„Wir wollen Nachhaltige Chemie als leitendes Konzept platzieren“
Christiane Weihe
Im Jahr 2002 einigten sich die Teilnehmer des Weltgipfels für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg darauf, bis 2020 die Produktion und Nutzung von Chemikalien in ihrem gesamten Lebenszyklus so zu gestalten, dass schädliche Auswirkungen auf Mensch und Umwelt minimiert werden. Kann dies gelingen? Dr.-Ing. Hans-Christian Stolzenberg ist Experte für internationale Chemikalienpolitik und -regulierung. Im Gespräch mit eco@work beschreibt der Leiter des Fachgebiets Internationales Chemikalienmanagement am Umweltbundesamt (UBA) die Vor- und Nachteile internationaler Konventionen, erklärt, was er sich von zukünftigen Vereinbarungen verspricht und welche Potenziale Nachhaltige Chemie entwickeln kann.
Herr Dr. Stolzenberg, bräuchte es beim Thema Chemie nicht auch eine internationale Rahmenkonvention mit klaren Zielen und Verpflichtungen, ähnlich wie beim Klimaschutz?
Ich halte eine internationale Chemikalienrahmenkonvention für unrealistisch, aus verschiedenen Gründen. Viele Schwellenländer würden sich dem entziehen und auf die Notwendigkeit einer freien Entfaltung verweisen. Auch die Industrie wäre dagegen und argumentiert, dass viele Länder noch nicht einmal grundlegende Anforderungen beim Chemikalienmanagement erfüllen. So haben zahlreiche Staaten noch nicht das so genannte Globally Harmonised System, kurz GHS, eingeführt, mit dem Chemikalien weltweit einheitlich eingestuft und gekennzeichnet werden sollen. Zusätzlich gibt es eine gewisse Konventionsmüdigkeit, was die insgesamt sehr komplexe Thematik betrifft. Und nicht zuletzt gibt es ja auch bereits einige internationale Vereinbarungen wie das Stockholmer Übereinkommen über persistente organische Schadstoffe, das Basler Übereinkommen zu gefährlichen Abfällen, die Rotterdam-Konvention zum internationalen Handel mit gefährlichen Chemikalien oder ganz neu die jahrelang ausgehandelte Minamata-Konvention zu Quecksilber.
Wie wirksam sind diese Vereinbarungen?
Diese Konventionen sind völkerrechtlich verbindlich und damit ein wichtiger Baustein der internationalen Chemikalienpolitik. Gleichzeitig sind sie aber oft auch nur der kleinste gemeinsame Nenner. Schwierig ist zudem, dass sie noch keine Compliance-Mechanismen enthalten, es also keine Sanktionen gibt, wenn sich ein Staat nicht daran hält. Deswegen braucht es auch weitere Maßnahmen.
Zum Beispiel?
Ein zentrales Instrument ist der Strategische Ansatz zum internationalen Chemikalienmanagement SAICM, der 2006 unter dem Dach des UN-Umweltprogramms verabschiedet wurde. SAICM ist eine übergreifende Strategie, die den gesamten Lebenszyklus von Chemikalien betrachtet, Ziele und Maßnahmen enthält. Der Ansatz beruht auf Freiwilligkeit, ist meiner Ansicht nach aber vor allem deswegen so wertvoll, da er viele unterschiedliche Sektoren und Stakeholder einbezieht. Derzeit läuft der Prozess für eine Folgeplattform nach 2020, an dem mein Team und ich als nationale SAICM Kontaktstelle in enger Zusammenarbeit mit dem Bundesumweltministerium beteiligt sind.
Was erwarten Sie sich davon?
Wir müssen uns anschauen, was gut war und das noch besser machen. Global gesehen muss Chemikalienmanagement ambitionierter werden, mehr konkrete Aktionspläne und verbindliche Ziele entwickeln. Es ist auch wichtig zu priorisieren, sich wissenschaftsbasiert anzuschauen, wo der Handlungsdruck besonders groß ist. Wir beim Umweltbundesamt versuchen außerdem, Nachhaltige Chemie als leitendes Konzept im Umgang mit Chemikalien zu platzieren.
Welchen Beitrag kann Nachhaltige Chemie leisten?
Sie verbindet wirtschaftliche Innovationen mit einem vorsorgenden Umwelt- und Gesundheitsschutz, wägt alle Nachhaltigkeitsebenen ab, um den besten Weg zu finden und Chemikalien so nachhaltig wie möglich einzusetzen. Nachhaltige Chemie wird ganzheitlich gedacht und bedeutet kontinuierliche Verbesserungsprozesse. Ihre Weiterentwicklung und breite Umsetzung soll übrigens auch das vom Bundesumweltministerium und dem Umweltbundesamt initiierte International Sustainable Chemistry Collaborative Centre ISC3 unterstützen, indem es zum Beispiel Geschäftsmodelle analysiert und verbreitet, die auf Grundlage von Nachhaltiger Chemie einen wirtschaftlichen Erfolg versprechen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Christiane Weihe.