Soziale Einrichtungen und Klimaschutz: Herausforderungen für die Gebäudesanierung
Soziale Einrichtungen als wichtiger Klimaschutzakteur
Die Betreiber sozialer Einrichtungen nutzen einen großen Anteil der Nichtwohngebäude in Deutschland und sind für nennenswerte Emissionen aus dem Heizenergieverbrauch verantwortlich. Nach Hörner und Bischof (2022) gibt es in Deutschland knapp 63.000 Gebäude mit etwa 178 Millionen qm Fläche in der Nutzungskategorie „Gesundheit und Pflege“. Davon sind 39 Prozent Altbauten mit Baujahr vor 1978, die einen schlechten energetischen Zustand aufweisen. Alle Gebäude dieser Kategorie tragen mit etwa 16,2 Terawattstunden (TWh) jährlich zum Endenergieverbrauch und mit 4 Millionen Tonnen an CO2-Äquivalenten pro Jahr relevant zu den Treibhausgasemissionen Deutschlands bei.
Die Wohlfahrtsverbände schätzen ihren Gebäudebestand auf „ca. 85.000 bis 100.000 [Gebäude] in allen Größenklassen“ (Baumann et al. 2022). In den großen Sozialverbänden gibt es bereits mehr oder weniger ambitionierte Klimaziele und -maßnahmen. So verfolgen die Arbeiterwohlfahrt und die Caritas Klimaneutralitätsziele „vor 2040“ bzw. „bis 2030“; das Deutsche Rote Kreuz (DRK Jahrbuch 2022) hat ein eigenes Förderprogramm für mehr Klimaschutz in den Einrichtungen und Der Paritätische Gesamtverband setzt ein eigenes Klimaschutzprojekt um. Der Fokus der laufenden Aktivitäten liegt auf Information und Motivation in den Bereichen Ernährung, Mobilität und Gebäude, nicht auf einer umfassenden Gebäudesanierung.
Hohe Kosten für energetische Sanierung
Wie auch in anderen Branchen müssen ältere Gebäude energetisch ertüchtigt sowie das Heizungssystem auf erneuerbare Energie umgestellt werden, um den Energieverbrauch zu reduzieren und Emissionen zu vermeiden. In sozialen Einrichtungen gelten jedoch besondere gesetzliche Rahmen- und Finanzierungsbedingungen. Für eine erste Abschätzung der Investitionskosten für die energetische Sanierung der Gebäude für „Gesundheit und Pflege“ haben wir eine Reihe von Datensätzen zusammengeführt, aufbereitet und analysiert.
Demnach sind für die nächsten 20 Jahre jährlich Investitionen von 0,6 bis 1,2 Milliarden Euro erforderlich, um allein die Gebäude, die für „Gesundheit und Pflege“ genutzt werden und vor 2009 errichtet wurden, energetisch zu ertüchtigen. In dieser Summe sind notwendige Kosten für die Instandhaltung nicht enthalten, sondern lediglich die sogenannten energetischen Mehrkosten. Je besser der energetische Standard, der erreicht wird, und je nach Art erneuerbarer Wärmeversorgung sind die Kosten unterschiedlich hoch. Die folgende Tabelle zeigt die Kosten für die Sanierung der älteren Bestandsgebäude auf den Effizienzgebäude (EG 70) – Standard. Bei Erreichen des EG 40 – Standards liegen die Kosten entsprechend höher: bei insgesamt 21,9 Milliarden Euro an energetischen Mehrkosten für die Sanierung der Gebäudehülle mit Fernwärmeanschluss und 25,5 Milliarden Euro bei einer Wärmeversorgung mit Luft-Wärmepumpen.
Die Einsparungen bei den Energiekosten nach der Sanierung müssen den Sanierungskosten gegenübergestellt werden, um zu ermitteln, welche Sanierungsvariante am günstigsten ist. Jedoch kommen die Energiekosteneinsparungen nicht den Trägern der Investitionskosten zugute. Denn ähnlich dem Mieter-Vermieter-Dilemma, wonach Vermietende nicht von Energieverbrauchssenkungen infolge energetischer Sanierungen profitieren, da die Energiekosten von den Mietenden getragen werden, herrscht bei den sozialen Einrichtungen das Dilemma der verschiedenen Kostenträger.
Das Dilemma der verschiedenen Kostenträger
Am Beispiel der Pflegeheime stellt sich das Finanzierungssystem sozialer Einrichtungen wie folgt dar: Die Betreiber der Heime verhandeln die Kostenerstattung mit den jeweiligen Kostenträger. Investitionen und Betriebskosten werden dabei in der Regel von unterschiedlichen Kostenträgern übernommen. Das bedeutet, dass höhere Kosten bei den Investitionen für höhere Energiestandards oder eine Photovoltaik-Anlage, die zu geringeren Betriebskosten führen, nicht dem Träger der Investitionskosten zugutekommen, sondern dem Träger der Betriebskosten. Der Träger der Investitionskosten ist in der Regel die Kommune, der Landkreis oder das Land. Die Betriebskosten werden von den Sozialkassen und damit zumindest anteilig von den Bewohnenden getragen. Setzt ein Pflegeheimbetreiber mit eigenen Mitteln – zum Beispiel aus Spenden – Klimaschutzmaßnahmen um, so kann er, wie auch der Träger der Investitionskosten, von den Energiekosteneinsparungen im aktuellen System nicht profitieren.
Bestehende Förderprogramme können in Anspruch genommen werden, die Förderung ist jedoch sowohl hinsichtlich der Förderquote als auch hinsichtlich der verfügbaren Fördermittel nicht ausreichend. Zudem passen sie oft auch inhaltlich nicht gut zu den Bedürfnissen sozialer Einrichtungen oder sind gar nicht bekannt.
Zusätzlich muss auch hier unterschieden werden zwischen Gebäuden im Eigentum und angemieteten Gebäuden mit den entsprechenden Folgen für die Sanierungsentscheidung. Zwei Drittel der Gebäude für Gesundheit und Pflege befinden sich im Eigentum der Nutzer, vgl. die folgende Abbildung. Für gemietete Gebäude erschwert das Mieter-Vermieter-Dilemma die Umsetzung energetischer Sanierungen.
Wirtschaftlichkeitsgebot: ökologische Nachhaltigkeit bislang kein Ziel des Sozialrechts
Für alle Zweige der Sozialversicherung gilt ein Wirtschaftlichkeitsgebot. Höhere Kostenangebote bei Gebäudesanierungen für höhere Energiestandards dürfen nicht berücksichtigt werden – es ist immer das günstigste Angebot zu wählen. Auch Investitionen in erneuerbare Energien-Anlagen sind nicht finanzierbar.
Kleinteilige Organisationsstruktur, geringe Energiekosten im Vergleich zu Personalkosten und schlechte Datenlage
Die einzelnen Einrichtungen und Dienste der gemeinnützigen Sozialwirtschaft sind wirtschaftlich selbständig und damit sehr kleinteilig organisiert. Jede Einrichtung muss für sich Klimaschutzmaßnahmen organisieren, finanzieren und umsetzen. Der Dachverband kann allenfalls durch Beratungsangebote, Lobbyarbeit und ähnliches unterstützen. Der Anteil der Energiekosten an den Betriebskosten ist im Vergleich zu den Kosten für das Pflegepersonal gering, daher liegt das Augenmerk häufig nicht auf Energiekosten. Personalkosten für Klimaschutzverantwortliche in den Einrichtungen sind in der Regel nicht finanzierbar. Außerdem ist die Datenlage zu den Gebäuden schlecht. Weder zur Anzahl noch zum Energieverbrauch noch zur Beschaffenheit liegen derzeit Daten vor. Diese müssen zunächst in den Einrichtungen systematisch erhoben werden.
Was ist zu tun?
Um flächendeckend umfassenden Klimaschutz in den sozialen Einrichtungen und bei deren gemeinwohlorientierten Trägern zu ermöglichen, ist eine Änderung der Rahmenbedingungen dringend erforderlich. Der Gebäudebereich ist hiervon aufgrund der immensen Investitionen, die notwendig sind, besonders betroffen.
Folgende Wege zur Überwindung der Herausforderungen sollten weiterverfolgt werden:
- Überprüfung der Rolle des Wirtschaftlichkeitsgebotes im Sozialrecht im Sinne der Berücksichtigung der ökologischen Nachhaltigkeit
- Detaillierte Kostenbetrachtungen für verschiedenen Einrichtungstypen [neben den Pflegeheimen sind auch Kindertagesstätten besonders wichtig], Ermittlung und Berücksichtigung der zu erzielenden Energiekosteneinsparungen
- Analysen zur Überwindung des Dilemmas der verschiedenen Kostenträger
- Schaffung von Anreizstrukturen für die einzelnen Einrichtungen zur Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen: Mit welchen Instrumenten können Einrichtungen, die bisher nicht aktiv im Klimaschutz sind, motiviert werden, Klimaschutzmaßnahmen umzusetzen? Wie kann das Dilemma der unterschiedlichen Kostenträger aufgelöst werden, um Sanierungsanreize zu schaffen?
- Organisatorische, technische und personelle Unterstützung für die einzelnen Einrichtungen, einschließlich konkreter Unterstützung durch die Dachverbände durch Modellprojekte, Mustergebäude, Tools etc.
- Weiterentwicklung bestehender Förderprogramme durch die Ermittlung konkreter Bedarfe an die Ausgestaltung sowie Implementation
Tanja Kenkmann ist Senior Researcher und Projektleiterin im Bereich Energie & Klimaschutz am Standort Freiburg. Sie ist Expertin für soziale Aspekte der Energiewende im Gebäudebereich.