„Wohnfläche ist eine Ressource“
Christiane Weihe
Verbietet das Bauen! – mit diesem programmatischen Titel sprach sich Daniel Fuhrhop 2015 deutlich gegen Neubauten aus. Denn aus Sicht des Wirtschaftswissenschaftlers lässt sich der Nachfrage nach Wohnraum auch durch geschickt genutzte Altbauten begegnen. Derzeit begleitet Daniel Fuhrhop an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg ein Forschungsprojekt, das sich einer optimierten Wohnraumnutzung und neuen Wohnmodellen widmet. Im Interview mit eco@work spricht der ehemalige Verleger über die Entwicklung der Wohnflächen ebenso wie über Ansätze für flächensparendes Wohnen. Und natürlich auch über die Frage, warum man Neubauten aus seiner Sicht fast nicht mehr braucht.
Daniel Fuhrhop, wie entwickeln sich die Wohnflächen in Deutschland?
Grundsätzlich wachsen sie, weil die Zahl der neu gebauten Wohnungen kontinuierlich höher ist als man es für den reinen Bevölkerungszuwachs bräuchte. So ist zwischen 1993 und 2018 die Zahl der Wohnungen von 35 auf 42 Millionen gestiegen, obwohl sich die Zahl der Einwohnerinnen und Einwohner in dieser Zeit nur um knapp zwei Millionen erhöht hat. Natürlich gibt es dafür Gründe wie etwa kleinere Haushaltsgrößen und den erhöhten Bedarf in Boom-Städten – aber alleine damit lässt sich so ein Zuwachs nicht rechtfertigen. In vielen Regionen wird mehr gebaut als eigentlich sinnvoll wäre.
Warum sollten Neubauten reduziert werden?
Weil Wohnfläche eine wichtige Ressource ist, mit der wir aus Energie- und Klimagesichtspunkten nicht verschwenderisch umgehen sollten. Bau und Betrieb von Gebäuden sind für etwa vierzig Prozent der Treibhausgase verantwortlich. Energieeffizienz alleine wird für die Wärmewende nicht ausreichen. Wir haben allerdings in Deutschland einen Effekt, dass viele ältere Menschen in zu groß gewordenen Wohnungen wohnen – etwa, wenn die Kinder ausgezogen sind. Dieses Problem verschärft sich mit der Überalterung unserer Gesellschaft. Andererseits möchten manche der älteren Menschen gar nicht allein im Haus wohnen.
Wie können Wohnflächen besser genutzt werden?
Wichtig ist es zum Beispiel, Leerstand zu erfassen – das dürften derzeit etwa zwei Millionen Wohnungen sein – und ihn wieder zu beleben. Eine der Hauptaufgaben des flächensparenden Wohnens ist aus meiner Sicht aber, die Vielfalt der Wohnungswünsche und Lebensstile zu berücksichtigen und zu unterstützen. Dazu gehört zum Beispiel, jenen zu helfen, die gerne flächensparender wohnen wollen und ihnen unterschiedliche Optionen anzubieten. Das kann etwa sein, in eine kleinere Wohnung umzuziehen ebenso wie vorhandene Wohnungen umzubauen und so etwa Einliegerwohnungen zu schaffen, aber auch die Untervermietung oder das Zusammenwohnen mit anderen Menschen sind Optionen. Hier gibt es viele tolle und erprobte Modelle.
An der Universität Oldenburg befassen Sie sich gerade intensiv mit einem solchen Modell.
Das stimmt. Es steht unter der Überschrift „Wohnen für Hilfe“ – dieses kann zum Beispiel so aussehen, dass ein junger Student ein Zimmer bei einem verwitweten Rentner bezieht, dafür nicht bezahlt, sondern Aufgaben übernimmt. Also die Wäsche wäscht, den Rasen mäht oder den Gartenzaun neu streicht. Um die Wohnpaare zusammenzubringen, braucht man Vermittlungsstellen.
Welche Potenziale hat dieses Modell?
Wenn man sich die Stellen anschaut, die das am besten betreiben, sieht man sehr hohe Vermittlungszahlen. So gibt es zum Beispiel eine kleine wallonische Organisation, die in und um Brüssel herum Wohnpaare vermittelt. 2019 gab es in Brüssel 330 neue Wohnpaare, dazu kamen 120 weitere in kleineren wallonischen Städten. Wenn man diesen Erfolg entsprechend der Bevölkerungszahl auf Deutschland übertragen würde, käme man auf über 7.000 neue Wohnpaare jährlich. Leider sind wir hierzulande aber meilenweit davon entfernt, das vorhandene Potenzial auszuschöpfen.
Wer sollte sich darum kümmern, solche Modelle voranzutreiben?
Grundsätzlich ist es eine Aufgabe für Politik und Verwaltung in Bund, Land und Kommunen. Bislang wurde Wohnen von öffentlichen Stellen nur als soziales Thema betrachtet. Es wird Zeit, dass der enorme Effekt von Wohnflächen auf das Klima stärker ins Bewusstsein und in den Fokus rückt. Dann braucht es aber strategische und gebündelte Maßnahmen, ein ganzheitliches Programm.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Christiane Weihe.
Im Interview mit eco@work: Daniel Fuhrhop, Autor und Wirtschaftswissenschaftler an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg