Zukunftsfähigkeit reichte er 2015 Klage gegen RWE ein. Er fordert vom Essener Energiekonzern eine Beteiligung an Schutzmaßnahmen: Der Gletscher oberhalb von Huaraz schmilzt, ein Gletschersee schwillt an, eine Flutkatastrophe droht.
Weitere Informationen
Themenseite „Der Fall Huaraz“ auf der Website der Stiftung Zukunftsfähigkeit Auf dieser Seite finden Sie auch weitere Informationen zur Möglichkeit, den Fall Huaraz durch Spenden zu unterstützen.