Was macht mein Computer, wenn ich nicht hinschaue?
Wie sich die Software auf den Energieverbrauch von Computern auswirkt, hat das Projekt „Sustainable Software Design“ im Auftrag des Umweltbundesamtes untersucht. Jens Gröger ist an der Forschungsgruppe beteiligt und wird die Thematik auch bei der Jahrestagung des Öko-Instituts am 24. Oktober 2019 in Berlin vorstellen.
Beim Umgang mit Computer, Smartphone oder Tablet hat sicher jeder von uns schon die Erfahrung gemacht, dass im Dunkeln der Geräte irgendetwas vor sich geht, was wir nicht nachvollziehen können. Die Computer entwickeln ein Eigenleben, in das wir keinen Einblick haben und das uns als Nutzende meistens stört: Plötzlich ist das mobile Datenvolumen aufgebraucht, weil das Tablet beschlossen hat, Updates herunterzuladen. Der Lüfter des Laptops springt urplötzlich an und der Computer arbeitet hart, ohne dass wir ein zusätzliches Programm gestartet haben. Der Bildschirmaufbau wird unerwartet langsam und verzweifelte Mausklicks werden ignoriert, sodass nur ein Neustart hilft, um den Computer wieder flott zu kriegen. Hinter diesem Eigenleben der Computer steckt die Software, die auf ihnen installiert ist. Während die Hardware für uns noch einigermaßen verständlich ist, weil wir sie anfassen können, entzieht sich die Software in der Regel unserem Vorstellungsvermögen. Dabei ist es die Software, die aus einem Kasten aus Blech und Elektronikbauteilen erst ein informationstechnisches Gerät macht. Software belebt die Hardware, vergleichbar mit dem zentralen Nervensystem. Und bei näherer Betrachtung stellt man fest, dass es die Software ist, die maßgeblich für den Energieverbrauch, für die Inanspruchnahme von Hardwarekapazitäten und letztlich sogar für die Lebensdauer von Computern verantwortlich ist, weil funktionstüchtige Hardware ausgetauscht werden muss, wenn die Software zu anspruchsvoll wird. Bislang hat es die Software jedoch geschafft, unter dem Radar der Aufmerksamkeit zu bleiben. Spätestens wenn man sich mit dem Ressourcenverbrauch von Systemen der Informations- und Kommunikationstechnologie auseinandersetzt, muss die Software jedoch stärker in den Fokus rücken.
Software anhand von Nachhaltigkeitskriterien untersuchen
Wir haben im Öko-Institut zusammen mit der Hochschule Trier, Umwelt-Campus Birkenfeld und der Forschungsgruppe Informatik und Nachhaltigkeit der Universität Zürich ein Forschungsvorhaben durchgeführt, in dem eine Methodik zur Bewertung von Software entwickelt wurde. Mit dem Projekt „Sustainable Software Design“ haben wir zusammen mit unserem Auftraggeber, dem Umweltbundesamt, weitgehend Neuland betreten. Erstmalig wurde Software, vergleichbar einem physischen Produkt, von allen Seiten beleuchtet und die Nachhaltigkeitseigenschaften systematisch untersucht. Anhand der im Projekt entwickelten Methodik ist es nun möglich, Software zu messen und zu bewerten. Die insgesamt 25 Kriterien, die sich in 76 prüfbare Indikatoren aufteilen, bewerten drei Wirkungsbereiche:
- die Wirkung der Software auf den Energieverbrauch und die Ressourcen-Inanspruchnahme
- die Wirkung der Software auf die Hardware-Obsoleszenz
- die Autonomie des Nutzenden, die Software nach eigenen Bedürfnissen zu verwenden
Textverarbeitungsprogramme: Gleiche Aufgabenstellung – unterschiedlicher Energieverbrauch
Was sich zunächst sehr abstrakt anhört, wird sehr konkret, sobald man die Bewertungsmethodik nutzt, um verschiedene Software zu vergleichen. In dem Projekt wurden beispielsweise zwei Textverarbeitungsprogramme miteinander verglichen, auf denen identische Texte geschrieben, Inhaltsverzeichnisse angelegt, Grafiken eingefügt und gespeichert wurden. Beide Programme hatten den gleichen Funktionsumfang und wurden für die gleichen Aufgaben genutzt. Die Anwendung der Bewertungsmethodik zeigte jedoch, dass eines der beiden Textverarbeitungsprogramme fast viermal so viel Energie und fast 30mal so viel Arbeitsspeicher (RAM) benötigt. Die folgende Grafik zeigt die Leistungsaufnahmen beider Textverarbeitungsprogramme über den Messzeitraum: Vergleich zweier Textverarbeitungsprogramme: Leistungsaufnahme bei Ausführung eines Standardnutzungsszenarios über 600 Sekunden, Quelle: Hochschule Trier, Abschlussbericht „Sustainable Software Design“ Während das Textverarbeitungsprogramm 1 (obere Grafik) die Leistungsaufnahme des Computersystems fast durchgehend auf ca. 110 Watt hochtreibt, begnügt sich das Textverarbeitungsprogramm 2 (untere Grafik) damit, nur gelegentlich vom Grundverbrauch des Systems von 78 Watt nach oben abzuweichen und nur dann zusätzliche Energie zu verbrauchen, wenn Operationen (öffnen, ändern, speichern) durchgeführt werden. Internet-Browser und CMS: Datensparsamkeit für Energieverbrauch relevant Das Beispiel zeigt schön, wie die Software – oder vielmehr der Programmierer der Software – Einfluss darauf hat, ein System verschwenderisch oder sparsam zu nutzen. Die übrigen Beispiele in dem Forschungsvorhaben zeigen ähnliche Unterschiede zwischen gleichartiger Software. So zeigt der Vergleich dreier Internet-Browser, dass auch hier Unterschiede messbar sind: um den Faktor 2 beim Energieverbrauch zum Aufrufen gleicher Internetseiten und um den Faktor 12 bei der CPU-Inanspruchnahme im Leerlauf. Auch die Netzwerkaktivität von Software gleicher Funktionalität unterscheidet sich. Bei drei untersuchten Content-Management-Systemen zur redaktionellen Verwaltung von Internetseiten, tut sich eines hervor, indem es 3,5 mal so viele Daten über das Internet überträgt. Und dies, obwohl die gleichen Änderungen an den Internetseiten vorgenommen werden. Datenverkehr über das Netzwerk (Senden und Empfangen) dreier Internetbrowser und dreier Content-Management-Systeme (CMS) bei Ausführung eines Standardnutzungsszenarios über 600 Sekunden, Quelle: Eigene Darstellung nach Abschlussbericht „Sustainable Software Design“ Die Methodik im Projekt „Sustainable Software Design“ wurde jedoch nicht dazu entwickelt, einzelne Software-Hersteller an den Pranger zu stellen. Deshalb nennt der Projektbericht auch keine Namen. Vielmehr ist dies ein erster Schritt, um die Nachhaltigkeitswirkungen von Software transparenter zu machen. Durch die Anwendung der Methodik wird es möglich, Schwachstellen zu erkennen und Software zu optimieren oder von vornherein optimiert zu programmieren. Es liegt in der Hand der Software-Entwickler, unnötige Datenmengen zu reduzieren, sparsame Rechenalgorithmen zu entwickeln und ihren Code so zu dokumentieren und gegebenenfalls offenzulegen, dass die Software auch zukünftig weiterentwickelt und genutzt werden kann.
„Blauer Engel“ für nachhaltige Softwareprodukte
Einen Schritt weiter geht daher ein aktuelles Forschungsvorhaben, das das Öko-Institut zusammen mit der Hochschule Trier im Auftrag des Umweltbundesamtes durchführt: die Weiterentwicklung der Bewertungsmethodik zu Vergabekriterien für ein Umweltzeichen für nachhaltige Software. Der „Blaue Engel“ soll in Zukunft an solche Softwareprodukte vergeben werden, die sich durch hohe Energie- und Ressourceneffizienz während der Nutzung, lange Hardware-Nutzungsdauer und durch eine hohe Nutzungsautonomie und Transparenz auszeichnen. Dies unterstützt die Anstrengungen von Software-Entwicklern, Software schlank, effizient und transparent zu programmieren. Bereits im Oktober 2019 werden die Kriterien den interessierten Kreisen vorgestellt und diskutiert und voraussichtlich im Dezember 2019 von der Jury Umweltzeichen verabschiedet. Ein „Blauer Engel“ für Software macht es zukünftig für uns Software-Anwendende zwar nicht einfacher, zu verstehen, was sich in den Tiefen der Prozessoren abspielt. Doch wenn dann der Rechner mal wieder klemmt oder das Netzwerk verstopft ist, haben wir immerhin die Gewissheit, dass die Software-Entwickler alles getan haben, um das Eigenleben der Computer nachhaltig zu gestalten.
Jens Gröger ist Senior Researcher im Institutsbereich Produkte & Stoffströme und Experte für nachhaltigen Konsum und Produkte. Sein Arbeitsschwerpunkt liegt in den Bereichen „Informations- und Kommunikationstechnik“, „Umweltfreundliche Beschaffung“ sowie „Umweltzeichen“.