Zielkonflikte und kontroverse Diskurse auf dem Weg zu einer zirkulären Zukunft sind unvermeidbar
Egal, ob die Pfandflasche wieder befüllt oder die Rohstoffe aus der alten Autobatterie erneut verwendet werden: Ein Konsumieren und Wirtschaften in Kreisläufen spart Ressourcen, schont die Umwelt und die Biodiversität, schützt das Klima und macht unabhängiger von Rohstoffimporten. Trotzdem hat sich die Circular Economy noch lange nicht etabliert. Im Gegenteil: Deutschland verbraucht viel zu viele Ressourcen – 30 Prozent mehr als der globale Durchschnitt – und trägt damit zu ökologischen, sozialen und menschenrechtlichen Problemen vor allem im globalen Süden bei. 40 Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen sind zudem mit Rohstoffabbau und -verarbeitung verbunden.
Doch wie lässt sich der Ressourcenverbrauch senken? Der Markt hat hier offensichtlich versagt. Umweltkosten werden weiterhin externalisiert, es fehlt an Infrastrukturen und Investitionen für ein zirkuläres Wirtschaften sowie an Transparenz in den Wertschöpfungsketten und an Standards für zirkuläre Produkte. Bisherige Strategien, die auf Freiwilligkeit und Förderung setzen, haben daran nichts geändert. Das liegt sicher nicht zuletzt an Zielkonflikten, die mit einer Circular Economy verbunden werden: Vermutet wird oftmals, dass die Wertschöpfung sinkt, Arbeitsplätze verloren gehen, die Kosten steigen und wir an Wohlstand einbüßen. Diese Sorgen sind nicht berechtigt, doch dazu später mehr.
Eine Vision. 10 Prinzipien. 63 Maßnahmen
Damit sich die Circular Economy endlich etabliert, braucht es einen klaren politischen Rahmen mit verbindlichen Zielen sowie ein konsequentes Handeln der Entscheidungsträger*innen. Im Projekt „Modell Deutschland Circular Economy“ für den WWF haben wir formuliert, wie dies aussehen könnte. Die Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie, die derzeit entwickelt wird, könnte hier ein wichtiger Anknüpfungspunkt sein. In unserer Vision braucht es fünf Handlungsstrategien: Wir müssen Ressourcenströme verringern, Materialien substituieren, Ressourcenflüsse verlangsamen, Produkte intensiver nutzen und Ressourcenkreisläufe schließen. Zu den von uns formulierten zehn Leitprinzipien gehören unter anderem verbindliche Ressourcenziele, eine absolute Reduktion des Ressourcenverbrauchs oder auch die Bildung von gesellschaftlichen Allianzen. So schlagen wir vor, den Rohstoffkonsum pro Kopf bis 2045 auf sieben Tonnen jährlich und den absoluten Rohstoffkonsum auf etwa 500 Millionen Tonnen zu senken. Die Zirkularitätsrate sollte hingegen bis 2030 auf 25 Prozent steigen.
Wie sich diese Ziele erreichen lassen? Auf der übergeordneten Ebene schlagen wir Instrumente, wie etwa Sustainable Finance, Umweltsteuern, eine erweiterte Herstellerverantwortung oder auch der Abbau von umweltschädigenden Subventionen vor. Darüber hinaus konkretisieren wir sektorspezifische Instrumente für die Umsetzung von 63 Maßnahmen in neun Sektoren. Sinnvoll wäre es etwa, die Zweitnutzung von Fahrzeugbatterien zu fördern, eine Primärstoffsteuer für Produkte des Hoch- und Tiefbaus einführen sowie Mindestlebensdaueranforderungen für Elektro- und Elektronikgeräten, Ökodesign-Mindestanforderungen für die Haltbarkeit von Textilien und Möbeln oder auch eine Verpackungsressourcensteuer zu etablieren.
Die von uns vorgeschlagenen Instrumente sind ambitioniert, aber sie werden in dieser Form nicht zum Zug kommen, wenn kein ressortübergreifendes, verbindliches Ziel vorliegt, zu dessen Erreichung die Instrumente beitragen sollen. Die bisherigen Strategien zur Ressourcenschonung bieten keinen entsprechenden Rahmen. Sie setzen auf Freiwilligkeit und Förderprogramme. Sie wirken nicht in die Kernbereiche der Ressorts und sind nicht auf Strukturwandel ausgelegt. Die Vielzahl an Strategien gleicht einem Flickenteppich und der jeweils enge Zuschnitt mindert die Durchschlagskraft.
Der fehlende Rahmen kann durch die Etablierung eines Ressourcenschutzgesetzes gesetzt werden. Hierfür schlagen wir ein Governance-Modell vor, aus dem sich spezifische Ziele für die unterschiedlichen Ressorts ableiten lassen. Diese wiederum können dann eigene Strategien und Instrumente entwickeln. Damit ließe sich der aktuelle Flickenteppich an Verordnungen überwinden, ambitioniertere Instrumente wie Umweltsteuern und der Abbau von umweltschädlichen Subventionen könnten sich endlich durchsetzen.
Es braucht gesellschaftliche Akzeptanz
Damit eine Circular Economy erfolgreich ist, ist gesellschaftliche Akzeptanz unverzichtbar. Gleichzeitig brauchen wir einen klaren Schwenk in unserem gesellschaftlichen Narrativ. Wir müssen uns bewusst sein, dass technologische Innovationen zwar wichtig sind, strukturelle Innovationen und ein Wandel der Verhaltensmuster – also eine Abkehr vom übermäßigen Ressourcenkonsum – aber noch viel wichtiger. Um hierüber einen gesellschaftlichen Konsens zu erzielen, müssen die Bedürfnisse aller Bevölkerungsgruppen berücksichtigt, muss aber eine Bereitschaft signalisiert werden, bei unvermeidbaren Zielkonflikten Lösungen zu finden. Dazu gehört auch, Instrumente der Circular Economy mit vorausschauendem sozial- und arbeitsmarktpolitischen Blick zu flankieren, falls sie zu Lasten von Menschen mit niedrigen Einkommen gehen – was wir in unserer Analyse allerdings nicht erwarten.
Ein zentraler Baustein für gesellschaftliche Akzeptanz ist auch, Vision und Leitprinzipien kontinuierlich zu kommunizieren und konkrete Handlungsbereiche zu vermitteln. Dazu gehört, neben den ordnungsrechtlichen und marktbasierten Instrumenten auch, Verbraucher*innen aufzuklären, Arbeitnehmer*innen fort- und weiterzubilden, in Forschung und Entwicklung zu investieren und Anreize für die Wirtschaft zu schaffen. Auch das Thema Suffizienz spielt dabei eine Rolle: Sollten unser Wohlstand und unser Wohlergehen wirklich so eng mit Konsum materieller Güter und einem hohen Bruttoinlandsprodukt verknüpft sein? Sind hohe Lebensqualität und der Schutz vor Umweltkatastrophen oder Versorgungsrisiken nicht sehr viel wichtiger? Und ebenso eine globale Ressourcengerechtigkeit? Und wie sieht es mit der Frage einer arbeitsmarktrechtlichen Reform in Richtung 4-Tage-Woche aus, wo weniger Konsum und mehr Zeit für Gemeindearbeit und gesellschaftliches Engagement in den Vordergrund rücken? Es liegt nur zum Teil in den Händen der Verbraucher*innen, hier einen gesellschaftlichen Wandel einzuläuten. Wirtschaft und Politik haben den Strukturwandel maßgeblich in der Hand. Gerade dort, wo hohe Umweltbelastungen entstehen, müssen sie tiefgreifend handeln. Nur so können wir den Ressourcenverbrauch vom Wirtschaftswachstum entkoppeln.
Die Effekte sind positiv, aber nicht ohne Zielkonflikte
Im Projekt für den WWF haben wir gemeinsam mit der FU Berlin und dem Fraunhofer ISI auch betrachtet, wie sich eine Circular Economy konkret auswirkt. Wir haben die Folgen für neun Sektoren wie Fahrzeuge und Batterien sowie Elektrogeräte und Textilien betrachtet und die Auswirkungen auf Treibhaugasemissionen, Ressourceninanspruchnahme sowie den Arbeitskräftebedarf analysiert. Dabei zeigte sich, dass Deutschland bis 2045 27 Prozent weniger Rohstoffe verbrauchen und die Treibhausgasemissionen um knapp 26 Prozent senken könnte. Die Landnutzung würde sich um 30 Prozent reduzieren.
Nach einer Kosten-Nutzen-Analyse gehen wir davon aus, dass die Circular Economy rentabel ist – und es teurer wäre, einfach die Hände in den Schoß zu legen. Durch die beschriebenen Maßnahmen kann die Endenergienachfrage im Industriesektor bis 2045 um 104 Terrawattstunden sinken. Damit lassen sich die Kosten für den Ausbau der erneuerbaren Energien und von Netzen sowie für den Import von Sekundärenergieträgern senken. Zudem ließen sich globale Umweltkosten in Höhe von bis zu 157 Milliarden Euro vermeiden.
Die Wirtschaft kann zudem eine höhere Resilienz gegenüber Versorgungsrisiken entwickeln. In unserer Analyse entspannt sich der Bedarf bei 29 von 36 relevanten Rohstoffen. Besonders deutlich verringert er sich bei neun Rohstoffen wie Neodym, Kobalt oder Kupfer: Hier könnte bis 2045 mehr als die Hälfte des angenommenen Bedarfs im Rahmen einer Circular Economy gedeckt werden.
Ein besonders empfindlicher Punkt: der Rückgang von Wertschöpfung und Beschäftigung. Diesen wird es voraussichtlich geben – in jenen Bereichen, die die Umwelt besonders belasten, also in der Konsumgüter- und Primärrohstoffproduktion. Bei der Fleischproduktion, in der Autoindustrie und im Baubereich. In anderen Bereichen aber wird es positive Effekte geben. So in den Dienstleistungssektoren, beim Recycling, bei Reparaturdienstleistungen, beim Anbau von Obst und Gemüse oder bei der Produktion von Sekundärrohstoffen. Wir erwarten also negative ebenso wie positive Auswirkungen bei Wertschöpfung und Beschäftigung – unterm Strich aber eine Verbesserung. Wichtig ist dabei, dass die monetären Einsparungen durch die Circular Economy in denjenigen Bereichen ausgegeben werden, die positive Effekte auf den Arbeitsmarkt, aber keine besonders hohen Auswirkungen auf die Umwelt haben, wie zum Beispiel die obengenannten Wirtschaftsbereiche. Die Steuerung der Investitionen und Ausgaben in die richtigen Bahnen ist primär die Aufgabe der Politik.
Angesichts der zahlreichen Vorteile der Circular Economy sollte es da doch eigentlich keine Frage mehr sein, ob wir sie endlich konsequent etablieren sollten.
Siddharth Prakash ist Senior Researcher im Bereich Produkte & Stoffströme am Öko-Institut sowie Gruppenleiter Zirkuläres Wirtschaften und Globale Wertschöpfungsketten. Er hat die Studie „Modell Deutschland Circular Economy“ im Auftrag des WWF geleitet. Clara Löw forscht zu nachhaltigen Materialien und Produkten sowie zur Circular Economy im Bereich „Produkte & Stoffströme“ in Freiburg.
Weitere Informationen
Pressemitteilung „Neue Studie: Zukunft zirkulär gestalten und Rohstoffe sichern“
Studie „Modell Deutschland Circular Economy. Politik Blueprint“ des Öko-Instituts und der FU Berlin
eco@work, Ausgabe September 2022 „Besser im Kreis. Wie funktioniert die Circular Economy?“
Informationsportal „Circular Economy: Baustein für Klimaschutz und Biodiversität“