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Im Fokus

Die gefährdete Natter

Schutz und Wiederherstellung von Biodiversität

Christiane Weihe

Die Bayerische Kleinwühlmaus gibt es nicht mehr. Die Purpur-Grasnelke ist vom Aussterben bedroht. Und die Ringelnatter ist gefährdet. Die faszinierende Vielfalt unseres Planeten, die Biodiversität, wird immer kleiner. Laut der Vereinten Nationen sind weltweit eine Million Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht. Die Ursachen sind überwiegend auf die menschliche, degradierende Landnutzung und Umweltverschmutzung zurückzuführen. Mit der „UN Decade on Ecosystem Restoration“ von 2021 bis 2030 könnte nun neue Bewegung in den Schutz und die nachhaltige Nutzung von Ökosystemen und somit auch den Schutz der Biodiversität kommen. Auch die EU beschäftigt sich im Rahmen der Biodiversitätsstrategie mit so genannten Restoration Targets, die dazu beitragen sollen, Biodiversität zu schützen und wiederherzustellen. Sie stehen ebenso im Fokus der Arbeit des Öko-Instituts.

Eigentlich ist die biologische Vielfalt alleine aufgrund ihrer Schönheit und ihres Reichtums schützenswert. Doch wir brauchen sie auch für unser eigenes Überleben. „Wir nutzen Tiere und Pflanzen für unsere Ernährung und setzen biologische Rohstoffe in unseren Produkten ein – so etwa Holz in unseren Häusern oder Pflanzenöle in Kosmetika“, sagt Judith Reise vom Öko-Institut, „gleichzeitig sind wir auf so genannte Ökosystemdienstleistungen angewiesen.“ Damit meint sie die Speicherung von CO2 in Wäldern, die Bestäubung von Pflanzen durch Insekten oder auch die Bodenfruchtbarkeit, die unsere Ernährung sicherstellt.

Dennoch zerstört die Menschheit Ökosysteme. So sind mehr als 50 Prozent des Verlusts an Artenvielfalt laut dem Weltbiodiversitätsrat (IPBES) auf die Übernutzung von Ressourcen sowie veränderte Land- und Meeresnutzungen zurückzuführen. Auch der Klimawandel, Umweltverschmutzung und invasive Arten tragen dazu bei. „Darüber hinaus werden die Schutzmechanismen für Pflanzen und Tiere, die es schon gibt, nicht in ausreichendem Maße umgesetzt“, sagt die Wissenschaftlerin, „es fehlt hierzulande zum Beispiel in hohem Maße an Personal, das etwa die Bestimmungen aus den Bundes- und Landesnatur- sowie den Bundes- und Landestierschutzgesetzen durchsetzen könnte.“

Die Wiederherstellung von Biodiversität

Die EU-Biodiversitätsstrategie sieht vor, dass mindestens 30 Prozent der Land- und Meeresgebiete in der EU bis 2030 in nachhaltig bewirtschaftete Schutzgebiete umgewandelt werden. Besonders streng geschützt werden sollen zehn Prozent von ihnen – so etwa alle noch vorhandenen Primärwälder. „Besonders stark geschädigte Lebensräume oder solche, die in einem schlechten Zustand sind, sollen zudem wiederhergestellt werden.“ Diese „Restoration“ kann etwa in der Wiedervernässung von Mooren bestehen, die gegenwärtig für die Landwirtschaft genutzt werden, oder im Pflanzen von Bäumen – drei Milliarden von ihnen sieht die neue EU-Biodiversitätsstrategie vor. Bis Ende 2021 will die EU-Kommission so genannte Restoration Targets, also Ziele zur Wiederherstellung natürlicher Lebensräume vorlegen. „Bei der Formulierung der Restoration Targets besteht die große Herausforderung darin, alle EU-Staaten in die Verantwortung zu nehmen, sie aber auch in die Lage zu versetzen, dass sie den Schutz und die Wiederherstellung der Ökosysteme und ihrer Biodiversität erreichen können“, so Judith Reise. „Dafür müssen klare und quantitative Ziele von den Staaten formuliert und ein entsprechendes Monitoring etabliert werden, außerdem muss die Finanzierung sichergestellt werden.“

Die Wiederherstellung von Ökosystemen dient aber nicht nur der biologischen Vielfalt, sondern ebenso dem Klimaschutz. „Bei Brandrodungen von tropischen Regenwäldern werden zum Beispiel nicht nur natürliche Lebensräume und die artenreichsten Ökosysteme unseres Planeten vernichtet, dies verursacht auch große Mengen an Treib­hausgasen und zerstört wichtige globale Kohlenstoffsenken, die viel CO2 aufnehmen“, erklärt die Wissenschaftlerin. Die dringende Notwendigkeit, solche Ökosysteme zu schützen, verdeutlicht sie außerdem anhand einer besorgniserregenden Einschätzung: „Manche Expertinnen und Experten befürchten, dass wegen der Abholzung, der Klimaerwärmung und der vielen Brände am Amazonas bald ein Kipppunkt erreicht sein könnte, nach dem sich Teile dieses wertvollen Ökosystems nicht mehr regenerieren könnten.“

Im Projekt „Exploratory Analysis of an EU Sink and Restoration Target“ für Greenpeace Deutschland hat das Öko-Institut analysiert, wie die Kohlenstoffbindung natürlicher Senken wie Wälder oder Moore im Landnutzungssektor – Land Use, Land Use Change and Forestry (LULUCF) – gestärkt werden kann. Denn gerade der Wald ist in Folge von Stürmen und Trockenheit bedroht, Bäume sterben ab, biologische Störungen breiten sich leichter aus – so etwa der Borkenkäfer. „Auch hier haben wir Klimaschutz und Biodiversität zusammen gedacht“, sagt Judith Reise, „werden Moore renaturiert und alte Wälder geschützt, macht sie das etwa widerstandsfähiger gegen Klimaphänomene wie Stürme und sie können mehr Kohlenstoff aufnehmen und speichern.“ Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler definierten ein realistisches Ziel für die potenzielle CO2-Speicherung durch natürliche Senken. 2018 lag die Netto-Senke des LULUCF-Sektors in der EU bei 280 Megatonnen CO2, sie liegt damit etwa auf dem Niveau von 1990. „Bis 2030 könnten natürliche Senken in der EU jedes Jahr 400 bis 600 Millionen Tonnen Treibhausgase speichern“, so die Wissenschaftlerin, „hierfür sollte es aber verbindliche und durchsetzbare Ziele für ihren Aufbau und Schutz geben.“ Wichtige Maßnahmen seien etwa eine nachhaltige Waldwirtschaft und der Schutz von alten Wäldern. „Notwendig sind zudem klare Regeln für die Bilanzierung und Berichterstattung sowie ökologische und soziale Nachhaltigkeitskriterien, etwa auch für Biomasse.“

Auch im vom Bundesumweltministerium geförderten Working Paper „Options for Strengthening Natural Carbon Sinks and Reducing Land Use Emissions in the EU“ haben sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gemeinsam mit dem Ecologic Institute damit beschäftigt, wie sich natürliche Senken in der EU wie Wälder, Moorböden beziehungsweise organische Böden, Küstenökosysteme wie Seegraswiesen sowie Grünland stabilisieren und erhalten lassen. „Wir haben unterschiedliche Möglichkeiten bewertet und dabei auch analysiert, welches Potenzial sie haben, um die Treibhausgasemissionen zu senken“, so die Expertin, „dabei zeigte sich, dass hier vor allem der Wald wichtig ist, sein Schutz, seine Aufforstung und seine Erweiterung sind unverzichtbar. Die Wiedervernässung von Moorböden spielt zudem eine wichtige Rolle bei der Minderung der Emissionen aus der Landwirtschaft.“

Die wichtigste natürliche Senke

Mit dem LULUCF-Sektor und seiner Bedeutung für den Klimaschutz in Deutschland hat sich das Öko-Institut im Kurzgutachten „Natürliche Senken. Die Potenziale natürlicher Ökosysteme zur Vermeidung von Treibhausgasemissionen und Speicherung von Kohlenstoff“ für die Deutsche Energie-Agentur (dena) befasst. „Derzeit ist der Wald hierzulande die wichtigste natürliche Senke“, sagt Judith Reise, „er speichert 60 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente jährlich – ein Wert, der aber voraussichtlich stark zurückgehen wird.“ Für das deutsche Ziel der Klimaneutralität bis 2045 braucht es die Stärkung der natürlichen Kohlenstoffsenken.

Auch die Emissionen aus der Landwirtschaft müssen stark reduziert werden. „Heute liegen die Emissionen aus der Nutzung von Acker- und Grünland bei über 40 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten, diese müssen mehr als halbiert werden.“ Wirkungsvolle Maßnahmen hierfür sind laut dem Gutachten die Wiedervernässung von Moorböden und das Ende des Torfabbaus. „Alleine durch die Wiedervernässung von 20 Prozent der für die Landwirtschaft trockengelegten Moore wäre bis 2030 im Vergleich zu 2020 eine Einsparung von bis zu 27 Tonnen CO2-Äquivalenten pro Hektar möglich“, so die Wissenschaftlerin, „diese könnten dann zum Beispiel für Paludikulturen genutzt werden.“ (Siehe hierzu Porträt von Judith Reise auf Seite 13.) Auch eine extensive Nutzung von Wäldern, die sich vor allem durch geringere Eingriffe in Laubwäldern auszeichnet, oder auch Aufforstungen können effektiv zur Kohlenstoffbindung beitragen. „Und das nutzt natürlich ebenso der Biodiversität.“

Ein stetiger Wandel

Artensterben ist aber auch nicht immer menschengemacht, sondern gleichfalls eine natürliche Entwicklung. „Ökosysteme unterliegen einem stetigen Prozess des Wandels, der auch immer eine Veränderung der Diversität mit sich bringt, das ist Teil des Lebens“, sagt Judith Reise, „aber wir dürfen nicht mehr akzeptieren, dass die Eingriffe des Menschen weiterhin so massiv sind und wir die Umwelt auf eine Weise verändern, die natürliche Prozesse nicht mehr zulässt.“ Das heißt: mehr Schutz von Biodiversität. So dass der tropische Regenwald, die europäischen Buchenwälder oder auch die Ringelnatter in ihrem Vorkommen gestärkt werden und sich noch über viele Jahrhunderte hinweg weiter natürlich entwickeln können.

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Judith Reise hat einen Master of Science Global Change Ecology, seit 2019 ist sie im Bereich Energie und Klimaschutz des Öko-Instituts tätig. Dort beschäftigt sich die Wissenschaftlerin unter anderem mit dem Schutz und der Wiederherstellung von kohlenstoffreichen Ökosystemen sowie den Synergien zwischen Biodiversitäts- und Klimaschutz.