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Perspektive

Viele offene Fragen

Wie funktioniert ein ambitionierter EU-Klimaschutz?

Die europäische Kommission hat Pläne vorgelegt, die europäischen Klimaschutzziele ambitionierter zu gestalten als bislang vorgesehen: Statt um 40 Prozent sollen die Emissionen der EU bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 sinken. Das Europaparlament forderte jüngst sogar, dieses Ziel auf mindestens 60 Prozent zu erhöhen. Das sind begrüßenswerte Entwicklungen. Für das höhere Ziel muss die gesamte EU-Klimagesetzgebung überarbeitet werden: der Emissionshandel, die Ziele für erneuerbare Energien und Energieeffizienz, die CO2-Standards für Fahrzeuge oder die Agrarpolitik. Bei der Ausgestaltung ist noch vieles offen.

Ein Ansatzpunkt der Kommission ist es, zwei Sorgenkinder der Energiewende – den Verkehr und den Gebäudesektor – in den EU-Emissionshandel (EU-ETS) zu integrieren. Eine Idee, die mit vielen Herausforderungen verbunden ist. In der EU ist zum Beispiel der Straßenverkehrssektor sehr unterschiedlich reguliert, manche Mitgliedstaaten haben starke Bonus-Malus-Systeme bei der Kfz-Besteuerung, die den Kauf von Elektroautos günstiger machen und Verbrenner deutlich verteuern. In Schweden gibt es eine Steuer von 120 Euro pro Tonne CO2 für Benzin und Diesel. Andere Mitgliedstaaten sind hingegen kaum tätig geworden. Bei dieser Vielfalt ist es schwer vorstellbar, dass sich die europäischen Staaten auf einen einheitlichen Emissionsdeckel für den Straßenverkehr einigen, der die Emissionen radikal begrenzt und zu einem hohen CO2-Preis in allen Mitgliedstaaten führt. Auch für den Gebäudesektor wäre es eine immense Herausforderung, eine passende Emissionsobergrenze festzulegen, da die Emissionen für das Heizen und Kühlen in hohem Maße vom (unvorhersagbaren) Wetter abhängig und insbesondere für Mietende nur begrenzt zu reduzieren sind.

Die CO2-Vermeidungskosten sind in der Energiewirtschaft zudem deutlich niedriger als im Verkehrs- und Gebäudebereich, es müssten eher getrennte Emissionshandelssysteme geschaffen werden, die eventuell auch parallel zur EU-Klimaschutzverordnung in Kraft treten könnten. Denn bislang ist diese eine wichtige Säule des europäischen Klimaschutzes. Sie sieht jährliche Emissionsbudgets sowie nationale Minderungsziele für Sektoren vor, die nicht vom Emissionshandel erfasst sind – so Verkehr und Gebäude, aber auch Abfall und Landwirtschaft. Wenn sie ihre Emissionsziele nicht einhalten, müssen die Mitgliedsstaaten so genannte Annual Emission Allowances zukaufen, was künftig teuer werden kann, wenn die Emissionen EU-weit nicht reduziert werden. Dieses Instrument ist besonders wegen seines klaren Zielpfades, der stetigen Kontrolle und einem starken Sanktionsmechanismus wichtig. Bei der Ausgestaltung der detaillierten EU-Gesetzgebung muss unbedingt auf die Verbindlichkeit und Zwischenziele für die Erfüllungskontrolle geachtet werden, die möglichst früh beginnen muss.

Neu am Klimaziel der EU für 2030 ist, dass der Landnutzungssektor und damit die Treibhausgassenken Wälder und Böden in das Ziel eingerechnet werden. Die Einbeziehung der Senken leitet sich daraus ab, dass diese beim Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2050 die noch verbleibenden Emissionen ausgleichen sollen. Diese Art der Ausgleichsrechnung soll dann auch schon für 2030 angewandt werden. Die Kohlenstoffsenken in Wäldern nehmen derzeit durch Holznutzung und den Klimawandel stark ab. Die europäischen Wälder speicherten im Jahr 2018 fast 40 Millionen Tonnen CO2 weniger als in der Periode von 1990 bis 2010. Dieser Entwicklung soll mit der Einbeziehung des Forstsektors ebenfalls entgegengesteuert werden.

Für die Umsetzung der Ziele sowie die europäischen Maßnahmen und Instrumente werden in den kommenden Monaten entscheidende Weichen gestellt. Viele Fragen sind dabei noch offen. Deshalb arbeiten wir in vielen unterschiedlichen Projekten an den möglichen Ausgestaltungen höherer Klimaziele – so hat das Öko-Institut zum Beispiel für Agora Energiewende analysiert, wie die EU ambitioniertere Klimaschutzziele erreichen kann, sowie ausführlich Umsetzungsfragen in Bezug auf den EU-ETS behandelt. Daher wissen wir auch: Wir brauchen einen Mix von effektiven und vor allem schnell wirkenden Instrumenten. Das Öko-Institut wird an zahlreichen Stellen Ideen und Expertise zur weiteren Ausgestaltung der EU-Klimaschutzgesetzgebung in die Diskussion einbringen.

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Im Mittelpunkt der Arbeit von Sabine Gores steht die nationale, europäische und internationale Klimaschutzpolitik. Darüber hinaus befasst sich die Diplom-Ingenieurin Energie- und Verfahrenstechnik unter anderem mit Treibhausgasprojektionen. Anke Herold ist Geschäftsführerin des Öko-Instituts. Zuvor war sie viele Jahre als Forschungskoordinatorin für internationale Klimapolitik tätig und Verhandlungsführerin der EU bei den internationalen Klimaverhandlungen.