Suffizienz: der Schlüssel zu einer nachhaltigen Zukunft
Suffizienz ist bereits seit über einem Jahrzehnt ein wichtiges Thema am Öko-Institut. Bereits 2013 gab es eine Studie des Öko-Institut, die die Diskussion in Deutschland um Suffizienz nachhaltig geprägt hat. Carina Zell-Ziegler bearbeitet momentan ein fünfjähriges Projekt zu dem Thema Energiesuffizienz in Deutschland. Inzwischen ist der Diskurs auch auf europäischer Ebene angekommen. In diesem Zusammenhang hat das Öko-Institut gemeinsam mit Vito / EnergyVille und für die EEA eine Studie zum Begriff „Suffizienz“ verfasst. In diesem Beitrag werden die Kernergebnisse vorgestellt.
1. Suffizienz ist mehr als Verhaltensänderung
Suffizienz ist ein Konzept, das strukturelle Veränderungen in Gesellschaft und Organisationen erreichen will. Unsere Produktions- und Konsummuster sollen weniger Ressourcen verbrauchen. Durch eine Reihe von politischen Instrumenten und kulturellen Veränderungen wie Vorschriften, Anreize, Aufklärungskampagnen, Planung sowie städtische Strategien und Kodizes können diese Muster umgewandelt werden im Sinne einer nachhaltigen Transformation. Dafür müssen wir unsere gesamte Lebens- und Wirtschaftsweise anpassen.
Ein Beispiel wie Suffizienz sinnvoll angewandt wird, ist die Bauindustrie, wo Wiederverwendung und Sanierung dem Abriss und Neubau vorgezogen werden. Bestehende Strukturen können dann durch energetische Sanierungen wiederverwendet werden – dabei kann nicht nur ihre Lebensdauer verlängert werden, sondern sich die Gebäudefunktion ändern. Wenn der vorhandene Wohnraum gerechter verteilt wird, beispielsweise durch Umzugsbonus oder modulare Bauweise, reduziert sich mit dieser suffizienten Lebensweise der Abfall und der Verbrauch von Ressourcen. Zudem muss weniger Wohnraum beheizt werden und insgesamt weniger gebaut werden.
Dieser Ansatz ist für viele Bereiche vielversprechend, von Mobilität über Lebensmittel und Kleidung bis hin zu Freizeitgestaltung.
2. Suffizienz ist essenziell für die nachhaltige Transformation
Um die planetaren Grenzen einzuhalten, müssen unter anderem die Energie- und Ressourceneffizienz verbessert werden und wir müssen verstärkt erneuerbare Energien nutzen. Diese Maßnahmen allein reichen jedoch nicht aus. Suffizienz betont die Notwendigkeit, den Gesamtressourcen- und Energieverbrauch zu senken. Dies kann wie oben dargestellt nur mit einem grundlegenden Wandel unserer Lebens- und Wirtschaftsweise funktionieren.
3. Suffizienz hat viele Vorteile
Suffizienz kann dazu beitragen, eine Reihe von Umweltproblemen zu bewältigen und das weitere Überschreiten der planetaren Grenzen zu stoppen. Gleichzeitig kann Suffizienz zur Entwicklung neuer nachhaltiger Produkte und Dienstleistungen führen. Dies schafft die Möglichkeit neuer Arbeitsplätze und wirtschaftlicher Chancen, sobald wir in einer umfassenden Kreislaufwirtschaft leben.
Darüber hinaus bringt ressourcenschonendes Verhalten weitere Vorteilte mit sich. Dies gilt zum Beispiel für Gesundheit, Wohlbefinden und Lebensqualität.
Durch Suffizienzstrategien für die Energiewende kann sichergestellt werden, dass der Übergang zu saubereren Energiequellen allen in der Gesellschaft zugutekommt. Beispiele hierfür sind die Bekämpfung von Energiearmut, die Vermeidung von Umweltzerstörung und die Förderung nachhaltiger und ressourcenschonender Lebensstile. So trägt Suffizienz zu einem gerechteren Energiesystem bei.
Unter politischen Entscheidungsträger*innen und Ökonom*innen besteht jedoch die Befürchtung, dass Suffizienz zu einer schrumpfenden Wirtschaft führen könnte. Daher sind weitere Forschungsarbeiten erforderlich, um die wirtschaftlichen Auswirkungen von Suffizienz zu verstehen und durch erweiterte Fortschrittsindikatoren, zu denen Wohlbefinden, soziale und ökologische Faktoren gehören, Wohlstand breiter als aktuell zu messen.
4. Suffizienz hat ein hohes Minderungspotenzial
Laut mehreren Studien – darunter der IPCC-Bericht 2022 – können Suffizienzmaßnahmen die Treibhausgasemissionen deutlich reduzieren. Das Minderungspotenzial für die klimaschädlichen Treibhausgasemissionen wird im Bereich der Nachfrageseite (Wohnen, Mobilität, Ernährung und Energiekonsum) auf bis zu 40 bis 70 Prozent bis 2050 gegenüber dem Niveau von 1990 geschätzt.
5. Suffizienz wird in der EU nicht als eigenständiges Thema behandelt
Auf dem Weg zur Klimaneutralität bis 2045 spielt Energiesuffizienz in der europäischen Politik bisher eine untergeordnete Rolle. Sie sollte aber in politische Maßnahmen eingebunden werden, um den Ressourcenverbrauch zu reduzieren.
Maßnahmen könnten sein, den öffentlichen Personenverkehr zu fördern, Flugreisen zu reduzieren, weniger und regional zu konsumieren, ökologische Lebensmittel zu kaufen sowie Lebensmittelverschwendung zu vermeiden.
Suffizienz wird bisher von politischen Entscheidungsträger*innen wenig mitgedacht, da sie sich auf den ersten Blick auf das Konsumverhalten von Individuen und Organisationen konzentriert. In Frankreich beispielsweise wurde Suffizienzpolitik erst in den letzten Jahren bekannter und ein Teil der Politik. Die nationalen Wahlen 2021 waren in dieser Hinsicht ein wichtiger Wendepunkt, da Szenarien zur Klimaneutralität veröffentlicht wurden, die Suffizienz als Maßnahme zur Minderung der Treibhausgasemissionen nannte.
6. Bürger*innen fordern mehr Suffizienzpolitik
Auch wenn Suffizienz politisch noch nicht im Mainstream verankert ist, sprechen sich Bürger*innen für Suffizienzpolitik aus. Im Europäischen Bürgerpanel zum Thema "Klimawandel und Umwelt/Gesundheit" bezogen sich etwa 50 Prozent der gesamten politischen Empfehlungen auf die Suffizienz. Die meisten dieser politischen Empfehlungen fanden sich im Verkehrssektor und wurden von mindestens 70 Prozent der 200 Bürger*innen aus allen EU-Mitgliedstaaten, die an der Podiumsdiskussion teilnahmen, unterstützt.
Die Politik sollte daher Bürger*innen mehr in den politischen Entscheidungsprozess einbeziehen, und ihre politischen Maßnahmen nach ihren Empfehlungen ausrichten.
7. Ein Budgetansatz würde die Suffizienz unterstützen
Kohlenstoffbudgets sind politische Instrumente, die dazu beitragen können, den Kohlenstoffverbrauch einer Person oder Organisation zu reduzieren bzw. die Emissionsrechte gerechter zu verteilen. In Kombination mit Zielen, Grenzwerten und Preismechanismen für Kohlenstoffemissionen und -verbrauch schaffen diese Maßnahmen Anreize für Verbraucher*innen, ihre Umweltauswirkungen zu reduzieren. Darüber hinaus ermöglicht die Bereitstellung von Informationen über den CO₂-Fußabdruck von Waren und Dienstleistungen den Verbraucher*innen, fundiertere und nachhaltigere Konsumentscheidungen zu treffen.
Nichtsdestotrotz ist die Umsetzung von Kohlenstoffbudgetinstrumenten in größerem Maßstab herausfordernd. Lokale und internationale politische Maßnahmen müssen hier zusammengreifen. Die Kohlenstoffbudgets könnten an bestehende Politiken wie das EU-Emissionshandelssystem (ETS) angegliedert werden, aber ausgestaltet und umgesetzt müssten sie je nach nationalem Kontext werden. Nur so kann gewährleistet werden, dass die Berechnungen funktionieren und Konflikte minimiert werden.
8. Wir brauchen mehr Suffizienzmodellierung und Indikatoren
Suffizienzmodellierung und -indikatoren können eine umfassendere und detailliertere Analyse der Suffizienz ermöglichen. Dadurch können die effektivsten Methoden, um Treibhausgasemissionen zu mindern, ermittelt werden. Dafür werden die voneinander abhängigen sozialen, wirtschaftlichen, ökologischen und verhaltensbezogenen Faktoren berücksichtigt.
Auch hilft die Analyse von Suffizienzstrategien politischen Entscheidungsträger*innen, Unternehmen und Verbraucher*innen die Vorteile besser zu erkennen und die besten Optionen für das Ziel der Klimaneutralität zu identifizieren.
Carina Zell-Ziegler ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Energie & Klimaschutz am Standort Berlin und arbeitet zu Energiesuffizienz.