Hier Einzelheizung, da Fernwärme
Christiane Weihe
Erdgas oder Heizöl – das schienen lange Zeit fast die einzigen Optionen im Heizungskeller. Heute sind die Optionen vielfältiger. Je nach Ort und Region kann sich Geothermie, Solarthermie oder auch industrielle Abwärme lohnen. Ein übergeordnetes Konzept, welche Art der Wärmeversorgung in unterschiedlichen Kommunen und Quartieren am sinnvollsten und nachhaltigsten ist, fehlt jedoch bislang. Dies soll sich nun in Baden-Württemberg ändern: Hier wurden große Kreisstädte und Stadtkreise im Rahmen des novellierten Klimaschutzgesetzes 2020 dazu verpflichtet, eine kommunale Wärmeplanung anzustoßen. Und damit der Klimaneutralität auch in Sachen Wärme einen entscheidenden Schritt näher zu kommen.
Die kommunale Wärmeplanung ist eine langfristige Strategie zum Umbau der Wärmeversorgung als Teil der nachhaltigen Stadtentwicklung. Dabei betrachtet jede Kommune, wie sich ihr Wärmesektor unter Berücksichtigung der jeweiligen Voraussetzungen vor Ort entwickeln und dabei klimaneutral werden kann. „Dafür braucht es zunächst eine Bestandsaufnahme des aktuellen Wärmebedarfs und der bestehenden Infrastruktur sowie Szenarien zu möglichen zukünftigen Entwicklungen“, erklärt Benjamin Köhler, Senior Researcher am Öko-Institut.
Hier ist sehr viel Detailwissen gefragt: über den Sanierungsstand der Gebäude, die Art der Heizanlagen und die ganz konkreten Versorgungsstrukturen. Betrachtet werden dabei einzelne Quartiere, Straßen, manchmal sogar einzelne Gebäude. Geprüft wird auch, wo es Freiflächen etwa für Solarthermie gibt. „Zusätzlich betrachtet die Kommune, welche Wärmepotenziale bestehen – mit Blick auf erneuerbare Energien wie Geo- und Solarthermie oder Biomasse ebenso wie in Hinsicht auf die Abwärme etwa von industriellen oder Müllverbrennungsanlagen.“ Auf dieser Grundlage wird eine kommunale Wärmeplanung entwickelt, die die langfristige Wärmeversorgung festlegt. Wichtig ist dabei, dass die Planungsprozesse gut aufeinander abgestimmt und alle relevanten Akteurinnen und Akteure – etwa aus Stadtwerken und der Stadtplanung, von Umwelt- und Tiefbauämtern – einbezogen werden. „Dies ermöglicht, die Wärmeversorgung integriert, langfristig, effizient und nachhaltig zu gestalten.“
Vorreiter Dänemark
In Dänemark begann die kommunale Wärmeplanung schon vor vielen Jahrzehnten: Nach den Ölkrisen 1973 und 1979 wollte sich das Land unabhängiger von Energieimporten machen. „Wärmenetze waren hier eine zentrale Chance, daher wurden sie anhand von Wärmeplänen weiter ausgebaut, zunächst vor allem in Ballungsgebieten. Gleichzeitig hat man Ölheizungen etwa durch Steuern und Abgaben teurer gemacht“, sagt Köhler. Damit keine monopolistischen Strukturen entstehen, gehören fast alle Fernwärmeversorger den Kommunen oder Genossenschaften. Gewinne müssen wieder zurückfließen, es gibt strenge Transparenzkriterien. Die Wärmeplanung hat aber nicht nur zu einem Ausbau der Fernwärme beigetragen, sondern auch zu Gebäudesanierungen und dem Einbau emissionsärmerer oder -freier Heizungen in Gebieten geführt, in denen der Auf- oder Ausbau der Fernwärme nicht die effizienteste und günstigste Option war oder noch ist. Heute hat fast jede Kommune einen Wärmeplan und das Land gibt seine Erfahrungen im deutsch-dänischen Austausch an die Bundesrepublik weiter. Auch mit Blick auf weiterhin bestehende Herausforderungen. „Mehr Fernwärme heißt natürlich nicht automatisch: mehr Nachhaltigkeit. Derzeit gibt es in Dänemark viel Holz- und Müllverbrennung, aber auch noch Kohle. Es wird daran gearbeitet, wie die Anteile von Wärmepumpen, Geo- und Solarthermie steigen können.“
Einen sinnvollen Ansatz sieht Benjamin Köhler auch in der österreichischen Energieraumplanung in Salzburg, Wien und der Steiermark, die strukturiert Energieangebot und -nachfrage betrachtet. Im Fokus steht hier die Frage, wie Flächen für die Produktion von erneuerbaren Energien gesichert und genutzt werden können. „Flächen sind ein zentraler Faktor für die Wärmewende“, sagt der Senior Researcher, „wir brauchen sie für die Solarthermie und Wärmespeicher ebenso wie für Bohrungen für die Geothermie oder Anlagen, die überschüssigen erneuerbaren Strom in Wärme umwandeln.“
Ländersache Wärme
Baden-Württemberg ist nun das erste deutsche Bundesland, das eine kommunale Wärmeplanung verpflichtend eingeführt hat. Städte ab 20.000 Einwohnerinnen und Einwohnern müssen bis Ende 2023 einen entsprechenden Plan erstellen, weitere Städte können dies freiwillig tun und hierfür Fördermittel beantragen. „Leider ist das Klimaschutzgesetz bezüglich der Umsetzung vage, das ist ein Risiko“, so Benjamin Köhler. Festgelegt sei bisher nur, dass innerhalb von fünf Jahren nach Veröffentlichung eines Plans fünf Maßnahmen begonnen sein müssen. „Wichtig ist, dass der Wärmeplan in konkrete kommunalpolitische Entscheidungen mündet und zum Beispiel Grundlage für die Festlegung der Wärmeerzeugungsstruktur in Neubau- oder Sanierungsgebieten wird. Außerdem muss sichergestellt werden, dass die Wärmepläne in Summe konsistent sind und nicht jede Kommune ausschließlich etwa auf Biomasse setzt. Denn hierfür reichen die Potenziale nicht aus.“
Auch Hamburg hat bereits ein so genanntes Wärmekataster erstellt, um Informationen zu Wärmebedarf und -versorgung zusammenzutragen, in anderen Bundesländern ist man noch nicht so weit. „In Schleswig-Holstein steht die kommunale Wärmeplanung auf freiwilliger Basis im Klimaschutzgesetz, Bayern konnte sich bei der Novelle seines Klimaschutzgesetzes leider nicht zu einer verpflichtenden kommunalen Wärmeplanung durchringen.“ Die kommunale Wärmeplanung steckt noch in den Kinderschuhen, sagt Benjamin Köhler. Es gebe wenige übergreifende und strategische Ansätze, die meisten Bundesländer setzen keine verpflichtende Wärmeplanung um. „Es wird nach wie vor viel auf Freiwilligkeit und Anreize über Förderungen gesetzt – so wie bislang auch bei der Gebäudesanierung“, sagt Köhler. „Zusätzlich ist es hier schwer, bundesweite Regelungen zu schaffen, weil die Wärmeplanung nun mal eine kommunale beziehungsweise lokale oder regionale Aufgabe ist.“
Wie das Thema weiter vorangetrieben werden kann, damit beschäftigt sich das Öko-Institut derzeit gemeinsam mit mehreren Projektpartnern in einer Analyse für das Bundeswirtschaftsministerium und die Bundesstelle für Energieeffizienz, die sich der Energiewende im Wärmebereich widmet. Ein zentraler Aspekt des Projektes ist es, einen Überblick über den Status quo zu erhalten. Zu analysieren, in welchen Landesgesetzen die kommunale Wärmeplanung bereits verankert ist, welche Pläne es hierfür gibt und was wir von anderen Ländern lernen können. „Eine wichtige Frage ist dabei auch, wie die Bundesregierung überhaupt aktiv werden kann – etwa mit Blick auf gesetzliche Verpflichtungen. Grundsätzlich kann den Kommunen hier nichts vorgeschrieben werden, daher analysieren wir, ob und wie die kommunale Wärmeplanung dennoch etabliert werden kann.“ Möglich sei dies etwa über Verpflichtungen von der Landes- auf die kommunale Ebene. Baden-Württemberg habe hier zudem eine Vorbildfunktion, andere Länder dürften nachziehen.
Divers und vielfältig
Beim Blick in die Zukunft der Wärmeversorgung sieht der Senior Researcher vom Öko-Institut nicht nur ein steigendes Engagement bei der Wärmeplanung. Er erwartet, dass die Frage, welche Energie für Heizung und Warmwasser sorgt, in den nächsten Jahrzehnten deutlich diverser und abhängiger von den lokalen Voraussetzungen sein wird; mit entsprechenden positiven Wirkungen auf die lokale und regionale Wertschöpfung. „In manchen Städten wie Karlsruhe oder Hamburg wird man die Abwärme der Industrie nutzen, in München wird in Zukunft die tiefe Geothermie eine wichtige Rolle spielen“, sagt Benjamin Köhler. Die Zeit von Erdgas und Heizöl als einzige Optionen im Heizkeller wird dann lange vorbei sein.
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Benjamin Köhler beschäftigt sich am Öko-Institut mit vielen unterschiedlichen Facetten der Wärmewende. Er widmet sich energieeffizienten Gebäuden und klimaangepasstem Bauen ebenso wie der technisch-wirtschaftlichen Bewertung von Gebäuden und Gebäudeenergiesystemen. Darüber hinaus befasst sich Köhler, der einen Master in Energie- und Umweltmanagement besitzt, unter anderem mit politischen Instrumenten für eine sozial ausgestaltete Transformation des Gebäudesektors.