„Wir müssen die Wissensgrundlage zum Verlust der Biodiversität weiter verbessern“
Biodiversität lässt sich auf vielfältigen Wegen schützen. Das Wichtigste ist dabei, die Lebensräume und Lebensbedingungen langfristig zu erhalten. Dafür sind gezielte Schutz- und Managementmaßnahmen notwendig. Auch durch einen nachhaltigen Konsum oder das Engagement von Unternehmen kann hierfür ein Beitrag geleistet werden. Belastbare Daten zur Biodiversität und ihrer Veränderungen sind wichtig, um gezielt handeln und den Erfolg bewerten zu können. Für unsere Blog-Reihe zur Biodiversität haben wir mit unterschiedlichen Akteur*innen gesprochen, die sich für den Schutz von biologischer Vielfalt und der so genannten Ökosystemleistungen einsetzen.
Heute: Dr. Andreas Krüß, Leiter des Aufbaustabs des Nationalen Monitoringzentrums zur Biodiversität.
[caption id="attachment_6707" align="alignright" width="278"] Im Interview mit eco@work: Dr. Andreas Krüß Quelle: Privat[/caption]
Wir wissen: Die Biodiversität ist stark bedroht. Doch wie sieht es ganz konkret in Deutschland aus? Wie geht es den Hummeln? Welche Qualität haben die Böden? Wo wachsen noch
Moorveilchen? „Es gibt bereits viele wertvolle Daten zu unterschiedlichen Artengruppen, ihren Lebensräumen und ihrem Zustand. Diese sind hinreichend genug, um zu erkennen, dass wir dringend handeln müssen“, sagt Dr. Andreas Krüß.
Dennoch ist es wichtig, das Wissen über die biologische Vielfalt in Deutschland zu verbessern: Eine umfassende repräsentative Datengrundlage zu schaffen, die langfristig Auskunft gibt über den Zustand der biologischen Vielfalt, ihre Veränderung sowie die Ursachen dieser Veränderungen. „Es wird schon lange diskutiert, ein breiter aufgestelltes bundesweites Monitoring von Biodiversität in Deutschland aufzubauen. Aktuell befördert wurde dies auch durch die Diskussion über das Insektensterben und die dazu verfügbaren Daten, die nicht umfassend genug sind, um eine so diverse Artengruppe repräsentativ darzustellen. Der Vorwurf, dass die vorhandenen Daten nicht belastbar seien, ist allerdings weitgehend unberechtigt.“
Zur weiteren Verbesserung der Datenlage sah der Koalitionsvertrag von 2018 vor, ein wissenschaftliches Monitoringzentrum zur Biodiversität zu etablieren. Dessen Aufbaustab leitet Krüß nun. Er ist bereits seit sechzehn Jahren für das Bundesamt für Naturschutz (BfN) tätig und war dort für den Artenschutz und das Monitoring, etwa für Insekten oder Vögel, zuständig.
Das Nationale Monitoringzentrum zur Biodiversität – Datenlücken schließen
Aufgabe des Nationalen Monitoringzentrums zur Biodiversität ist es nun, das bundesweite Biodiversitäts-Monitoring weiterzuentwickeln. „Im ersten Schritt bedeutet dies, ein Konzept zu erarbeiten, welche Arten, Lebensräume und Ökosystemfunktionen hierbei erfasst werden sollen. Nicht nur, um zu wissen, wie es um die biologische Vielfalt genau bestellt ist, sondern auch, um ihre Entwicklung mit langfristig angelegten Erfassungen zu dokumentieren.“ Die Arbeit des Monitoringzentrums wird von Gremien unterstützt, in denen viele Expertinnen und Experten etwa aus Behörden, Forschungseinrichtungen und Fachgesellschaften mitarbeiten, und ihr Fachwissen langfristig, aber auch bei Bedarf themenspezifisch einbringen.
„Erfreulich ist auch, dass die Betrachtung der Bodenbiodiversität als wichtig angesehen wird. Hier ist der Wissensstand sehr lückenhaft, und dass, obwohl ein fruchtbarer Boden letztendlich auch die Grundlage unseres Lebens ist“, sagt der Zoologe und Botaniker. Betrachtet werden sollen auch die Umweltfaktoren sowie die unterschiedlichen Nutzungen, die die Biodiversität beeinflussen – so etwa die Art der Land- und Forstwirtschaft, chemische Belastungen, aber auch der Klimawandel.
Mehr Vernetzung und mehr Engagement – die Herausforderungen
Die Mitarbeiter*innen des Monitoringzentrums werden in Zukunft den Zugang zu Daten verbessern, sie helfen, vorhandene Datenlücken zu schließen und die Grundlagen für die Auswertbarkeit der Daten zu verbessern. „Die notwendigen Informationen stammen aus vielen unterschiedlichen Quellen, so etwa von Landesfachbehörden oder ehrenamtlichen Initiativen.“ Die eigentliche Aus- und Bewertung hingegen fällt nicht in ihren Aufgabenbereich. „Zusätzlich wollen wir für eine bessere Vernetzung der Akteur*innen in diesem Bereich sorgen, damit die vorhandenen Daten besser zugänglich und stärker geteilt werden.“ Dafür soll es auch ein öffentliches Forum geben, an dem Akteur*innen aus Wissenschaft, Behörden und Praxis teilnehmen können und dass sich ein bis zwei Mal im Jahr einem bestimmten Thema widmet. „Dabei soll es zunächst um das Datenmanagement gehen, also: Wie bekommt man die relevanten Daten zusammen?“
Neben dem Ausbau des Monitorings und weiterer systematischer Erfassungen der Biodiversität ist es aber wichtig, alle belastbaren Daten und Informationen zu nutzen. Denn davon gibt es viele. Eine wichtige Quelle sind laut Dr. Andreas Krüß zum Beispiel die Roten Listen, die umfassende Inventur unserer Tier-, Pilz- und Pflanzenarten. „Hier ist viel Wissen über lange Zeiträume vorhanden. Darüber hinaus gibt es zahlreiche weitere ehrenamtliche Expert*innen, die die Bestände einzelner Organismengruppen und ihre Entwicklung dokumentieren.“
Um zielgerecht umfassende Daten über längere Zeiträume zu erheben, braucht es das Zusammenspiel von haupt- und ehrenamtlichen Aktivitäten. „Wir wollen zudem nicht nur in die Zukunft blicken, sondern auch historische Daten aufbereiten und sichern. Viele dieser Informationen sind etwa in Naturkundesammlungen oder Museen zu finden, ein großer Teil davon ist allerdings leider nicht digitalisiert.“
Schutz von Biodiversität – Wissen verbessern und nutzen
Wer mehr über die biologische Vielfalt weiß, ihre Entwicklung und bestehende Einflussfaktoren, kann sie auch besser schützen. „Wir wissen schon genug, um handeln zu können“, sagt Dr. Andreas Krüß. „Aber wir müssen die Wissensgrundlage zum Verlust der Biodiversität weiter verbessern, um Veränderungen genauer analysieren zu können, die Maßnahmen präziser zu machen und ihre Wirksamkeit validieren zu können.“
Dr. Andreas Krüß ist bereits seit 16 Jahren Abteilungsleiter beim Bundesamt für Naturschutz (BfN). Er leitete bis Ende 2020 die Abteilung Ökologie und Schutz von Fauna und Flora, zu der die Fachgebiete Zoologischer Artenschutz, Botanischer Artenschutz und Terrestrisches Monitoring gehören. Von dieser Aufgabe ist er derzeit freigestellt, um den Aufbau des Nationalen Monitoringzentrums zur Biodiversität in Leipzig zu leiten. Dabei sollen unter anderem die Grundlagen geschaffen werden, um zentrale Gremien einzurichten und zu etablieren, ein ressortübergreifendes Gesamtkonzept für das Monitoring von Biodiversität zu entwickeln und eine Informations- und Vernetzungsplattform aufzubauen.
Der Leiter des Aufbaustab hat Zoologie und Botanik studiert, er besitzt einen Doktor in Biologie. Seine Dissertation schrieb er zum Thema „Die Folgen der Lebensraum-Verinselung für Herbivoren Parasitoiden-Gesellschaften an Leguminosen“ an der Universität Karlsruhe. Danach war er als Wissenschaftler und Dozent an der Georg-August-Universität Göttingen tätig, wo er als Agrarökologe habilitierte.