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Wegwerfmode als Auslaufmodell: politische Regulierung & Investitionen für eine zirkuläre Textilindustrie

Anlässlich des Wissenschaftsforums 2024 des Öko-Instituts haben wir mit Expert*innen im englischsprachigen Onlineforum "A global policy agenda to keep textiles in use – understanding the role of new policy instruments for a circular textile system" erörtert, welche politischen sowie wirtschaftlichen Maßnahmen für eine Abkehr von Fast Fashion notwendig sind. Katja Moch und Clara Löw fassen die Beiträge aus dem Forum zusammen.

Jährlich kommen ungefähr 12 Millionen Tonnen (Mio. t) Textilien in der EU auf den Markt. Davon waren laut Europäischer Umweltagentur (EEA) im Jahr 2020 knapp 7 Mio. t Textilabfall – das entspricht ungefähr 16 Kilogramm (Kg) pro Person. 4,4 Kg davon wurden für eine erneute Nutzung oder Recycling gesammelt, der Rest landete im Hausmüll. Schätzungen zufolge werden 4 bis 9 Prozent aller Textilprodukte in Europa direkt zerstört, ohne jemals genutzt worden zu sein – das entspricht einer Menge zwischen 264.000 and 594.000 Tonnen jährlich. Die durchschnittliche Verwertungsquote für Textilabfälle beträgt in Europa gerade einmal 12 Prozent, Länder wie Belgien und Luxemburg liegen mit 50 Prozent am höchsten.

Von der Erweiterten Herstellerverantwortung zur Vision einer zirkulären Textilwirtschaft

Valérie Boiten, Senior Policy Officer bei der Ellen MacArthur Foundation, spricht von einer Vision für die Kreislaufwirtschaft, in der Textilien erstens länger genutzt, zweitens leicht repariert und wiederaufbereitet werden können sowie drittens aus sicheren und recycelten oder erneuerbaren Rohstoffen gefertigt werden. Dafür sind Anpassungen des Designs, auch von Business-Modellen sowie der Infrastruktur erforderlich. Hinsichtlich des Designs vereinfachen entsprechende Schnitte sowie die Beschränkung auf wenige Materialien die Weiter- und Wiederverwendung. Auf wirtschaftlicher Ebene muss ein Fokus auf Rückgabe, Wiederverkauf und auch Reparatur gelegt werden. Dafür bedarf es einer entsprechenden Infrastruktur, also Stellen, an denen Kleidung gesammelt oder repariert wird. Aktuell lohnt sich das Sammeln aus wirtschaftlicher Perspektive nicht – die Neuproduktion ist weitaus günstiger. Valérie Boiten plädiert für eine Regulierung auf Seiten der Politik in Form einer verpflichtenden, kostenpflichtigen Erweiterten Herstellerverantwortung (EPR, extended producer responsibility). Denn eine EPR bringt mehrere Vorteile mit sich, darunter:

  • sorgt sie für die laufende und ausreichende Finanzierung zur Sammlung und Sortierung von Textilien,
  • zieht Kapitalinvestitionen in die Infrastruktur an, die für die Wiederverwendung und das Recycling in großem Maßstab erforderlich ist,
  • schafft Transparenz und Rückverfolgbarkeit der globalen Materialströme,
  • und setzt Anreize für kollektive Maßnahmen zur Erreichung gemeinsamer Ziele für Sammlung, Wiederverwendung sowie Recycling.

Valérie Boiten weist darauf hin, dass EPR niemals als Grundlage für ein Kreislaufsystem gedacht war, sondern im Kern ein Instrument der Abfallwirtschaft ist. Es kann jedoch die Kreislaufwirtschaft ankurbeln und nachhaltige Geschäftsmodelle fördern, indem sie zirkuläres Produktdesign anregt, die Nutzungszeiträume von Textilien verlängert, die Bandbreite der externen Effekte, die abgedeckt werden müssen, erweitert und schließlich auch das Abfallmanagement über juristische Grenzen hinaus verwaltet.

EU-Gesetzgebung zur Entschleunigung von Fast Fashion

Auf europäischer Ebene gibt es bereits Ansätze verbindliche Regelungen zu schaffen. Im Jahr 2022 hat die EU-Kommission die Strategie für nachhaltige und kreislauffähige Textilien veröffentlicht, die einen Rahmen für eine zirkuläre Textilwirtschaft vorgibt. Im Fokus steht eine lange Nutzung und Wiederverwendung von Textilien, indem verbindliche Ökodesign-Anforderungen formuliert werden, die Vernichtung von unverkauften oder zurückgegebenen Textilien unterbunden wird und der Einsatz einer EPR vorgesehen ist. Sie berücksichtigt zudem den globalen Aspekt einer nachhaltigen Textilwertschöpfungskette. Im Rahmen der Strategie werden folgende Gesetzesinitiativen umgesetzt:

  • die Ökodesign-Verordnung (ESPR, Ecodesign for Sustainable Products Regulation),
  • die EU-Abfallrahmenrichtline (WFD, Waste Framework Directive) und EPR
  • sowie die EU-Abfallverbringungsverordnung (WSR, Waste Shipment Regulation).

Die Ökodesign-Verordnung, die im Juli 2024 in Kraft trat, ist eine gesetzliche Rahmenverordnung, die nachhaltige Produkte in der EU zur Norm machen soll. Auf Basis der Ökodesign-Verordnung kann ein Textilien-spezifischer delegierter Rechtsakt dann die längere Haltbarkeit von Produkten sicherstellen, eine effizientere Energie- und Ressourcennutzung garantieren sowie generell den Anteil von recycelten Materialien erhöhen. Im nächsten Schritt wird für die ESPR voraussichtlich bis Ende 2024 ein Ökodesign-Forum eingerichtet, in dem Beiträge von Interessengruppen gesammelt werden, die zur Ausgestaltung konkreter Maßnahmen dienen. Voraussichtlich im Jahr 2026 müssen die Ökodesign-Anforderungen im Textilbereich umgesetzt werden. Ein Verbot für die Vernichtung unverkaufter Kleidungsstücke gilt ebenfalls ab 2026. Hauptvorteil der Ökodesign-Verordnung ist das verbesserte „Design-zum-Recyceln“, indem es auf die Verbesserung von Wiedernutzung, Beständigkeit (z.B. gute Farbechtheit, weniger Fuselbildung und/oder Einlaufen) sowie Reparaturfähigkeit (z.B. nachkaufbare Reißverschlüsse und Knöpfe) abzielt. Generell geht es um die Festlegung von Mindestanforderungen. Die Anforderungen müssen durch die Marktüberwachung überprüfbar sein und am Produkt selbst – zum Beispiel durch Waschtests – getestet werden.  Die EU-Abfallrahmenrichtlinie (WFD) schreibt eine getrennte Sammlung von Textilien ab dem 1. Januar 2025 vor. Voraussichtlich ab Mitte 2027 müssen die EPR-Systeme in den Mitgliedsstaaten etabliert sein. Hier fehlt allerdings die Vorgabe über eine verpflichtende Sammelquote. Die EU-Abfallverbringungsverordnung (WSR), die ab Mai 2026 gilt, regelt unter anderem die Ausfuhr von Textilabfall in Nicht-OECD-Länder.

Alle genannten Gesetzgebungsmaßnahmen sind Treiber für eine Wiederverwendung. Eine sorgfältige Sortierung führt zu besseren Möglichkeiten der Wiederverwendung. Es bedarf hier allerdings verbindlich festgelegter Sammel- und Wiederverwendungsquoten. Zudem bedarf es aus Sicht des Öko-Instituts eines Konsensus für strenge Ökodesign-Anforderungen in der EU. Es bleibt auch unklar, ob die Ökodesign-Verordnung das Potenzial hat, Fast Fashion substanziell zu reduzieren.

Wissenstransfer sowie (finanzielle) Zusammenarbeit auf internationaler Ebene notwendig

Oliver Boachie, Sonderberater des ghanaischen Ministeriums für Umwelt, Wissenschaft, Technologie & Innovation, zeigt eine Außenperspektive aus Sicht von Ghana auf. Ghana könnte hinsichtlich des Recyclings von Textilien aus der EU sowie Nordamerika eine wirtschaftlich profitable Rolle einnehmen. Entsprechend aufgesetzt, weist der Wirtschaftszweig den Weg für eine nachhaltige Entwicklung beziehungsweise könnte Teil der globalen Kreislaufwirtschaft werden. Zudem schafft der Auf- und Ausbau einer funktionierenden Recyclingwirtschaft zahlreiche Arbeitsplätze. Dafür sind allerdings globale Initiativen als Support sowie Investitionen in Recyclingkapazitäten erforderlich. Oliver Boachie geht von schätzungsweise 1,2 Milliarden Dollar aus.

Dr. Reva Prakash, Expertin für Ressourceneffizienz & Kreislaufwirtschaft bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Indien, hat die Bedeutung des Textilsektors für die Wirtschaft, aber auch für die Arbeiter*innen in Indien betont. Ziel ist es, einerseits einer der größten Produzenten weltweit zu werden und andererseits bis 2030 ein globales Recycling-Hub aufzubauen. Sie weist darauf hin, dass die aktuelle Produktion mit einem hohen Anteil an Abfall sowie schlechter Wasserqualität und Energieeffizienz einhergeht. Gerade synthetische Fasern stellen ein großes Problem dar. Zudem haben mittlere und kleine Unternehmen Probleme, Richtlinien der EU einzuhalten. Die Bemühungen für mehr Nachhaltigkeit in der indischen Textilproduktion hätten in den letzten anderthalb, zwei Jahren jedoch zugenommen. Der indische Premierminister Narendra Modi hat dafür die 5F Formel: “farm to fibre to factory to fashion to foreign” aufgesetzt. Unter dieser Vision wurden und werden mehrere Textilzentren eröffnet, welche die Erfüllung des Ziels Nummer 9 der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung, nämlich den „Aufbau einer widerstandsfähigen Infrastruktur, Förderung einer nachhaltigen Industrialisierung und Unterstützung von Innovationen“ verfolgen. Die indische Regierung hofft so, Anzugspunkt für modernste Technologien zu werden sowie ausländische Direktinvestitionen und lokale Investitionen im Textilsektor anzukurbeln.

Kulturelle Dimension von Secondhand-Nutzung

Ruben Goldsztayn, Leiter für nachhaltige Produktion und Konsum bei der Nationalen Wirtschaftsvereinigung Kolumbien ANDI (Asociación Nacional de Empresarios de Colombia), führt an, dass es in Kolumbien auf politischer Ebene bislang keine Regulierungen für den Textilsektor gibt. Zudem waren Second-Hand-Textilien in der Bevölkerung lange Zeit verpönt. Im Privatsektor startet nun ein Pilotprojekt für eine erweiterte Herstellerverantwortung (EPR) auf freiwilliger Basis. Die Akteure schauen hier auf Beispiele und Erfahrungen auf anderen Märkten, darunter auch der EU.

In Lettland hingegen hat Second-Hand lange Tradition. Fast ein Drittel der Textilprodukte sind Second-Hand-Produkte und die Wiederverwendung ist sehr beliebt, auch wegen der eher günstigeren Preise. Dace Akule, Expertin für nachhaltige Textilien bei der NGO Green Liberty, gibt einen Einblick in die EPR-Regulierung, die im Juli 2024 in Lettland in Kraft trat. Ziel war es, dafür zu sorgen, dass Textilproduzenten und Importeure sich um die Nutzung und Weiterverwendung von Alttextilien kümmern. Dabei gibt es konkrete Mengenangaben. 20 Prozent der Textilien sollen für das Recycling vorbereitet werden. Die Hersteller sind dazu verpflichtet, Daten für die gesammelten, sortierten sowie wiederverwendeten Produkte zu erheben und zu liefern. EPR soll sicherstellen, dass die Textilien gesammelt werden und damit gleichzeitig die Preise für Abfall nicht weiter steigen. Es gibt regulatorisch bisher keinen Unterschied zwischen Second-Hand- und neuen Textilien.

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Über die erweiterte Herstellerverantwortung diskutieren derzeit Expert*innen und Stakeholder in vielen Ländern. Aufgrund der verflochtenen Handels- und Wirtschaftsbeziehungen in der Textilbranche sowohl Produktions- als auch Abfall-seitig ist in der darauffolgenden Diskussion der internationalen Gäste des Forums klar, dass es eine faire Lösung dafür geben muss, wie die von Herstellern und Importeuren eingesammelten Gebühren verteilt werden. Wie diese aussehen kann, ist derzeit noch offen. Weiteren Klärungsbedarf gibt es darüber, wie die Ökodesign-Verordnung die Produktion von Fast Fashion beeinflussen kann. Das hängt auch von den Produktpreisen oder der Haltbarkeit der Produkte ab. Dafür bedarf es Mindestanforderungen an die Haltbarkeit sowie konkreten Definitionen und Standards.

Eine Zusammenfassung der wichtigsten Aussagen und Erkenntnisse vom Onlineforum zum Thema „A global policy agenda to keep textiles in use – understanding the role of new policy instruments for a circular textile system“, das am 25. September 2024 stattfand, gibt es in der Podcast-Sonderfolge von „Wenden bitte!“

Einige sektorübergreifende Fragen zur Umsetzung einer Kreislaufwirtschaft besprechen wir gemeinsam mit Akteur*innen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik sowie der Zivilgesellschaft auf unserem halbtägigen Abschlussforum zur „Circular Economy – What’s next?“ am 5.11.2024 in Berlin.

 

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