„Wenn es mehr Läden gibt, werden mehr Menschen verpackungsfrei einkaufen“
Kurz nachdem in Deutschland die ersten verpackungsfreien Supermärkte ihren Türen öffneten, begann Dr. Melanie Kröger von der Hochschule für nachhaltige Entwicklung (HNEE) damit, sich mit dieser neuen Konsumform zu befassen. Ein Ergebnis des Projektes „Unverpackt“ war die Gründung eines Verbandes.
[caption id="attachment_3654" align="alignright" width="326"] Dr. Melanie Kröger, Quelle: privat[/caption]
Sie war sich sicher: Das wird eine große Herausforderung. Als vor wenigen Jahren die ersten verpackungsfreien Supermärkte ihre Türen öffneten wusste Dr. Melanie Kröger, dass sie sich diese neue Art des Einkaufs genauer anschauen wollte. Gemeinsam mit Jens Pape, dem Dekan des Fachbereichs Landschaftsnutzung und Naturschutz an der HNEE, entwickelte sie 2015 die Idee für das „Projekt Unverpackt“. „Zu diesem Zeitpunkt gab es in Deutschland vielleicht ein Dutzend solcher Läden“, sagt sie, „wir wollten uns nicht nur das Konzept selbst anschauen, Herausforderungen untersuchen und Lösungsansätze entwickeln, sondern vor allem die Vernetzung fördern. Denn es waren in der Regel Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger, die verpackungsfreie Läden aufmachten – mit einem entsprechend höheren Austauschbedarf als bei Profis aus der Lebensmittelbranche“.
Neue Arbeitsabläufe
Auch wenn es heute in fast jeder größeren und vielen kleinen Städten von Saarbrücken über Magdeburg bis Eckernförde einen Laden gibt, der es erlaubt Lebensmittel ohne Verpackungen einzukaufen. Auch wenn Haferflocken in Vorratsdosen gefüllt werden, Nudeln in Baumwollbeutel und Tomaten in Gemüsenetze, stehen diese Läden noch immer vor großen Aufgaben. Die Grundherausforderung für diese Läden ist aus Sicht von Dr. Melanie Kröger, dass der Einkauf von Lebensmitteln und ihr Transport grundsätzlich auf der Nutzung von Verpackungen basieren. „Und diese Verpackungen haben ja auch viele wichtige Funktionen“, sagt sie, „sie sorgen für Hygiene, verringern Lebensmittelabfälle und dienen der Kommunikation, da auf ihnen Informationen etwa über Produkteigenschaften oder Mindesthaltbarkeitsdaten aufgedruckt sind“. Wenn man Verpackungen weglässt, müssten all diese Funktionen anders erfüllt werden. „Außerdem stellt dies neue Anforderungen an die Ladenbesitzerinnen und Ladenbesitzer. „Sie müssen sich das Sortiment von sehr vielen unterschiedlichen Lieferantinnen und Lieferanten nach und nach zusammenstellen, da kann man nicht mal eben mit einem automatisierten Bestellsystem bei nur einem Großhändler ordern. Außerdem braucht es andere Reinigungs- und Lagerprozesse, ganz andere Arbeitsabläufe.“ Darüber hinaus sei der übliche Lebensmittelhandel in vielen Punkten effizienter als der verpackungsfreie und kaufe zu günstigeren Konditionen ein, stelle aber die direkte Konkurrenz.
Fast vier Jahre lang hat das Team am Fachgebiet Nachhaltige Unternehmensführung in der Agrar- und Ernährungswirtschaft der HNEE sich der Frage gewidmet, wie man diesen Herausforderungen begegnen kann. „Der Austausch untereinander hat eine sehr zentrale und wichtige Funktion, deshalb haben wir ein Netzwerk der Unverpackt-Läden gebildet und unterstützt. Zentral war hier das Teilen von Wissen über den Betrieb eines verpackungsfreien Ladens“, so Dr. Melanie Kröger, „daraus hat sich im April 2018 ein Verband gegründet, der Beratung und Interessenvertretung anbietet und an zukünftigen Lösungen arbeitet“. Inzwischen, so die Wissenschaftlerin, seien manche Dinge aber auch einfacher geworden: „Der Großhandel fängt zum Teil an, sich umzustellen. Und auch einzelne Hersteller entwickeln verpackungsfreie Lösungen.“
Feste Routinen als Erfolgsrezept
Kundinnen und Kunden standen ebenfalls im Fokus des Projektes. „Um wirklich ‚unverpackt‘ einzukaufen, ist es hilfreich, neue Einkaufsroutinen zu entwickeln und zum Beispiel eigene Behälter mitzubringen. Da stellt sich die Frage ganz anders als üblicherweise, wie man den Einkauf in den Alltag integriert“, sagt die Wissenschaftlerin. Das Projektteam ist der Kundensicht auf den Grund gegangen und hat mit einer Tagebuchstudie und mit qualitativen Interviews versucht herauszufinden, wie Kundinnen und Kunden von Unverpackt-Läden ticken. „Für die meisten ist das Thema Behälter sehr wichtig, also die Frage: Welche Behälter nehme ich mit, welche passen zu welchem Einkauf“, sagt Dr. Melanie Kröger, „wichtig war aber auch die Frage, wie der Einkauf im Unverpackt-Laden in den Alltag integriert wird.“ Aus den Ergebnissen der Befragungen hat das Team dann Kundentipps zusammengestellt, die den Ladenbesitzerinnen und Ladenbesitzern in einer Toolbox für die Kundenkommunikation zur Verfügung gestellt wurden. „Darin haben wir unterschiedliche Tipps zusammengestellt, darunter zum Beispiel, sich feste Routinen für den Einkauf zu schaffen, einen Tag festzulegen, an dem man regelmäßig dort einkauft.“
Mehr Angebote, mehr Marktmacht
Inzwischen bieten rund 200 Läden in Deutschland ausschließlich unverpackte Lebensmittel und andere Waren des täglichen Bedarfs an und in vielen Bio- und Hofläden gibt es ebenfalls entsprechende Angebote. Aus Sicht von Dr. Melanie Kröger ist eine Ausweitung des Nischenkonzeptes durchaus positiv – aus verschiedenen Gründen: „Je mehr Läden es gibt, desto interessanter wird das Konzept für Anbieter und Lieferanten. Die Marktmacht der Läden erweitert sich und dementsprechend die Möglichkeiten mit Herstellern Lösungen zu entwickeln und günstigere Konditionen zu verhandeln“, sagt sie. Und: Je mehr Angebote, desto mehr Kundinnen und Kunden. „Es braucht viel mehr als die Überzeugung, es braucht auch die entsprechenden Angebote. Sobald es üblicher wird, verpackungsfrei einzukaufen, werden es auch noch mehr Menschen tun.“ An der HNEE wird dieses Themenfeld auch in Zukunft weiter begleitet und erforscht.
Dr. Melanie Kröger ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Im Fachgebiet Nachhaltige Unternehmensführung in der Agrar- und Ernährungswirtschaft koordinierte sie das „Projekt unverpackt“. Dieses widmete sich den Herausforderungen und Chancen von verpackungsfreien Supermärkten und förderte deren Vernetzung. Gefördert wurde das Projekt im Bundesprogramm Ökologischer Landbau und andere Formen nachhaltiger Landwirtschaft (BÖLN).