Für große Herausforderungen
Transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung, kurz TransNaF. Klingt sperrig, oder? Was sie beinhaltet, ist allerdings wirkungsvoll und vielfältig. Ich verstehe TransNaF als einen kollaborativen Forschungsmodus, der unterschiedliche Akteur*innen zusammenbringt, um gemeinsam möglichst breites Wissen für eine nachhaltigere Zukunft zu erarbeiten und praktisch umzusetzen. Die Akteur*innen können aus Politik und Verwaltung, der Wirtschaft, der Wissenschaft oder der Zivilgesellschaft stammen. Diese Art der Forschung geht weit über einen einfachen Beteiligungsprozess hinaus. Sie ist kollaborativ von Anfang an, von der Problemdefinition über die Entwicklung gemeinsamer Lösungswege bis hin zur Erprobung.
TransNaF trägt oftmals zu wirkungsvolleren Ergebnissen bei. Hier sind auch „weiche“ Faktoren bedeutsam, wie etwa die Vernetzung und das Verständnis zwischen unterschiedlichen Akteur*innen. Ohne die transdisziplinäre Forschung werden wir die großen Herausforderungen unserer Zeit wie den Klimawandel oder soziale Ungleichheiten nicht bewältigen können. So verdeutlichen die Energiewende oder auch die Suche nach einem Endlagerstandort die Verknüpfung zwischen technologischen Entwicklungen und sozioökonomischen Anforderungen, die es zusammenzubringen gilt. Es braucht eine breite Mitwirkung, um technische Lösungen vor Ort regional angepasst umzusetzen. Wie können verschiedene Interessen und Bedürfnisse fair ausgeglichen werden? Hier setzt die transdisziplinäre Forschung an und bringt früh verschiedene Akteur*innen zusammen, um Lösungen für ein gesellschaftliches Problem zu entwickeln und zu erproben.
Die transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung konnte sich seit ihren Anfängen in den 1990er Jahren weiter etablieren, und ist heute ein wichtiger Teil der Forschungslandschaft. Die zunehmende Bekanntheit und Beliebtheit unterstützt die Verbreitung transdisziplinärer Forschungsansätze. Gleichzeitig ist es wichtig, Qualitätsstandards einzufordern und einen Diskursraum für deren Weiterentwicklung zu schaffen. Transdisziplinäre Forschung wirkt auch in den Wissenschaftsbetrieb hinein und kollidiert teilweise mit dem klassischen Wissenschaftsverständnis und dessen Strukturen. Wir versuchen zum Beispiel mit der tdAcademy, die das Öko-Institut gemeinsam mit anderen Forschungsinstitutionen ins Leben gerufen hat, diese Weiterentwicklung der transdisziplinären Forschung zu unterstützen und zu bündeln. Gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie der Robert Bosch Stiftung leistet die tdAcademy einen Forschungsbeitrag zu zentralen Themen und bietet für Wissenschaftler*innen und Praxisakteur*innen Möglichkeiten, sich weiterzubilden, auszutauschen und zu vernetzen. Am Öko-Institut widmen wir uns in diesem Rahmen derzeit fünf neuen und innovativen Formaten wie etwa Reallaboren oder künstlerischen Ansätzen. Ziel ist es, deren Zielstellung, Methodenkombination, Anwendungsfelder und Beteiligungskonzept so zu systematisieren, dass die Auswahl oder Anpassung innovativer Formate und Methoden erleichtert und passgenau erfolgen kann.
Es gibt viele unterschiedliche Ansätze, wie die transdisziplinäre Forschung umgesetzt wird. Ich persönlich habe hier ein sehr diskursives und gestalterisches Verständnis, das über das Beforschen sozialer Parameter und Interaktionen oder das punktuelle Einbinden von Praxisakteur*innen hinausgeht. Im Frühjahr 2022 habe ich am Öko-Institut die Forschungskoordination für dieses Thema übernommen. Das ist eine spannende Aufgabe, sie bietet die Chance, den Ansatz der transdisziplinären Forschung im Institut selbst und in der Forschungs-Community weiterzuentwickeln. Hierbei wird sich sicher auch mein Verständnis, was TransNaF zu leisten vermag, weiterentwickeln. In den kommenden Jahren wird es für mich zentral sein, die weitere Vernetzung zu fördern, bestehende Qualitätsstandards weiterzuentwickeln, Kompetenzen zu bündeln und Kooperationen anzustoßen. Aber auch: Experimentierräume zu schaffen, in denen Methoden und Innovationen erprobt werden können. Dabei soll der Fokus nicht auf einzelnen Bereichen wie der Energiewende liegen, denn die transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung hat ein gewaltiges Potenzial für vielfältige Themenfelder. Und damit für einen wirkungsvollen Weg in eine nachhaltigere Zukunft.
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Die Geografin Dr. Melanie Mbah ist seit 2018 im Bereich Nukleartechnik & Anlagensicherheit des Öko-Instituts tätig. Hier widmet sie sich insbesondere der transdisziplinären und partizipativen Forschung in den Themenfeldern Energiewende und Entsorgung radioaktiver Abfälle. Im Frühjahr 2022 hat sie zudem die Forschungskoordination für Transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung übernommen.