Unter dem Radar
Christiane Weihe
Nanomaterialien wecken viele Assoziationen. Winzig klein. Aufregende Forschung. Neue Funktionen. Sie können zum Beispiel Produkte leichter und effizienter machen und dadurch helfen, Energie und Rohstoffe einzusparen. Doch trotz aller Forschung wissen wir bei Weitem noch nicht alles über Nanomaterialien – vor allem hinsichtlich ihrer Langzeitwirkungen auf Mensch und Umwelt bestehen deutliche Wissenslücken. Ein wichtiger Grund, warum es dringend notwendig ist, ihre Herstellung und Nutzung nicht nur kontinuierlich zu erforschen und zu prüfen, sondern auch gesetzlich zu regeln. Das Öko-Institut beschäftigt sich in zahlreichen Projekten mit Nanomaterialien, ihren Potenzialen, ihren Risiken und der Notwendigkeit ihrer Regulierung.
Nanomaterialien ermöglichen verbesserte Produkteigenschaften, auch mit Blick auf die Verbesserung der Öko-Effizienz. „Durch ihren Einsatz wurden zum Beispiel schmutzabweisende Solarzellen mit einem höheren Wirkungsgrad oder dimmbare Scheiben möglich“, erklärt Andreas Köhler vom Öko-Institut, „weitere Beispiele für Produktverbesserungen sind leichtere Getränkeverpackungen und innovative Dämmplatten.“ Eine Studie des Öko-Instituts für das Umweltbundesamt hat 2014 besonders aussichtsreiche nanotechnische Anwendungen sowie den damit verbundenen Rohstoff- und Energiebedarf analysiert. Die Analyse „Untersuchung der Auswirkungen ausgewählter nanotechnischer Produkte auf den Rohstoff- und Energiebedarf“ zeigte, dass signifikante Einsparungen möglich sind: „Elektrisch dimmbare Fenster haben im Vergleich zu normalen Fenstern mit Jalousien das Potenzial, Energiebedarf und CO2-Emissionen um rund 30 Prozent zu senken“, so Köhler.
Gleichzeitig gibt es aber auch Hinweise auf Risiken für Menschen und Umwelt. „Künstliche Nanomaterialien können aus Produkten oder Industrieprozessen freigesetzt und von Menschen oder anderen Organismen aufgenommen werden. Einige diese Nanomaterialien können giftig wirken“, sagt der Wissenschaftler aus dem Institutsbereich Produkte & Stoffströme, „wie giftig sie sind, hängt stark von der Dosis und dem Nanopartikel-Typ ab.“ Nanomaterialien verteilen sich in der Umwelt und im Organismus anders als herkömmliche Chemikalien, sie können theoretisch natürliche Schutzfunktionen unterlaufen und besonders geschützte Organe wie das Gehirn beeinflussen. „Wenn etwa Nano-Silberpartikel in den Körper gelangen, können sie giftige Silber-Ionen an Stellen freisetzen, die normales Silber nie erreichen würde.“ Vor allem über die Langzeitwirkung von Nanomaterialien ist bisher zu wenig bekannt: „Sie könnten zum Beispiel krebserregend wirken oder die Wirkung körpereigener Hormone beeinflussen“, sagt Andreas Köhler.
UNVERZICHTBAR: REGULIERUNG
Für seinen Kollegen, den Rechtsexperten Andreas Hermann, sind Standards, Vorschriften und eine gesetzliche Regulierung für Nanomaterialien unverzichtbar, um bestehende Risiken effektiv zu ermitteln, zu minimieren und zu überwachen. „Dazu gehört, Nano-Produkte zu registrieren und zu kennzeichnen, vor allem aber auch, die Charakterisierung und Messung von Nanomaterialien zu standardisieren. Wir können sie nicht einfach behandeln wie alle anderen Chemikalien auch, denn ob sie gefährlich sind, hängt nicht nur von der Dosis ab, sondern wird auch von ihrer Partikelgröße und Oberflächenstruktur bestimmt“, sagt er.
Die EU hat einen Prozess zur Regulierung von Nanomaterialien begonnen, der den Senior Researcher jedoch mehr als unzufrieden macht. „Der bisherige Ansatz ist nicht nachhaltig, nicht transparent und er entspricht auch nicht dem Vorsorgeprinzip“, sagt er, „und nicht zu vergessen: Produkte mit Nanomaterialien sind schon längst auf dem Markt, auch in heiklen Anwendungen wie Lebensmitteln oder Kosmetika.“ Das Fehlen eines klaren regulatorischen Rahmens verhindere eine sichere Entwicklung und Nutzung von Nanotechnologien. „Notwendig sind unter anderem eine Anpassung der europäischen Chemikalienverordnung REACH, damit sie endlich die Besonderheiten von Nanomaterialien adäquat berücksichtigt, sowie ein Ansatz, der den gesamten Lebenszyklus von Produkten mit Nanomaterialien einbezieht.“ Auch eine angemessene Information der Öffentlichkeit etwa durch Produktkennzeichnungen sowie ein kontinuierliches Bio-Monitoring von Menschen und Umwelt seien wichtig für einen nachhaltigen Umgang mit Nanotechnologien. „Die EU will keine Arbeitsplätze in diesem boomenden Bereich gefährden und fährt einen deutlich zu industriefreundlichen Kurs. So wird eine verbindliche Vorgabe unter REACH, welche Daten die Hersteller von Nanomaterialien ermitteln und an die Europäische Chemikalienagentur ECHA übermitteln müssen, verschleppt“, sagt der Experte, „bereits bestehende Regelungen zur Anmeldung und Genehmigung von Nanomaterialien in Kosmetika werden zudem erst deutlich verspätet erfüllt. Zum Teil geht es dabei um Nanomaterialien, die schon auf dem Markt sind, nach dem Prinzip „No Data, no market“ aber eigentlich nicht verkauft werden dürften.“
REACH UND NANO
Gemeinsam mit dem Center for International Environmental Law (CIEL) und der European Environmental Citizens’ Organisation for Standardisation (ECOS) hat das Öko-Institut drei Jahre daran gearbeitet, dass die gesellschaftlichen und ökologischen Vorteile, aber auch Risiken von Nanomaterialien auf internationaler Ebene und EU-Ebene berücksichtigt werden. Entwickelt wurden in diesem Projekt „Sichere Herstellung und Verwendung von Nanomaterialien in Europa“ unter anderem Empfehlungen für die Entwicklung klarer Standards, die sich an die internationale Arbeitsgruppe der OECD zu Nanomaterialien sowie die Normungsorganisationen ISO und CEN richten. Finanziert von der dänischen Villum Foundation haben die Experten zudem frei verfügbare Factsheets mit Informationen zum Normungsprozess sowie mit Fakten und Argumenten für einen besseren Gesundheits- und Umweltschutz bei Nanomaterialien erstellt – so etwa mit Blick auf deren potenzielle Toxizität. „Wir nehmen in einem Positionspapier zudem Stellung zu den Änderungen, die die Europäische Kommission vorgeschlagen hat, um im Rahmen von REACH die Sicherheitsbeurteilung und Risikokommunikation von Nanomaterialien zu verbessern“, so Andreas Hermann
REACH sieht vor, dass Hersteller, Importeure und Anwender von Chemikalien Informationen zu Stoffen und Produkten erheben und bei der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) hinterlegen. „Bislang gibt es jedoch keine nanospezifischen Regelungen, das muss sich dringend ändern“, sagt der Wissenschaftler, „das Öko-Institut hat zum Beispiel bereits 2011 in einer Machbarkeitsstudie für das Bundesumweltministerium gezeigt, dass ein Register für Nanoprodukte rechtlich machbar ist.“ In ihrem Positionspapier fordern CIEL, ECOS und das Öko-Institut nun, nanospezifische Regelungen in den Haupttext von REACH zu integrieren. Hersteller, Importeure und Anwender sollten unter anderem bei der Überprüfung von Umweltverhalten und -risiken die Oberflächenstruktur von Nanomaterialien berücksichtigen. „Wir fordern, dass das so genannte Sicherheitsdatenblatt zu den Nanomaterialien Informationen zu Zusammensetzung, Behandlung, Expositionskontrollen, chemischen und physikalischen Eigenschaften sowie toxikologischen Erkenntnissen enthält“, sagt Hermann, „hier ist eine sehr umfassende Datenerhebung notwendig, da diese winzigen Materialien sehr unterschiedliche Eigenschaften haben können.“
EIN NANOANLAGENKATASTER
Die Experten des Öko-Instituts befassen sich nicht nur mit den Möglichkeiten der Registrierung von Nanoprodukten, sondern auch mit der Registrierung von Anlagen, in denen Nanomaterialien hergestellt, verarbeitet und gelagert werden. In der Analyse „Machbarkeitsstudie zu den rechtlichen Umsetzungsmöglichkeiten eines Nanoanlagenkatasters“ haben sie für das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen (LANUV) die hierfür bestehenden Rechtsgrundlagen geprüft und sich mit möglichen neuen gesetzlichen Regelungen befasst. „Das Ziel der Etablierung eines solchen Registers und entsprechender Berichtspflichten der Betreiber sollte es sein, nach dem Vorsorgeprinzip Risiken für Mensch und Umwelt abzuwenden“, sagt der Wissenschaftler.
Die Studie zeigt immense Informationslücken bei den zuständigen Behörden. „Sie sind nicht ausreichend darüber informiert, welche Anlagen mit Nanomaterialien umgehen, welche Mengen dort hergestellt oder verarbeitet werden und wie giftig diese sind“, so Andreas Hermann, „Wissenslücken bestehen zudem mit Blick darauf, wie Nanomaterialien dort in die Umwelt gelangen können und welche Mengen bereits freigesetzt wurden.“ Solche Informationen müssten in einem Nanoanlagenkataster verzeichnet werden, darüber hinaus schlägt die Analyse eine bundesweite rechtliche Regelung sowie einen dreistufigen Ansatz vor, der Berichtspflichten zunächst für Hersteller, dann für Weiterverarbeiter und schließlich die Nutzer der Nanomaterialien vorsieht. „Eine rechtliche Regelung ist auf verschiedenen Ebenen dringend notwendig für den Schutz der Menschen und der Umwelt vor negativen Auswirkungen“, betont der Wissenschaftler vom Öko-Institut. Denn eine der wichtigsten Assoziationen bei Nanomaterialien sollte sein: transparent und geregelt.