Wenn jemand eine Reise tut: geschäftlich nachhaltiger reisen
Die Zunahme an Geschäftsreisen im letzten Jahr entspricht laut VDR einem Zuwachs von 55 Prozent gegenüber 2022. Zudem geht der Trend zu längeren Aufenthalten und mehr Auslandsreisen. Der Deutsche Reiseverband (DRV) verdeutlicht in einer Umfrage im Rahmen der Initiative Chefsache Business Travel, dass es in deutschen Unternehmen noch großes Potenzial für nachhaltigere Geschäftsreisen gebe. Demnach sprechen nur 43 Prozent der Unternehmen klare Vorgaben zur Nutzung des nachhaltigsten Verkehrsmittels aus. Darüber hinaus hat nur ein Drittel CO2-Grenzwerte für entsprechende Reisen festgelegt. Nach wie vor zählt der Verkehrssektor insgesamt zu den emissionsstärksten Bereichen in Deutschland. Hier besteht also akuter Handlungsbedarf.
In unserer Mitarbeitendenbefragung von 530 Beschäftigten sowie Interviews zur Erstellung des Arbeitspapiers „Nachhaltige Dienstreisen in der Praxis: Einblicke in deutsche Unternehmen“ wurde ebenso deutlich, dass Nachhaltigkeitsaspekte bei Dienstreisen noch immer eine untergeordnete Rolle spielen. Es stehen für Unternehmen eher Zeit- und Kostenersparnis im Vordergrund. Doch bereits kleine Veränderungen können hier großen Output erzielen.
Hemmnisse auf dem Weg zu nachhaltigeren Geschäftsreisen
Folgende Hindernisse stehen der Nachhaltigkeit auf Dienstreisen im Weg:
- Fehlanreize in bestehenden internen Dienstreiserichtlinien, zum Beispiel durch einen alleinigen Fokus auf die Kosten einer Reise ohne die Beachtung produktiver Arbeitszeit. So wird in vielen Unternehmen die Reise mit den firmeneigenen Dienstwagen vor der Nutzung der Bahn gefördert.
- Mangel an Informationen zu Nachhaltigkeitsaspekten: Unternehmen fehlt es oft an Daten, um das Potenzial von Dienstreisen für die Senkung von Treibhausgasemissionen zu erkennen. Gleichzeitig wissen Mitarbeitende bei der Buchung oft nicht, welches Verkehrsmittel oder Unterkunft für ihre Reise die umweltfreundlichste Option ist.
- Kurzfristige Kostenorientierung statt langfristiger Strategie: Unternehmen nehmen eine Umstellung ihrer Dienstreiserichtlinien oft als kostenintensiv und zu aufwendig wahr. Dabei werden langfristige Vorteile einer solchen Änderung, wie beispielsweise mehr produktive Arbeitszeit durch Bahnfahrten, Kostensenkungen durch den Ersatz von Reisen durch digitale Meetings, Erfüllung gesetzlicher Vorgaben und ein verbessertes Image bislang nicht beachtet.
- Fehlende Verbindlichkeit, wenn Prüfprozesse fehlen hinsichtlich der Einhaltung der Vorgaben.
Daneben spielt auch der jeweilige Digitalisierungsgrad des Unternehmens und speziell die technische Ausstattung für Online- und Hybrid-Meetings sowie die Buchung und Abrechnung von beispielsweise Alternativen zur Dienstwagennutzung eine Rolle. Generell gilt bei der Reduktion von Treibhausgasen der Grundsatz: Vermeidung vor Reduktion vor Kompensation. Sollte die Dienstreise unvermeidlich sein, dann steht die Reduktion von Treibhausgas-Emissionen im Fokus. Erst wenn diese Möglichkeiten ausgeschöpft sind, sollte eine Kompensation in Betracht gezogen werden.
Was können Unternehmen tun?
Konkrete Kriterien zur Verkehrsmittel- und Unterkunftswahl in Mobilitätsstrategien und Dienstreiserichtlinien können die Vermeidung und Reduktion der negativen Umwelt- und Klimawirkungen von Dienstreisen unterstützen. Vorreiter nutzen beispielsweise folgende Vorgaben bei der Verkehrsmittelwahl:
- Festlegung auf Bahnreisen innerhalb Deutschlands. Bei Pkw- und Flugreisen wird eine Begründung gefordert.
- Kurzstreckenflüge werden nicht gestattet.
- Bahnfahrten werden vollständig als Arbeitszeit angerechnet, so dass sich die Zeit in der Bahn am effektiv nutzen lässt.
- Mitarbeitende haben die Möglichkeit, Dienstreisen mit privaten Reisen zu verbinden. Dadurch können zusätzliche Wege einfach vermieden werden.
Darüber hinaus unterstützen Anreize die Umsetzung: Die Nutzung der Bahn kann durch die finanzielle Beteiligung an der BahnCard gefördert werden. Und sollte die Bahnnutzung nicht möglich sein, stellen Unternehmen Optionen wie Carsharing und Carpooling zur Verfügung.
Unternehmensinterne Voraussetzungen für mehr Nachhaltigkeit schaffen
Auf organisatorischer und technischer Ebene bieten sich folgende Maßnahmen an, um Dienstreisen insgesamt nachhaltiger zu gestalten:
- Formulierung klarer Klimaschutz- und Nachhaltigkeitsziele für das Unternehmen,
- Verankerung eines betrieblichen Mobilitätsmanagements,
- Wissensaufbau durch die Recherche und Erhebung relevanter Daten zu den Umwelt- und Klimawirkungen der eignen Dienstreisen (Status-quo Analyse). Hierbei kann zum Beispiel das Greenhouse-Gas (GHG) Protokoll helfen. Im sechsten Kapitel des „Scope 3“ des GHG-Protokolls wird beschrieben, wie THG-Emissionen von Dienstreisen gemessen und berichtet werden können.
- Integration von Umweltkennzahlen in Reisebuchungstools,
- Bereitstellung eines Treibhausgasrechners für Verkehrsmittel und Unterkünfte sowie
- Verfügbarkeit digitaler Tools für Videokonferenzen.
Vorbild sein & Mitarbeitende bestärken
Das Nachhaltigkeitsbewusstsein der Mitarbeitenden kann Änderungen voranbringen. Entsprechende Schulungen der Mitarbeitenden können dazu beitragen, dass bestehende Anreize wahrgenommen und Regelungen eingehalten werden. Zudem haben Führungskräfte hier eine Vorbildfunktion. Nachhaltigkeitsvorgaben sollten demnach für alle Positionen im Unternehmen gleichermaßen gelten und aktiv vorgelebt werden. Diese Vorbildfunktion lässt sich in der Zusammenarbeit mit Partnerunternehmen und Dienstleistenden sogar noch extern weitertragen.
Nachhaltiger Tagen & Schlafen
Auch bei der Unterkunftswahl gilt es Empfehlungen beziehungsweise konkrete Vorgaben zu machen. Neben dem Hinweis auf nachhaltig zertifizierte Unterkünfte im Buchungstool sollte die Unterkunft in guter Anbindung an die Bahn / den ÖPNV liegen, um zusätzliche Wege zu vermeiden. Liegt die Ausrichtung der Veranstaltung beim Unternehmen selbst, sollte dieser zudem möglichst im Zentrum aller Teilnehmenden liegen.
Letzte Haltestelle: Kompensation unvermeidbarer THG-Emissionen
Bei der sogenannten CO2-Kompensation – auch „Carbon Offsetting“ genannt – werden klimaschädliche Treibhausgasemissionen an der einen Stelle durch Maßnahmen zur Treibhausgasreduktion an anderer Stelle ausgeglichen. Für jede so eingesparte Tonne CO₂ wird ein Zertifikat ausgegeben. Mit den Einnahmen aus dem Verkauf der Kompensationszertifikate werden konkrete Klimaschutzprojekte finanziert und umgesetzt. Die Kompensationsmöglichkeiten sind vielfältig und von sehr unterschiedlicher Qualität. Eine gute Entscheidungshilfe liefert hier die Carbon Credit Quality Initiative (CCQI), die ein interaktives Scoring-Tool zur Bewertung von Emissionszertifikaten bereithält.
Melanie Pietschmann ist Expertin für nachhaltiges Wirtschaften und arbeitet im Bereich „Umweltrecht & Governance“ am Standort Darmstadt.
Weitere Informationen
Webseite zum „Fliegen und Klima“ des Öko-Instituts
Bericht „Unternehmensmobilität nachhaltig gestalten“ des Öko-Instituts
*Zur Geschäftsreiseanalyse des VDR