#VerkehrswendeMythen1: Auch in der Stadt ist ein Leben ohne eigenes Auto nicht möglich
Bislang trägt der Verkehrssektor zum Klimaschutz in Deutschland nichts bei. Vielerorts lesen wir, warum die Verkehrswende nicht möglich oder warum ein Leben ohne Auto nicht machbar sei. Doch viele gängige Argumente entpuppen sich bei genauerem Hinsehen oft als Mythen. Wie etwa, dass Elektroautos nur in der Stadt funktionieren, dass Oberleitungs-Lkw viel zu teuer sind oder für die Elektromobilität gar nicht genug Ressourcen zur Verfügung stehen.
Solche Argumente wollen wir in unserer Blogserie "VerkehrswendeMythen" in den nächsten Wochen unter die Lupe nehmen. Regelmäßig präsentieren wir Ihnen einen „Mythos der Verkehrswende“, den wir wissenschaftlich analysieren: Wie viel Wahrheit ist dran – und wie viel Mythos? Wir stellen Ihnen Erkenntnisse aus unserer wissenschaftlichen Arbeit vor und zeigen Wege für die nachhaltige Mobilität der Zukunft auf.
#Mythos 1:
Das eigene Auto steht für Freiheit und Status zugleich. Seine Attraktivität ist in Deutschland ungebrochen. So legen selbst in Metropolen mit vielen öffentlichen Mobilitätsalternativen Menschen mehr als die Hälfte aller Distanzen als Fahrer oder Mitfahrer von privaten Autos zurück. Ein Leben ohne eigenen fahrbaren Untersatz scheint also selbst in Städten nicht möglich – oder ist das nur ein Mythos?
Andersherum gefragt: Sind wir wirklich (noch) so sehr auf unser eigenes Auto angewiesen? Gibt es nicht gerade in Städten effizientere und nachhaltigere Möglichkeiten, seine Wege zur Arbeit, zum Bäcker oder ins Fitnessstudio zurückzulegen? Wenn wir zudem in Städten mit hoher Lebensqualität, wenig Lärm und Luftverschmutzung leben wollen, bedeutet dies auch mehr Raum für Bewegung, Aufenthalt und Nachbarschaft und damit weniger Fläche für das Auto. Als Gesellschaft haben wir uns zudem auf gesetzlich verbindliche Klimaschutzziele im Verkehr verständigt, um die globale Erwärmung, Hitzewellen und Extremwetterereignisse zu begrenzen. Eine aktuelle Abschätzung des Öko-Instituts zeigt, dass die Klimaschutzziele mit den derzeit beschlossenen Maßnahmen und einem „Weiter-So“ beim Pkw-Verkehr nicht erreicht werden können. Es müssen Alternativen zum privaten Pkw her. Oder gibt es die nicht bereits?
Carsharing: raus aus dem Hinterhof
Heute finden sich vor allem in deutschen (Groß-)Städten Carsharing-Angebote wie Stadtmobil, Cambio oder shareNow. Aus ökologischer Sicht sind vor allem die stationären Carsharing-Dienste sinnvoll, da diese viele private Fahrzeuge ersetzen, Neuanschaffungen effektiv vermeiden und zudem verstärkt auf emissionsarme Klein- und Kleinstwagen setzen. Es sind jedoch gerade diese Carsharing-Angebote, die im Stadtbild oft kaum sichtbar in Hinterhöfen platziert sind. Das im Jahr 2017 beschlossene Carsharinggesetz (CsgG), das die Kommunen, wie zum Beispiel Stuttgart, immer häufiger umsetzen, soll genau dies ändern und Carsharing im öffentlichen Raum den Vorzug geben. Kommunen können so Carsharing-Anbietern durch Sondernutzungen das Parken auf öffentlichen Straßen und Wegen ermöglichen sowie dabei auf Gebühren verzichten: ein deutliches Signal in Richtung geteilter Mobilität.
Damit könnte die Sharing Economy auch im Mobilitätsbereich den Weg aus der Nische schaffen und Carsharing-Fahrzeuge stärker in Wohnquartieren Einzug erhalten. Und die Erfahrungen haben gezeigt: Beim Carsharing angemeldete Personen fahren seltener mit dem Auto und nutzen häufiger umweltfreundlichere Alternativen.
Carsharing in Zeiten von Corona
Auch weitere Vorteile liegen klar auf der Hand: Während private Autos bis zu 23 Stunden täglich stehen, kann ein stationsbasiertes Carsharing-Fahrzeug durch die intensivere Nutzung bis zu 15 private Fahrzeuge ersetzen. Bedenkt man, dass der Parkraum für einen durchschnittlichen Pkw mindestens 12 Quadratmeter beträgt, wird deutlich, welches Potential im Carsharing bereits heute schlummert. An Stelle eines Parkplatzes könnten so im öffentlichen Raum gleich fünf Fahrräder eine neue Abstellmöglichkeit finden. Oder auf den 12 Quadratmetern könnten Tische und Stühle von Restaurants zum Verweilen einladen oder Fuß- und Fahrradwege so verbreitert werden, dass auch der Abstand von 1,5 Metern einzuhalten ist. Auch (temporäre) Spielstraßen wie aktuell in der Corona-Krise in Berlin Neukölln und Friedrichshain-Kreuzberg sollten als klares Zeichen des Umdenkens und der Flächengerechtigkeit in Städten bestehen bleiben.
Natürlich haben – wie so viele – auch die Carsharing-Anbieter mit der aktuellen Situation zu kämpfen: Es sind nun deutlich strengere Hygiene-Auflagen zu erfüllen, was die regelmäßige Reinigung und Desinfektion der Fahrzeuge betrifft. Vor allem aber der Rückgang der Nutzerzahlen um 50 Prozent (Cambio) bis zu 80 Prozent (TeilAuto) stellt einen großen wirtschaftlichen Einschnitt dar.
Carsharing-Anbieter könnten jedoch auch als Gewinner aus der Krise hervorgehen: Schätzungen gehen davon aus, dass zukünftig bis zu 20 Prozent der Wege – etwa durch Homeoffice – wegfallen. So wird Carsharing vor allem für die Menschen attraktiv, die durch einen geringeren persönlichen Verkehrsaufwand feststellen, dass sie kein eigenes Auto mehr benötigen und folglich auf die geteilte, kostengünstigere Nutzung umsteigen.
Radfahren und Laufen attraktiver denn je
Die Aktivitäten der Kommunalverwaltungen in den letzten Wochen zeigen eines ganz deutlich: Ein Umdenken und Umgestalten hin zu einer nachhaltigeren urbanen Mobilität ist auch heute möglich. Der durch Corona bedingte verringerte Druck auf Hauptverkehrsachsen ermöglichte die Durchsetzung kurzfristiger Regelungen wie „Pop-up-Fahrradwege“ oder temporäre Spielstraßen. Auch durch diese neuen Infrastrukturen wird die aktive Mobilität attraktiver. Anstelle in das eigene oder das geteilte Auto zu steigen entdecken viele das Fahrradfahren und zu Fuß Gehen als gesundheitsfördernde und gerade in Zeiten von Corona sichere Alternative wieder.
Innovative Ideen für eine gesunde und flexible Mobilität von morgen sollten aber auch jenseits der Pandemie-Prävention verstetigt werden. Das Öko-Institut hat gemeinsam mit Partnern im Projekt „Wohnen leitet Mobilität“ einen Leitfaden erarbeitet, der die Vielfalt an Möglichkeiten für Wohnungswirtschaft, Kommunen und Gesellschaft aufzeigt: Neben dem klassischen öffentlichen Nahverkehr mit Bus- und Bahnstationen in fußläufiger Entfernung, das heißt in maximal 300 Metern, braucht es ebenso eine gut ausgebaute und sichere Infrastruktur für Radfahrer und Fußgänger.
Daneben wird immer deutlicher, dass es nun Zeit ist, sich seine Alltagsmobilität bewusst zu machen und, wo möglich, auf vermeidbare Wege zu verzichten. Die Möglichkeit vieler Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zum Homeoffice, mobilen Arbeiten und Videotelefonie hat gezeigt, dass Wegevermeidung und Suffizienz der Alltagsmobilität heute keine Fremdwörter mehr sein müssen. Zudem sorgen sie für die Einzelnen für wertvollen Zeitersparnisse und mehr Lebensqualität.
Gerade in Zeiten von Corona gilt es, den städtischen öffentlichen und nicht motorisierten Nahverkehr noch attraktiver zu gestalten. Seine Transformation könnte durch Investitionen in eine geeignete Infrastruktur beschleunigt werden. Auch Innovationen in Fahrzeugen des öffentlichen Verkehrs brauchen Förderung, die bei Heizung, Klimatisierung und Belüftung neben der Energieeffizienz die gestiegenen Hygieneanforderungen berücksichtigen. Diese und weitere Ideen hat das Öko-Institut in einem Impulspapier mit einem „Innovationspaket städtische Mobilität“ aufgezeigt.
Auto strukturell nicht mehr bevorteilen
Wenn die Verkehrswende ganzheitlich ernst genommen wird, müssen dabei auch die Stellschrauben für die Pkw-Nutzung neu justiert werden. Anstelle von Kaufanreizen müssen die Rahmenbedingungen auch auf kommunaler Ebene so ausgestaltet sein, dass die Kosten und Belastungen des Besitzes und der Nutzung eines privaten Pkw nicht auf die Allgemeinheit abgewälzt werden und ein gleichberechtigter Umgang der Mobilitätsoptionen stattfinden kann.
Ein flächendeckendes Parkraummanagement mit Gebühren, die den Wert des dafür benötigten öffentlichen Raums widerspiegeln, kann ein Baustein hierzu sein. Daneben kann auch eine City-Maut ein geeignetes Instrument für Kommunen sein, um die Lebensqualität in Innenstädten durch weniger Pkw-Verkehr und damit weniger Staus, Lärm und Schadstoffemissionen zu verbessern sowie Straßenraum rückzugewinnen. In Kombination mit der Verstetigung der bereits angelegten Pop-Up-Radwege und weiteren Initiativen der Förderung aktiver Mobilität können so – Schritt für Schritt – lebenswertere Städte entstehen.
Dr. Manuela Weber ist Expertin für nachhaltige Individualmobilität und arbeitet im Bereich Ressourcen & Mobilität am Standort Berlin. Alle Beiträge unserer Blogserie „Mythen der Verkehrswende“ finden Sie unter Blogserie "VerkehrswendeMythen".
Weitere Informationen des Öko-Instituts zum Thema Mobilität in Städten