Steigende Netzentgelte für Erdgas: Wie kann ein planvoller Gasausstieg gelingen?
Steigende Netzentgelte durch veraltete Regulierungen beim Gasausstieg
Deutschland hat sich durch das Klimaschutzgesetz dazu verpflichtet bis 2045 Klimaneutralität zu erreichen. Das geht nicht ohne die Emissionen im Gebäudesektor auf null zu senken. Derzeit verursacht die Verbrennung von Erdgas zum Heizen einen Großteil der Emissionen im Gebäudebereich. Der nötige Gasausstieg ist zwar bis 2045 festgelegt. Die aktuellen Regulierungen der Gasnetzinfrastruktur sind jedoch auf einen Fortbestand und sogar eine steigende Nachfrage nach Erdgas ausgelegt. Dementsprechend besteht hier Handlungsbedarf, um die folgenden drei Ziele miteinander zu vereinbaren: 1) das Erreichen von Klimaneutralität, 2) Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit für Endverbraucher*innen sowie 3) wirtschaftliche Beständigkeit bei den Gasnetzbetreibern.
Für die Gasnetzbetreiber besteht das Grundproblem darin, dass die getätigten Investitionen in das Gasnetz nur dann refinanziert werden können, wenn sie vollständig abgeschrieben werden können. Bisher dürfen die Gasnetzbetreiber ihre Kosten über jährliche Abschreibungen auf die Kund*innen umwälzen. Der Abschreibungszeitraum für so große Investitionen, wie sie in der Gasnetzinfrastruktur getätigt werden, beträgt jedoch bis zu 55 Jahre. Das heißt, viele Investitionen müssten eigentlich über das Jahr 2045 hinaus weiter abgeschrieben werden, um refinanziert zu sein. Ist dies nicht möglich, bedeutet dies große finanzielle Verluste für die Gasnetzbetreiber.
Die Endverbraucher*innen sind am stärksten durch Preissteigerungen bedroht. Auf dem Weg hin zum Gasausstieg werden voraussichtlich alle Preisbestandteile steigen: Die Abgaben erhöhen sich auf Grund des steigenden CO2-Preises und die Beschaffungskosten für Gas sind Schwankungen am Gasmarkt unterworfen, beispielsweise durch Krisen wie dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Doch auch die Netzentgelte (siehe Infobox ganz unten) werden sich verändern. In den nächsten Jahren werden immer weniger Haushalte an das Gasnetz angeschlossen sein, weil sie auf eine klimafreundliche Heizungstechnik umsteigen. Das bedeutet, dass die Kosten für das Gasnetz auf die verbleibenden Haushalte verteilt werden. Zwar wird auch das Netz mit abnehmender Kund*innenzahl schrumpfen, jedoch vorrausichtlich nicht in gleichem Maße wie die Anzahl an Kund*innen. Das liegt unter anderen an verschiedenen bestehenden Regulierungen Dementsprechend werden die Netzentgelte in den nächsten Jahren steigen. Das Büro für Energiewirtschaft und technische Planung GmbH (BET) hat für Agora Energiewende in der Studie „Ein neuer Ordnungsrahmen für die Erdgasverteilnetze“ (siehe Seite 47) berechnet hat, dass die Netzentgelte unter den aktuellen Regulierungen um ein 9- bis 16-faches steigen werden.
KANU 2.0 ist ein Anfang – aber reicht das?
Die Bundesnetzagentur (BNetzA) hat die Probleme rund um die Abschreibungen erkannt und zu Beginn des Jahres 2024 einen Konsultationsprozess zur Anpassung der Abschreibungen gestartet. Dieser mündete in dem Festlegungsverfahren zur Anpassung von Kalkulatorischen Nutzungsdauern und Abschreibungsmodalitäten von Erdgasleitungsinfrastrukturen (KANU 2.0). Demnach dürfen Gasnetzbetreiber nun kürzere Abschreibungszeiträume wählen, um all ihre Investitionen vor 2045 abschreiben zu können. Gleichzeitig soll auch steigenden Netzentgelten vorgebeugt werden. Durch eine Änderung der linearen hin zu einer degressiven Abschreibungsrate werden heutige Haushalte stärker durch die Abschreibungsbeträge belastet als Haushalte in Zukunft. Degressive Abschreibungen funktionieren nicht nach einem festen absoluten Anteil, sondern auf Basis eines festen Prozentsatzes. Nach dem neuen Beschluss der BNetzA dürfen Gasnetzbetreiber zu einem Prozentsatz von bis zu 12 Prozent jährlich abschreiben. Damit erlaubt die degressive Abschreibungsmethode eine Verschiebung der Abschreibungskosten in die nahe Zukunft und verhindert dadurch, dass Endverbraucher*innen, die ihren Energieträger nur schwer wechseln können, in den Jahren kurz vor 2045 hohe Kosten tragen müssen.
Steigenden Netzentgelten vorrausschauend begegnen
Trotz der Änderungen in den Regulierungen, die in nächster Zeit zu erwarten sind, ist es wichtig insbesondere die Interessen der Endverbraucher*innen nicht aus dem Auge zu verlieren. Die Anpassungen der Regulierungen werden möglicherweise einen Anstieg der Netzentgelte nur teilweise verhindern können. Mit fortschreitendem Gasausstieg werden dementsprechend insbesondere die Kund*innen stark belastet werden, die noch in den letzten Jahren vor dem Erreichen der Klimaneutralität auf Erdgas angewiesen sind. Insbesondere Haushalte mit geringem Einkommen und hohem Erdgasverbrauch – verursacht beispielsweise durch nicht ausreichend gedämmte Häuser – werden vor großen finanziellen Hürden stehen. Diesen sozialen Härten sollte durch geeignete Umverteilungsmechanismen unter Einhaltung der Anreize zum Gasausstieg vorrausschauend begegnet werden.
Die Agora Energiewende nennt in ihrer Studie (Seite 95) fünf verschiedene Modelle, um dies zu erreichen:
Die Grundidee der differenzierten Netzentgelte ist, betroffene Gebiete oder Endverbraucher*innen gezielt zu entlasten. Innerhalb von einem Netzgebiet wäre es dann möglich, vulnerable Haushalte oder Teilnetzgebiete zu entlasten, die durch starke Netzentgeltsteigerungen betroffen sind. Bundeseinheitliche Netzentgelte würden bedeuten, dass überall in Deutschland die gleichen Netzentgelte gezahlt werden und dadurch eine Mittelung stattfindet. Die Umlagelösung wirkt als einzige Methode auf Ebene der Netzbetreiber. Diese dürften ab einem bestimmten Schwellenwert Kosten auf die Schultern aller Netzbetreiber verteilen.
Die Fondslösung macht sich die Grundproblematik der Netzentgeltsteigerungen zu Nutze: Die große Anzahl an Haushalten heute zahlt jeweils etwas höhere Netzentgelte pro Kopf. Dieses Geld wir in einem Fonds gesammelt. Es kann circa ab Mitte 2030 dazu genutzt werden, um Netzentgeltsteigerungen ab einem bestimmten Schwellenwert für die letzten am Gasnetz verbleibenden Haushalte zu finanzieren. Dieser Ansatz bringt zwei Vorteile mit sich: Erstens setzt die Preissteigerung für Gas in der kurzen Frist einen Anreiz den Energieträger zu wechseln. Zweitens werden die Kosten in der langen Frist gesenkt. Dadurch werden dann gerade die Haushalte unterstützt, die schwieriger vom Gas wegkommen. Die Fondslösung erscheint uns als das am besten geeignete Modell, um den steigenden Netzentgelten vorrauschauend zu begegnen. Sie trägt zu einem planvollen Gasausstieg ohne soziale Verwerfungen bei. Jedoch lassen sich die verschiedenen Modelle auch verknüpfen.
Was braucht es noch für einen gelingenden Gasausstieg?
Aktuell beschäftigt sich auch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) mit der Frage, wie die Regulierungen der Gasnetzinfrastruktur mit dem Gasausstieg und den Interessen der Gasnetzbetreiber und Haushalte in Einklang gebracht werden können. Zu Beginn des Jahres wurde der Konsultationsprozess zur Überarbeitung verschiedener Regulierungen eröffnet. Einige der im „Green Paper Transformation Gas-/Wasserstoff-Verteilernetze“ erwähnten Regulierungen haben auch einen direkten Effekt auf die Netzentgelte:
Durch Ausbau- und Investitionsverpflichtungen werden Gasnetzbetreiber dazu verpflichtet, Investitionen in das Netz zu tätigen, die über die reine Instandhaltung hinaus gehen. Dies verzögert den Gasausstieg und erhöht die Menge an notwendigen Abschreibungen für die Unternehmen. Dadurch steigen wiederum die Netzentgelte, wodurch Haushalte zusätzlich belastet werden.
Hinzu kommt, dass Gasnetzbetreiber einer Anschlusspflicht unterliegen. Diese verpflichtet Gasnetzbetreiber dazu, Haushalte auf Wunsch an das Gasnetz anzuschließen und verbietet Kündigungen von bestehenden Anschlüssen. Dadurch kann es möglich werden, dass große Teilnetze für wenige verbleibende Kund*innen weiter betrieben werden müssen. Hierbei steigen die Netzentgelte für die letzten verbleibenden Haushalte extrem, da ein großes Netz für wenige noch angeschlossene Haushalte betrieben werden muss.
Sollten Teilnetze jedoch stillgelegt werden, so werden die Kosteneinsparungen nicht direkt an die Endverbraucher*innen weitergegeben. Da die Netzentgelte immer für eine fünfjährige Regulierungsperiode berechnet werden, bleiben sie über diesen Zeitraum hinweg konstant. Besonders in den letzten Jahren vor dem Gasausstieg werden sich Kosteneinsparungen erst langsam in sinkenden Netzentgelten widerspiegeln.
Andere Regulierungen wirken nur indirekt auf die Netzentgelte, sind aber ebenfalls wichtig für einen planvollen Gasausstieg: Damit die Versorgungssicherheit für Endverbraucher*innen gesichert ist und der Wechsel zu einer erneuerbaren Wärmeinfrastruktur gelingt, ist eine ganzheitliche Energieplanung notwendig. Diese befindet sich mit der kommunalen Wärmeplanung derzeit in der Umsetzung.
Sollten Gasnetzbetreiber auf Grund der sinkenden Erdgasnachfrage und den damit verbundenen Risiken entscheiden, sich nicht mehr auf die von den Kommunen ausgeschriebenen Konzessionen – also dem Recht, die Gasnetzinfrastruktur in einem Gebiet zu verwalten – bewerben, ist die Versorgungssicherheit gefährdet. Dementsprechend muss auch das Konzessionsrecht angepasst werden.
Die Agora Energiewende benennt in ihrer Studie (Seite 28, 89) außerdem noch zwei weitere Regulierungen, bei denen eine Überarbeitung notwendig wird: Für die Gasnetzbetreiber ist Planungssicherheit wichtig. Da die Erdgasabnahme bis 2045 sinken wird, stehen Gasnetzbetreiber vor großen finanziellen Risiken. Bisher wird dieses Risiko aber noch nicht in der Eigenkapitalverzinsung – der Gewinnmarge der Unternehmen – berücksichtigt. Um Gasnetzbetreiber weiterhin im Markt zu halten, wird eine Anpassung des Eigenkapitalzinses diskutiert. Da die Gasnetzbetreiber miteinander im Wettbewerb stehen, ist es außerdem wichtig, Anreize zu schaffen, die den Gasausstieg für die Gasnetzbetreiber attraktiv machen. Deswegen wird über den Effizienzvergleich diskutiert. Dieser belohnt Gasnetzbetreiber für ein überdurchschnittliches Verhältnis von Versorgung zu Kosten. Dadurch ist es für Gasnetzbetreiber jedoch nicht vom Vorteil, Teilnetze stillzulegen, wodurch sich der Gasausstieg wiederum verzögert.
Berücksichtigung aller drei Ecken des „Zieldreiecks Gasausstieg“ in Regulierungen
Mit der KANU 2.0 Festlegung und dem Green Paper des BMWK sind wichtige Schritte in Richtung eines gelingenden, planvollen und sozial verträglichen Gasausstieges getan worden. In diese Richtung muss es weitergehen. Dabei ist es wichtig, dass weitere Reformen die drei Ecken des Zieldreieckts Gasausstieg miteinander in Einklang bringen: Klimaschutz, Wirtschaftlichkeit der Gasnetzbetreiber sowie Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit. Um den Gasausstieg sozial gerecht und volkswirtschaftlich effizient zu gestalten, müssen die Regulierungsanpassungen mit vorrausschauenden und anreizkompatiblen Entlastungen kombiniert umgesetzt werden. Dann kann der Gasausstieg gelingen.
Emma Kreipl hat ihre Bachelorarbeit am Öko-Institut zur Netzentgeltproblematik geschrieben. Die Wissenschaftler Tilman Hesse und Malte Bei der Wieden arbeiten beide im Institutsbereich „Energie & Klimaschutz“ am Öko-Institut in Freiburg.
Weitere Informationen
Metastudie „Erdgas-Phase-out in Deutschland“ des Öko-Instituts
Publikation “The gas grid hurdle in the race to system efficiency”
Wenn Verbraucher*innen ihre monatliche Gasrechnung zahlen, bezahlen sie drei verschiedene Preisanteile. Der Großteil des Geldes geht an den Gaslieferanten: für die Beschaffungskosten und den Vertrieb des Gases. Ein weiterer Teil besteht aus Steuern wie der Umsatzsteuer und anderen Abgaben. Ein weiterer Teil geht an die Gasnetzbetreiber in Form von Netzentgelten. Die Netzbetreiber sind Unternehmen, häufig Tochtergesellschaften der Stadtwerke in einer Region, die für die Instandhaltung, Wartung und den Ausbau der Erdgasnetze zuständig sind. Damit diese trotz verschiedenster Gasanbieter die Kosten für das Gasnetz decken können, gibt es die Netzentgelte. Diese sind das „Porto“, welches gezahlt wird, um eine gewisse Wegstrecke des Netzes zu nutzen. Die Netzentgelte spiegeln die Kosten für Wartung, Instandhaltung und Ausbau der Netze wider, unterliegen jedoch verschiedenen Regulierungen. Es ist unter anderem festgelegt, dass Netzbetreiber ihre Kosten und damit die Grundlage für die Netzentgelte immer im Voraus für eine fünfjährige Regulierungsperiode berechnen und diese nur geringfügig innerhalb dieser fünf Jahre anpassen dürfen. Außerdem ist vorgeschrieben, welcher Anteil der Kosten für das Netz in die Berechnung der Netzentgelte eingehen darf. Je kosteneffizienter ein Unternehmen im Vergleich zu den anderen Netzbetreibern agiert, desto größer ist der Anteil der Kosten, der in die Berechnung Netzentgelte eingehen darf.