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Im Fokus

Vermeiden, verlagern, verbessern

Alternativen zum Fliegen und die Kompensation von Emissionen

Christiane Weihe

22 Stunden mit dem Zug statt knapp drei Stunden mit dem Flugzeug? Für die meisten Menschen scheint es ausgeschlossen, sich für eine Reise von Berlin nach Barcelona auf die Schiene statt in die Luft zu begeben. Doch alleine in dieser innereuropäischen Reise stecken mehr Alternativen als sie auf den ersten Blick vielleicht sichtbar sind. Einschließlich der Frage, ob es nicht ebenso schön wäre, ins deutlich näher gelegene Bamberg zu reisen. Angesichts der immensen Klimaschädlichkeit des Fliegens müssen wir unser Reiseverhalten überdenken sowie guten Alternativen eine echte Chance geben.

Wer in Deutschland mit dem Flugzeug unterwegs ist, verursacht pro Kilometer mehr Schaden für das Klima als mit jedem anderen Verkehrsmittel: etwa in gleichem Maße wie 230 Gramm CO2-Äquivalente (CO2e). Beim Auto sind es laut Umweltbundesamt (UBA) noch etwa 147 g CO2e, im Zug-Fernverkehr nur etwa 32 g CO2e. „Aus diesem Grund sollten wir alle Flüge vermeiden, die nicht unbedingt notwendig sind oder für die es sinnvolle Alternativen gibt“, sagt Anne Siemons, Senior Researcher am Öko-Institut, „für innerdeutsche Strecken ist es beispielsweise nicht allzu kompliziert, auf den Zug umzusteigen. Oft ist man zudem mit dem Flugzeug nicht schneller, kann aber im Zug die Reisezeit deutlich effektiver nutzen.“

Im Spendenprojekt „Über den Wolken oder am Boden bleiben?“ hat sich das Öko-Institut ausführlich mit Alternativen zu Flugreisen beschäftigt. „Hierfür haben wir etwa mit Menschen gesprochen, die weniger fliegen oder sogar ganz darauf verzichten, und uns Unternehmen angeschaut, die ihrer Belegschaft Anreize geben, sich anders fortzubewegen“, erklärt die Wissenschaftlerin. „Darüber hinaus haben wir uns Protestbewegungen gegen den wachsenden Luftverkehr und den Ausbau von Flughäfen gewidmet, denn sie sind wichtig, um neue Diskurse zu prägen.“ Der Einbruch des Luftverkehrs durch die COVID-19-Pandemie ist für Anne Siemons eine Gelegenheit, bestehende Reisemuster zu überprüfen und in Frage zu stellen. „Auch wenn zu erwarten ist, dass sich der Tourismus in einigen Jahren wieder seiner vorherigen Entwicklung angleicht, liegt hier doch eine Chance, Alternativen zu entdecken und sie auch nach der Pandemie beizubehalten.“

AUF DIE SCHIENE

Wie kann es gelingen, Alternativen zu fördern oder sogar langfristig zu verfestigen? Mit Blick auf Dienstreisen, die einen Anteil von 65 Prozent an deutschen Inlandsflügen haben, gehen hier einige Unternehmen neue Wege. „Manche gewähren zusätzliche Urlaubstage für klimafreundliche Bahnreisen, andere verbieten sogar Kurzstreckenflüge“, so die Wissenschaftlerin, „viele ersetzen Meetings derzeit durch Videokonferenzen und sparen damit eine hohe Emissionsmenge ein.“ Auf die Frage, was jeder Mensch persönlich für eine nachhaltigere Mobilität tun kann, hat das Spendenprojekt ebenso zahlreiche Antworten parat. Zunächst: Umdenken. Und zwar vor allem wohlhabendere Menschen aus reichen Ländern, die hauptsächlich für die Emissionen aus dem Luftverkehr verantwortlich sind – jährlich fliegen nach Schätzungen nur drei Prozent aller Menschen. Zweitens können wir unser Verständnis von Urlaub neu definieren. Dies beginne damit, sich Urlaubsziele auszusuchen, die mit anderen Verkehrsmitteln erreichbar seien, und bei Reiseveranstaltern für nachhaltigen Tourismus zu buchen. Eine klimafreundliche Alternative für internationale Reisen wären zudem Nachtzüge. „Einige europäische Länder haben 2020 neue Verbindungen beschlossen oder schon eingerichtet“, sagt Anne Siemons, „so will zum Beispiel die schwedische Regierung neue Routen von Stockholm und Malmö nach Hamburg und Brüssel finanzieren.“ 10 bis 20 Prozent der Flüge könnten durch einen Ausbau der europäischen Nachtzüge ersetzt werden, schätzt das Öko-Institut. „Leider hat die Deutsche Bahn ihre grenzüberschreitenden Nachtzugverbindungen 2016 komplett eingestellt“, so die Wissenschaftlerin, „diese sind ohne staatliche Förderung kaum wirtschaftlich, denn pro Kilometer müssen Trassenpreise von neun bis 22 Euro bezahlt werden.“ Im Wettbewerb mit dem hoch subventionierten Luftverkehr hat die Schiene so kaum eine Chance zu bestehen.

Auch für den Güterverkehr gibt es Optionen für einen steigenden Transport auf der Schiene. Rund 2,4 Millionen Tonnen Fracht und Post wurden 2019 von deutschen Verkehrsflughäfen ins Ausland transportiert, von dort kamen rund 2,2 Millionen Tonnen an. „Das ist zwar im Vergleich zu den insgesamt transportierten Gütern ein relativ geringer Anteil und etwa die Hälfte wird im Bauch von Passagiermaschinen transportiert“, sagt Siemons, „doch da diese im Zuge der COVID-19-Pandemie größtenteils am Boden blieben, sind die Kosten stark gestiegen. Und es gibt Möglichkeiten, die Luftfracht zu verringern.“ Die naheliegendste Lösung ist für die Wissenschaftlerin, die Wirtschaft wieder stärker auf eine regionale Produktion auszurichten und zum Beispiel regionale Zulieferer zu bevorzugen. „Aber es gibt auch weitere Wege wie etwa die Optimierung von Verpackungen, durch die Gewicht und Volumen der Sendungen reduziert werden können.“

Auch die Kompensation von Flugreisen, bei der der Ausstoß von Treibhausgasen etwa durch Klimaschutzprojekte ausgeglichen wird, stand im Fokus des Spendenprojekts. „Sie steht für uns jedoch erst am Ende möglicher Klimaschutzmaßnahmen im Luftverkehr“, sagt Anne Siemons, „zunächst muss es darum gehen, Flüge zu vermeiden, notwendige Reisen auf andere Verkehrsmittel zu verlagern und – wenn das nicht möglich ist – die Effizienz des Luftverkehrs zu verbessern.“ Kompensation ist zudem keine langfristige Lösung, da es zur Erreichung der Pariser Klimaziele notwendig sein wird, die Verbrennung fossiler Kraftstoffe komplett einzustellen und zusätzlich CO2 aus der Atmosphäre wieder zu entnehmen. Die Kompensation könnte außerdem dazu führen, dass Alternativen nicht in Betracht gezogen werden, so Siemons. „Viele Menschen denken ja: Wenn ich kompensiere, kann ich so weiterfliegen wie bisher.“ Bei einigen Kompensationsprojekten sei außerdem die Klimawirkung nicht immer gegeben. „So besteht etwa bei Projekten, die mit Aufforstung oder Verhinderung von Entwaldung arbeiten, immer die Gefahr, dass die Wälder früher oder später doch abgeholzt werden.“ Derzeit arbeitet das Öko-Institut zusammen mit dem WWF und dem Environmental Defense Fund in den USA an einem Leitfaden, der Hinweise gibt, wie Verbraucherinnen und Verbraucher bestmöglich kompensieren können, wenn sich dies nicht vermeiden lässt. „Es sollten zum Beispiel nicht nur die CO2-Emissionen, sondern auch andere Klimawirkungen des Fliegens berücksichtigt werden. Bei Waldprojekten ist es zudem sehr wichtig, darauf zu achten, für welchen Zeitraum die Emissionsminderung garantiert wird und ob der Anbieter dies auch regelmäßig überprüft.“

Bemerkenswert findet die Wissenschaftlerin zudem den Ansatz, in Zukunft nicht mehr von Klimaneutralität, sondern von wirklicher Klimaverantwortung zu sprechen. „Diese würde bedeuten, nicht den Preis zu zahlen, den der Markt für Kompensationszertifikate fordert, sondern den eigentlich erforderlichen Preis, um die Erderhitzung auf ein verträgliches Maß zu begrenzen, oder den Preis der tatsächlich durch die Emissionen entstehenden Kosten – das Umweltbundesamt geht hier von 180 Euro pro Tonne CO2 aus.“

Bei einem Hin- und Rückflug von Berlin nach Barcelona würde dies – berechnet auf Grundlage von Werten von co2online – den Ticketpreis pro Person um etwa 120 Euro erhöhen. Wenn zudem die Steuerbefreiung für Flüge aufgehoben werden würde, kämen noch Kerosinsteuer und Mehrwertsteuer hinzu. Hierdurch würde eine Reise mit der Bahn zur Sagrada Familia und der katalanischen Küche deutlich attraktiver. Vielleicht muss es dann auch kein schneller Trip sein – sondern eine beschauliche Reise, auf deren Weg weitere schöne Ziele wie Brüssel oder Avignon liegen können.

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Die internationale und die EU-Klimapolitik stehen im Mittelpunkt der Arbeit von Anne Siemons. Sie hat einen Master of Arts Internationale Beziehungen und befasst sich am Öko-Institut als Senior Researcher unter anderem mit Anrechnungsregeln für die Erreichung von Klimaschutzzielen und mit der Transparenz in der Klimafinanzierung.