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"Viele Menschen haben ihre Existenz rund um das Auto aufgebaut“

Der Journalist Sinan Reçber hat für den Tagesspiegel Background ein Porträt über den stellvertretenden Bereichsleiter Ressourcen & Mobilität im Öko-Institut, Florian Hacker, geschrieben. Darin spricht der Wissenschaftler über Möglichkeiten, die aktuelle "autofixierte Mobilität" zu verändern.

Der Journalist Sinan Reçber hat für den Tagesspiegel Background ein Porträt über den stellvertretenden Bereichsleiter Ressourcen & Mobilität im Öko-Institut, Florian Hacker, geschrieben. Darin spricht der Wissenschaftler über Möglichkeiten, die aktuelle "autofixierte Mobilität" zu verändern.

[caption id="attachment_3194" align="alignleft" width="170"]Florian Hacker vom Öko-Institut. Florian Hacker vom Öko-Institut.[/caption]

Im finnischen Joensuu kann es im Winter schnell mal minus 20 Grad werden. Weil der Schnee sich dabei in den breiten Straßen türmen kann, müssen Lastwagen anrücken und ihn aus der Stadt fahren. Radfahren lässt sich auf den geschlossenen Schneedecken trotzdem einigermaßen sicher – diese Erfahrung hat der Mobilitätsexperte Florian Hacker vor 18 Jahren während seines dortigen Auslandssemesters gemacht. „Die beleuchteten und schneebedeckten Radwege im Wald waren eine besondere Erfahrung“, sagt er. Den zugeschneiten Weg zur Universität mit dem Fahrrad zurückzulegen gehört im Winter dort zum Alltag der Studierenden. 

Dass zum Umgang mit Verkehr mehr Mut gehört, weiß der 40-jährige Wissenschaftler am Berliner Öko-Institut also bereits. Das Institut ist aus der Anti-Atomkraft-Bewegung entstanden. Über Forschung und Beratung, etwa in Energie und Klimaschutz oder Kerntechnik, zielt es auf die Förderung nachhaltiger Entwicklung. Als stellvertretender Leiter des Bereichs Ressourcen und Mobilität beschäftigt sich Hacker damit, wie sich Mobilität nachhaltiger gestalten lässt. Doch in Deutschland geht es im Verkehrssektor kaum vorwärts, was die Senkung der Treibhausgasemissionen betrifft – warum? 

„In Deutschland gibt es über 47 Millionen Pkw – und viele Menschen haben ihre Existenz rund um das Auto aufgebaut“

, sagt Hacker. Über Jahrzehnte habe man klar priorisiert, Straßeninfrastruktur auszubauen und den Pkw im öffentlichen Raum zu begünstigen. Hacker zufolge hatte das Leitbild einer autozentrierten Mobilität eine „wahnsinnige Wirkmächtigkeit“, das den aktuellen Herausforderungen aber nicht mehr gerecht wird. 

 

Hacker fehlt Wille zur Veränderung wie bei der Energiewende

Hacker sagt auch: „Ein vergleichbar gesellschaftlich verankertes Leitbild einer nachhaltigen Mobilität fehlt uns heute noch.“ Vor allem sei eine Erzählung notwendig, die die positiven Aspekte einer veränderten Mobilität für den Einzelnen betont. Eine weniger autofixierte Mobilität bedeutet Hacker zufolge unter anderem weniger Lärm und mehr Platz für die Menschen: „Es gilt, diese positiven Seiten nach vorne zu stellen. Gerade in der politischen Kommunikation gibt es diesbezüglich noch viel Luft nach oben.“ 

Was dem Wissenschaftler vom Öko-Institut auch fehlt, ist der Wille zur konsequenten Veränderung der Voraussetzungen wie bei der Energiewende: „Beim Erneuerbare-Energien-Gesetz hat die Politik klare Ausbauziele formuliert und durch die EEG-Umlage attraktive ökonomische Rahmenbedingungen für den Bau von Erneuerbare-Energien-Anlagen geschaffen.“ 

Weil durch den CO2-Preis ab 2021 auch die Spritpreise leicht anziehen, hat die große Koalition im Klimapaket eine Erhöhung der Pendlerpauschale beschlossen. Hacker sieht jedoch nicht, wie diese Rückverteilung eine „autofixierte“ Mobilität als solche sozial gerecht machen könne. „Diejenigen mit einem hohen Einkommen haben auch höhere Mobilitätsausgaben. Die meisten Pendler mit Auto sind also eher Gutverdiener – bei denen wird sich auch der CO2-Preis niederschlagen.“

Viele Menschen haben laut Hacker durch die hohe Bedeutung des Pkw im Verkehrssystem ohnehin keinen niederschwelligen Zugang zu Mobilität. Der Begriff „soziale Gerechtigkeit“ werde in der aktuellen Diskussion um Klimaschutzmaßnahmen oft undifferenziert verwendet und dazu benutzt, um den Status quo beizubehalten. „Wir brauchen aber ein Verkehrssystem, das weniger stark mit Pkw-Besitz verbunden ist und keine fünfstellige Investition in ein eigenes Auto voraussetzt“, kritisiert Hacker.

 

Umbau des Verkehrssystems muss heute anfangen

Wichtig seien für die Transformation des Verkehrs nicht nur veränderte Rahmenbedingungen, sondern auch deren Symbolkraft. Übertragen auf den Verkehr heißt das für Hacker: „Wir haben ein klares Zielbild und richten die Rahmenbedingungen daran konsequent aus. Dass im Verkehr die Vermeidungskosten für Treibhausgase mit am höchsten sind und daher eher andere Sektoren zum Klimaschutz beitragen müssen, hält Hacker für zu kurz gedacht. „Der Umbau des Verkehrssystems dauert lange, deswegen muss man heute anfangen, umzusteuern – damit unsere Infrastruktur in 20 Jahren auch nachhaltige Mobilität ermöglicht.“ 

Um auf dem Land eine schlagkräftige Konkurrenz zum eigenen Pkw zu schaffen, sieht Hacker den Staat stärker in der Pflicht: Carsharing rechne sich beispielsweise für kommerzielle Anbieter kaum in dünner besiedelten Gebieten. „Da braucht es staatliche Mittel, um entsprechende Angebote aufzubauen“, sagt Hacker. Den öffentlichen Verkehr zu ertüchtigen, sei zentral – denkbar seien auch autonom fahrende Fahrzeuge im öffentlichen Verkehr.

Hacker kann jedoch nachvollziehen, welche Verheißung ein Auto bringt. „Unser Großvater wollte mir und meinen Geschwistern nach der Schulzeit ein Auto schenken – das war zur damaligen Zeit schon eine Verlockung.“ Am Ende gab aber das Angebot der Eltern, jederzeit das Familienauto fahren zu können, den Ausschlag darauf zu verzichten. Nachdem Hacker zum Studium nach Potsdam ging, entwöhnte er sich schnell vom Autofahren – und ist nun leidenschaftlicher Radfahrer. „Ich brauche die halbe Stunde Fahrrad fahren zur Arbeit – für die Fitness, aber auch, um mich in der Stadt ein bisschen frei zu fühlen.“ Eine Schneedecke wird ihn jedenfalls nicht davon abhalten.

Das Porträt ist zuerst im Tagesspiegel Background erschienen.

Florian Hacker stellvertretender Bereichsleiter Ressourcen & Mobilität im Öko-Institut am Standort Berlin.

Sinan Reçber schreibt  als freier Autor für verschiedene Medien.

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