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"Two weeks for future": Mein Sohn, unser Tandem und ich

Weil ihr 14-jähriger Sohn den Betreuungsbedarf eines Kleinkindes hat, kann eine Mutter nicht mit "fridays for future" demonstrieren. Obwohl es ihr am Herzen liegt. Sie beschließt, eine zweiwöchige Fahrradtour mit ihrem Sohn zu machen. Ein Reisebericht.

Ihr Job ist es Lösungen für eine nachhaltige Zukunft zu entwickeln. Ein Job, der Senior Researcher Dr. Jenny Teufel ausfüllt, aber auch frustriert angesichts des Wissens, wie es um die Umwelt steht. „Ich kann daher gar nicht beschreiben, wie mich die Entwicklung von „Fridays for future“ bewegt hat“, sagt sie. Weil ihr Sohn Felix den Betreuungsbedarf eines Kleinkindes hat, fehlt es der Wissenschaftlerin an der Zeit, regelmäßig zu demonstrieren. Trotzdem wollte sie ein Zeichen setzen und ihre Solidarität zeigen. So entstand die Idee, mit ihrem Sohn und dem Halb-Liegerad-Tandem auf „Two Weeks for future“-Tour zu gehen. Eine Reisegeschichte.

Fahne Two weeks for future, Quelle: Öko-Institut

Das Ziel meiner Reise sollte der Weg sein. Und ich wollte ausprobieren, ob eine zweiwöchige Fahrradreise mit meinem autistischen Sohn möglich ist. Ob wir die Zeit genießen können oder zum Schluss einsehen müssen, dass wir das nächste Mal eben wieder die Bahn nehmen und am Urlaubsort ohne unser Fortbewegungsmittel auskommen.

Außerdem dachte ich, dass uns diese Reise vielleicht auch manche Begegnung ermöglicht. Am Ende des 13-tägigen Fahrradweges sollte eine Woche auf einem Bioland-Bauernhof im Westerwald folgen. Ein besonderer Ort für eine etwas andere Reise. Ein Ort, an dem Nachhaltigkeit selbstverständlich gelebt wird. Ein Ort, an dem man Kraft tanken kann und das Leben mit allen Sinnen genießen kann. Ein Ort, auf den ich mich schon an Weihnachten wieder freue.

Vorweg gesagt: Ich liebe es mit Rad und Zelt zu reisen. Das ist keine Herausforderung für mich. Aber mit unserem Sohn haben wir das bislang nicht mehr gewagt, da sein herausforderndes autistisches Verhalten viel Kraft kostet. Nebenbei benötigt er noch Windeln, die gewechselt werden müssen. Die letzten Jahre haben mein Partner und ich uns immer wechselseitig eine Auszeit gegönnt, um mit Rad und Zelt zu reisen.

Die Zeltplanen trocknen. Quelle: Öko-Institut

Auf dem Weg zur Umsetzung der "Two weeks for future" mussten noch Lösungen für ein paar Herausforderungen gefunden werden.

So tritt mein Sohn bislang nicht mit. Das bin ich gewöhnt und mein Trainingszustand ist so, dass ich auch 600 bis 800 Höhenmeter mit ihm schaffe. Wir brauchen aber ein Zelt, zwei Schlafsäcke und Isomatten, Regenkleidung und Wechselwäsche für zwei, Trinkflaschen mit Inhalt, Verpflegung, eine Müslischale, zwei bis drei Spielzeuge, Badesachen, Handtücher, Medikamente, Notfall-Set und die Windeln. Die Windeln für zwei Wochen mitnehmen? Unmöglich. Also habe ich die Windeln für eine Woche eingepackt und die zweite Fuhre an eine Jugendherberge geschickt, in der ich eine Übernachtung eingeplant habe.

Ich will sowieso nicht immer Zelten, da ich alleine auf- und abbauen muss. Und dabei meinen Sohn nicht aus den Augen verlieren darf.

Felix auf dem Campingplatz. Quelle: Öko-Institut

Trotzdem ist der Rest des Gepäcks aber immer noch mehr, als in zwei Ortlieb-Taschen hinein passt. Insgesamt waren das noch einmal etwa 13 bis 15 Kilogramm Gepäck. Was ich brauchte, war ein Hänger, der mitfährt. Da sind doch bestimmt schon andere draufgekommen?! Allen Internetsuchmaschinen-Entwicklern sei Dank: Ein kleines Start-up in Bayern rüstet Lasten- und Kinderanhänger mit einem elektrischen Antriebs-Set nach und bietet einen coolen Einrad-Anhänger an. Das tolle an diesem Antriebs-Set: Ein Sender, der am Pedal befestigt wird, meldet dem Elektro-Motor, mit welcher Kraft er das Rad des Hängers antreiben soll. So wird verhindert, dass der Hänger schiebt oder zieht. Das Gepäck fährt also tatsächlich in der gleichen Geschwindigkeit mit.

Einem Start-up sei Dank

Ein bisschen Sorge macht mir natürlich die Frage, wie das Fahrverhalten der Kombination von Tandem mit Liegesitz vorne und dem Hänger ist. Laut Testbericht zeichnet sich der angebotene Einrad-Anhänger durch hohe Spurtreue aus. Sicherheitshalber nehme ich aber den Telefonhörer in die Hand und werde an denjenigen Mitarbeiter in der Firma vermittelt, der mein Spezial-Tandem schon besitzt. Offensichtlich ist die Kombi „Pino“-Tandem und „To peak“-Gepäckanhänger ohne Probleme zu fahren. Mit dem E-Motor des bayerischen Start-ups sind meine Probleme gelöst.

Felix vor dem Zelt, neben ihm der Tandem-Anhänger. Quelle: Öko-Institut

Allein schon die Planung der Strecke war irgendwie aufregend.

Bei der eigentlichen Touren-Planung habe ich gemerkt, dass ich mich mit meinem bewährten Patent-Rezept nicht wohl fühlte: Start- und Zielpunkt wählen, den ersten Abschnitt nach dem Auswahlkriterium „landschaftlich schöne Strecke mit möglichst wenig Verkehr“ grob planen, alles andere dann von Tag zu Tag. Ich habe gemerkt, dass ich wissen muss, wo ich jeden Tag am Abend ankomme und ob wir im Zelt übernachten, bei Bekannten, bei Freunden von Freunden, in einer Jugendherberge oder zur Not in einer Pension oder Ferienwohnung.

Windkraft auf dem Weg. Quelle: Öko-Institut

Die Testfahrt

Mit einer Testfahrt vom Schluchsee über den Feldberg nach Freiburg schaute ich, wie viele Kilo- und Höhenmeter wir an einem Tag schaffen, wenn wir Bade-, Vesper- und Eis- und sonstige Pausen einbauen. Auch die Wegequalität haben wir erprobt. Forstabfuhrwege oder breitere, nicht zu steile Waldwege, die auch ein paar wenige Wurzeln oder Steine aufwiesen, waren ohne Probleme befahrbar.

Felix auf dem Tandem. Quelle: Öko-Institut

Allein schon die Planung der Strecke war irgendwie aufregend. Die eigentliche Tour habe ich dann auf Basis der Testfahrt mit dem Fahrrad-Routenplaner Komoot gemacht. Bei diesem Routenplaner kann man zwischen Rennrad, MTB und Trekking-Rad wählen. Mit der Trekking-Rad-Variante bekommt man auch Routenvorschläge, die auf Forstabfuhrwegen oder landwirtschaftlich genutzten Wegen verlaufen. Nett ist auch, dass Nutzer Sehenswürdigkeiten, Kinderattraktionen, wie beispielsweise einen tollen Abenteuer-Spielplatz, schöne Picknick-Plätze oder auch mal eine Eisdiele einstellen.

Felix spielt. Quelle: Öko-Institut

Ein paar Stationen habe ich aufgrund von kostenlosen oder günstigen Übernachtungsmöglichkeiten bei Verwandten, Freunden und Freunden von Freunden, sowie Jugendherbergen und Zeltplätzen gewählt. Bademöglichkeiten beeinflussten häufig den Streckenverlauf einer Teilstrecke.

Die Route

Zum Schluss kam eine Variante heraus mit einer Gesamtlänge von 400 Kilometern für 13 Tage mit einem Pausentag an einem idyllischen Zeltplatz am Flüsschen Wied. Die Strecke führte von Freiburg in den Schwarzwald mit Badepause im Naturbad St. Märgen. Weiter ging es über die Baar nach Rottweil. Hier war unsere dritte Übernachtungsstation in einem wunderschönen Garten bei Freunden von Freunden.

Mit Anhänger unterwegs. Quelle: Öko-Institut

Von da ging es wieder den Schwarzwald hoch nach Freudenstadt, das Murgtal hinunter, die Vorbergzone entlang an Karlsruhe vorbei durch ein FFH-Gebiet in der Rheinebene nach Speyer. Den Rhein vor Speyer haben wir mit einem alten Kulturgut überquert: einer Fähre für Fußgänger und Radler. Von Speyer aus ging es drei Tage durch die Kurpfalz. Da habe ich dann im Wirrwarr der landwirtschaftlichen Nutzungswege beschlossen, dass ich mir für das nächste Mal eine Handyhalterung und eine Powerbank besorge, damit ich ab und zu „das Navi“ nutzen kann.

Infografik, die Route. Quelle: Öko-Institut Fahne: von Freiburg nach Burglahr, Quelle: Öko-Institut

In Bingen ging es zwei Tage lang am Rhein an der Lorelei vorbei – landschaftlich wunderschön. Aber schon am zweiten Tag habe ich im engen Rheintal die Automassen verflucht, die direkt neben dem Radweg vorbeizogen. Ab Lahnstein führte die Strecke zum Glück wieder abseits von frequentierten Verkehrsstraßen am Rhein entlang. Bis wir nach Koblenz in den Westerwald bogen. Am Campingplatz „Zum Stillen Winkel“ machten wir einen Tag Pause bis wir dann die letzte Etappe absolvierten.

Am Zielort in Burglahr wurden wir mit großem „Hallo“ und mit „Jenny, Du hast es geschafft!“ sowie leckeren Käse-Speck-Pfannkuchen, Salat und Apfelsaft empfangen. Wir hatten es tatsächlich geschafft.

Kraftkekse, Wild-Pflaumen, Orchestermusik

Interessanterweise war es für meinen autistischen Sohn kein Problem, jeden Tag auf das Tandem zu steigen und jeden Abend irgendwo anders zu übernachten. Selbst das Zelten in unserem Mini-Zweipersonenzelt war kein Problem. Oft sind mein Mann und ich im Urlaub die ersten Tage gerädert, weil unser Sohn in fremden Umgebungen nicht durch schläft. Auf unserer Tour haben wir selbst sechs Stunden nächtlichen Starkregen schlafend gemeistert. Natürlich musste er sich hin und wieder aufregen, wenn er zum Beispiel los wollte, weil wir gefrühstückt hatten, und ich zu lange mit packen beschäftigt war.

Felix auf dem Trampolin. Quelle: Öko-Institut

Wir haben viel gesehen und fast immer eine Bade- oder zumindest Planschstelle gefunden – und wenn es das Kneipp-Bad am Wegesrand im Murgtal war. Hier war das Glück uns sogar an einem kühlen Regentag hold: Die Jugendherberge, die wir ansteuerten, hatte ein Hallenbad, das wir kostenlos eine Stunde für uns alleine nutzen konnten. Inklusive gab es wunderschöne Orchestermusik, da über uns musikbegeisterte Jugendliche aus verschiedenen Ländern ein Konzert einstudierten.

Felix planscht. Quelle: Öko-Institut

Einmal bekamen wir von einer sehr netten Rentnerin, die uns vor dem Supermarkt ansprach, Kraftkekse geschenkt, die sie selber gebacken hatte. Ein anderes Mal pflückten uns drei Kinder, die mit ihren Eltern von Düsseldorf nach Baden-Baden radelten, leckere reife Wild-Pflaumen, die an unserem gemeinsamen Rastplatz wuchsen. Mehrmals wurde ich von Eltern mit besonderen Kindern auf unser Tandem angesprochen.

Felix in der Hängematte. Quelle: Öko-Institut

Hilfe fand ich auch in den Jugendherbergen. Hier kam Felix mit der Essenssituation nicht zurecht. Zu viele Jugendliche in ausgelassener Urlaubsstimmung und aufgeregte Kinder, die sich mit ihren Eltern am Buffet drängelten, weil sie sich den Nachtisch oder eine bestimmte Brötchensorte sichern wollten. Hier musste ich nach draußen flüchten, aber nette Menschen versorgten uns mit voll gepackten Tabletts.

Restaurant-Besuch in der Pfalz

Eine wetterbedingte Planänderung – wir übernachteten in einer zu einer Pension umgebauten alten Mühle statt auf dem Zeltplatz – brachte es mit sich, dass wir in einem Restaurant landeten, in dem die Tische stilvoll weiß gedeckt und dekoriert waren. Mein Herz klopfte und ich sah schon eine heruntergerissene Tischdecke vor mir, sowie verärgerte Blicke von Pärchen, die einen schönen kinderfreien Abend bei einem guten Essen genießen wollen. Denn ich ahnte, dass die Wartezeiten auf das Essen länger sein würden, als in einer Pizzeria. Das schmucke pfälzer Dorf, in dem sich ein renoviertes Fachwerkhaus an das nächste reihte, hatte aber keine Pizzeria.

Ein feines Restaurant in der Pfalz. Quelle: Öko-Institut

Es war Sonntag und wir hatten Hunger. Ich war schon entschlossen umzudrehen und den Rest Müsli mit Wasser anzurühren, in der Hoffnung, dass mein Sohn genug Hunger hat. Da lud mich die Restaurantbesitzerin ein, einen Blick in die Karte zu werfen und es zu versuchen. Ich schob Felix in die hinterste Ecke, sicherte Gläser und Tischdeko und was geschah?

Felix genießt im Restaurant. Quelle: Öko-Institut

Felix genoss die entspannte Atmosphäre mit leiser spanischer Gitarrenmusik. Mit viel Genuss aß er dreiviertel des „amuse gueule“ und seine Spätzle und beteiligte sich an meinem Essen. Weil mein Magen noch nicht zufrieden war, bestellte ich noch zwei Nachtische. Zur Feier des Tages gönnte ich mir einen „Kir Royal“.

Die nächste Tour ist in Planung

Zurzeit plane ich die nächste Tour! Manchmal braucht man eben ein wenig Mut und Selbstvertrauen. Lebensstil-Änderungen müssen nicht immer Verzicht bedeuten. Sie können auch bereichern. Was ich mir wünsche, ist ein offener Dialog zu diesem Thema - und ohne Vorwürfe.

Felix radelt. Quelle: Öko-Institut

Dr. Jenny Teufel ist Senior Researcher im Institutsbereich Produkte & Stoffströme in Freiburg. Ihr Forschungsschwerpunkt sind nachhaltiger Konsum und nachhaltige Produkte.

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