#VerkehrswendeMythen9: Schlüsselrohstoffe für die Elektromobilität werden unter untragbaren Sozial- und Umweltbedingungen abgebaut
Ein zentrales Element der Verkehrswende ist, dass die Menschen nicht mehr mit Fahrzeugen mit Benzin- oder Dieselmotoren von A nach B fahren, sondern mit batterieelektrischen Antrieben. Um Batterien für die Elektrofahrzeuge herstellen zu können, werden Schlüsselrohstoffe wie Lithium und Kobalt benötigt. In den Medien wird die Gewinnung der beiden Rohstoffe immer wieder kritisch diskutiert: Beispielsweise geht es oft um die Zerstörung des so genannten Lithium-Dreiecks in Südamerika. Dieses beschreibt ein Gebiet von Salzseen in Bolivien, Argentinien und Chile. Diese Seen sind landschaftlich einmalig und schutzbedürftig. Die Gewinnung von Kobalt wird oft in den Zusammenhang mit Kinderarbeit im Kongo (DRC) gebracht. Wir möchten in den folgenden Absätzen eine Übersicht geben zu den folgenden Fragen:
- Wo werden die Lithium-Ionen-Batterien überall eingesetzt?
- Lithium und Kobalt: Wie und unter welchen Bedingungen werden sie gewonnen?
- Wie kann das Recycling von Lithium und Kobalt gelingen?
- Wie kann eine nachhaltige Lithium- und Kobaltgewinnung erreicht werden?
1. Wo werden die Lithium-Ionen-Batterien überall eingesetzt?
Lithium und Kobalt sind Rohstoffe, die nicht nur für Lithium-Ionen-Batterien in den Elektro-Fahrzeugen gewonnen werden. Der Einsatz der beiden Schlüsselrohstoffe ist vielfältig. Neben Lithium-Ionen-Batterien (65%) wird Lithium in der Keramik- und Glasproduktion (18%), in Schmierfetten (5%), der Polymerproduktion (3%), der Luftbehandlung (1%) und weiteren Anwendungen (8%) eingesetzt. Der Anteil für den Einsatz in Lithium-Ionen-Batterien ist in den vergangenen Jahren deutlich angestiegen und liegt heute bei ca. 65% (USGS 2020). Kobalt wird neben den Lithium-Ionen-Batterien (44%) auch in Superlegierungen (17%), chemischen Anwendungen (12%), Karbiden und Diamantwerkzeugen (9%) auch in Magneten (5%) und sonstigen Anwendungen (13%) eingesetzt (BGR). Mehr als die Hälfte der Energie (kWh) der produzierten Lithium-Ionen-Batterien (64%) findet derzeit schon Anwendung in Elektro-Fahrzeugen. Aber auch in vielen anderen Anwendungen mit wiederaufladbaren Batterien werden Lithium-Ionen-Batterien eingesetzt: in elektronischen Geräten (z.B. Smartphones, Laptops, Powertools), industriellen Anwendungen (wie Gabelstaplern oder stationäre Netzspeicherung) und anderen Anwendungen (wie medizinischen Applikationen) (Pillot 2019).
2. Lithium und Kobalt: Wie und unter welchen Bedingungen werden sie gewonnen?
Lithium
Lithium wird auf zwei unterschiedlichen Wegen abgebaut: 60 Prozent des weltweit abgebauten Rohstoffs stammte im Jahr 2018 aus dem Festgesteinsbergbau in Australien. Ein Viertel stammte aus den Salzseen in Südamerika, in Chile und Argentinien. Sieben Prozent steuerte China bei. Dort wird Lithium sowohl aus Festgestein als auch als Salzseen gewonnen. In den vergangenen Jahren ist die Lithiumgewinnung vor allem in Australien gewachsen. Beide Abbaumethoden – aus Festgestein und aus Salzseen – können unterschiedliche Auswirkungen auf die Umwelt und die lokale Bevölkerung haben. Der Abbau von Festgestein, dem so genannten Spodumen in Australien, birgt die gängigen Umweltgefährdungen des Erzbergbaus: Beim Spodumen-Abbau wird sehr viel Energie verbraucht und somit viele Treibhausgasemissionen erzeugt. Zudem gibt es viele Bergbauabfälle. Die bei der Aufbereitung verwendete Schwefelsäure kann bei Handhabungsfehlern in die Umwelt gelangen (BGS 2016). Wird Lithium aus den Salzseen gewonnen, verdunstet viel Wasser. Das ist problematisch, da die Seen zumeist in stark ariden,
das heißt in sehr trockenen Gebieten liegen. Es gibt Ansätze, dem zu begegnen. Indem die lithiumhaltigen Laugen aus den Salzseen direkt aufbereitet werden, müssen diese vorher nicht in Evaporationsbecken konzentriert werden. Die Lauge wird dabei aus den Salzseen gepumpt und aufbereitet. Danach wird die lithiumfreie Lauge wieder in der See entlassen. Diese Art der Produktion könnte zu einer Einsparung von Wasser führen (International Mining 2017; Pure Energy Minerals 2017) (Öko-Institut 2017). In wieweit sich diese Technologie für die Massenproduktion eignet, muss noch nachgewiesen werden.
Die Menschen vor Ort sollen vom Lithium-Abbau profitieren
Für die Menschen ist im Lithium-Dreieck von Bedeutung, dass die Wertschöpfungskette zumindest teilweise vor Ort aufgebaut wird, damit die Rohstoffländer auch von der Wertschöpfung profitieren. Es gibt erste Kooperationsvereinbarungen beispielsweise mit Deutschland in Bolivien. Eine solche Kooperation könnte den Rohstoffbedarf sichern und gleichzeitig Know-how in die produzierenden Länder übertragen. Gerade das Beispiel der Kooperation von Deutschland und Bolivien zeigt aber auch deren Brüchigkeit. Denn nachdem die Kooperation im Jahr 2018 unterzeichnet wurde, wurde sie von bolivianischer Seite schon 2019 ohne Begründung annulliert (Reuters 2020).
Kobalt
Kobalt wird überwiegend in der Demokratischen Republik Kongo gewonnen, im Jahr 2018 waren es 70 Prozent der globalen Produktion (USGS 2020 Kobalt). Danach folgen mit großem Abstand Russland (4%), Australien (3%) und die Philippinen (3%). 80 bis 90 Prozent des Kobalts aus dem Kongo wird dort im industriellen Großbergbau gewonnen. Etwa 10 bis 20 Prozent werden allerdings im Kleinbergbau gewonnen. Dieser ist häufig informeller Natur und wird nicht selten mit Kinderarbeit in Zusammenhang gebracht wird. Dieser informelle Kleinbergbau im Kongo bildet für 100.000 Minenarbeiter und ihre Familien eine Lebensgrundlage (Seidler, 2019). Kobalt selbst zählt zwar nicht zu den so genannten Konfliktmineralen. Allerdings entstehen ähnliche Risiken, weil die Ressource artisanal, das heißt manuell mit Schaufel und Spitzhacke, gewonnen wird. Für die Umwelt ist von Bedeutung, dass die verbreiteten Kupfer-Kobalt-Lagerstätten häufig mit sulfidischen Mineralen vergesellschaftet sind. Diese bergen das Risiko, saure Grubenwässer zu generieren. Dies lässt sich nur schwer vermeiden. Präventiv können beispielsweise Abfall- und Reststoffe abgedeckt werden. Auch alkalische Chemikalien werden eingesetzt. Diese können aber die Säure nicht immer langfristig binden.
Risiken der Rohstoffgewinnung: Eine übergreifende Einschätzung
Ja, es gibt immer ökologische und soziale Risiken bei der Rohstoffgewinnung. Dies gilt nicht nur für Lithium und Kobalt, die für die Batterien in den Elektrofahrzeugen gebraucht werden. Dies muss genauso bei den anderen Rohstoffen für die Mobilität oder sonstige Anwendungen bedacht werden: bei Stahl, Eisen oder den Platingruppenmetallen. Man erinnere sich an den Dammbruch einer Eisenerzmine in Brasilien im Jahr 2019. Überall, wo Rohstoffe gewonnen oder weiterverarbeitet werden, muss auf eine nachhaltige Wertschöpfungskette geachtet werden. Eine nachhaltige Rohstoffgewinnung ist nicht nur für die erst seit Kurzem öffentlich beachteten Rohstoffe Lithium und Kobalt von Bedeutung. Der schnelle Markthochlauf der Elektromobilität wird einen enormen Druck auf die Rohstoffe wie Lithium und Kobalt ausüben. Die Nachfrage steigt enorm. Hier gilt es darauf zu achten, dass ökologische und soziale Kriterien eingehalten werden.
3. Wie kann das Recycling von Lithium und Kobalt gelingen?
Eine Alternative zu neu abgebauten Rohstoffen – und der damit verbundenen Abhängigkeit von Förderländern – bildet das Recycling. Während das Kobalt-Recycling aus verschiedenen Anwendungen, inklusive Lithium-Ionen-Batterien, bereits im Markt etabliert ist, liegt das Recycling von Lithium noch in den Anfängen. Derzeit wird die EU-Batterie-Richtlinie überarbeitet. Es wird vorgeschlagen, neue rohstoffspezifische Recyclingquoten einzuführen, unter anderem für Kobalt und Lithium. Somit würde das Recycling der Lithium-Ionen-Batterien einen entscheidenden Schub erhalten. Ziel von Deutschland und der EU muss sein, das Recycling der Lithium-Ionen-Batterien weiter auszubauen. Dazu zählt ein umfassendes Sammelsystem, damit die Rohstoffe den richtigen Weg zur Recyclinganlage finden. Für das Batterien-Recycling gibt es verschiedene Techniken, die aber nur greifen, wenn umfassend gesammelt wird und die Menge stimmt. Weitere Informationen zum Recycling von Lithium-Ionen-Batterien im Blog
4. Wie kann eine nachhaltige Lithium- und Kobaltgewinnung erreicht werden?
Kobalt
- Eine Möglichkeit, die Rohstoffgewinnung nachhaltig zu gestalten, ist das Zertifizieren der Produktion mit Standards oder Initiativen. Es gibt viele Standards, Initiativen und Zertifizierungssysteme mit ökologischem, sozialem oder rohstoffspezifischem Fokus oder übergreifende Standards. Sie können sich auf verschiedene Stufen der Wertschöpfungskette beziehen, auf Groß- oder Kleinbergbau.
- Neben Zertifizierungen sind aber auch Kooperationen, Initiativen und das Engagement vor Ort unabdingbar.
- Für Kobalt müssen Import- und Produktionsländer kooperieren, um durch Technologie- und Wissenstransfer den nachhaltigen industriellen und den Kleinbergbau zu fördern.
- Da Kobalt selbst kein Konfliktrohstoff ist, fällt er nicht unter die EU-Regulierung zu Konfliktrohstoffen. Aufgrund ähnlicher Rahmenbedingungen bei der Förderung von Kobalt sollten diese Sorgfaltspflichten jedoch auch hier gelten.
- Der artisanale Kleinbergbau sollte nicht pauschal in der Wertschöpfungskette gemieden werden, weil er für viele Menschen eine überlebenswichtige Einkommensquelle ist.
- Ein wichtiger Schritt ist die Formalisierung des Kleinbergbaus und damit die Möglichkeit einer besseren Kontrolle und Durchsetzung von Arbeitssicherheits- und Umweltstandards.
Lithium
- Für Lithium-abbauenden Rohstoffländer, selbst von der Wertschöpfung zu profitieren und vor Ort Arbeitsplätze zu schaffen, sollten Partnerschaften unterstützt werden, in denen auf Technologieentwicklung, Finanzierung und ökonomische Kooperationen fokussiert wird.
- Ebenso sollten BATs (best available techniques) initiiert und verbreitet werden, um die besten Techniken der Rohstoffgewinnung und -weiterverarbeitung zu etablieren, die die Umwelt so wenig wie möglich schädigen.
- Forschungsprojekte für eine nachhaltige Lithiumproduktion aus Salzseen sollten unterstützt und in Kooperationen im industriellen Maßstab realisiert werden.
- Da die Automobilbranche der wesentliche Treiber der wachsenden Nachfrage nach Lithium ist, sollte diese nachhaltige Bergbaustandards einfordern. Erste Ansätze kamen Anfang des Jahres von der Globalen Batterie-Allianz. Sie hat Anfang des Jahres angekündigt einen Batterie-Pass für Batterien in Elektro-Fahrzeugen und stationären Batterien zu erarbeiten.
Stefanie Degreif ist Expertin für Nachhaltige Ressourcenwirtschaft und ist stellvertretende Leiterin des Institutsbereichs Ressourcen & Mobilität am Standort Darmstadt. Peter Dolega ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Ressourcen & Mobilität in Darmstadt und arbeitet zu Themen wie Umweltauswirkungen primärer Rohstoffgewinnung, Rohstoffpolitik und Szenarien der Elektromobilität.