Der Wald
Christiane Weihe
Der Wald ist ein bemerkenswerter Ort. Hier stehen hunderte Jahre alte Bäume und leben unzählige Tiere. Käfer und Salamander zusammen mit Kröten und Nachtigallen, Füchsen, Rehen und Wildschweinen. Es duftet nach Harz, nach Kräutern und Pilzen. Wir verbringen unsere Freizeit und erholen uns im Wald. Allein aus diesen Gründen ist der Wald ein schützenswerter Ort. Zusätzlich aber haben Wälder einen unschätzbaren Wert für den Klimaschutz: Sie wandeln CO2 in Sauerstoff um und binden Kohlenstoff. Zudem produzieren sie Holz, einen wichtigen nachwachsenden Rohstoff. Doch die Bewirtschaftung der Wälder steht oftmals im Konflikt mit einem anspruchsvollen Natur- und Klimaschutz. Damit befassen sich auch die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen des Öko-Instituts.
In Deutschland gibt es insgesamt 11,4 Millionen Hektar Wald, das ist ein Drittel der Fläche der Bundesrepublik. Die eine Hälfte dieser Wälder ist in Privatbesitz, die andere Hälfte befindet sich in der öffentlichen Hand. „Der Zustand unserer heimischen Wälder hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren aus ökologischer Sicht leicht verbessert“, sagt Dr. Hannes Böttcher vom Öko-Institut, „es gibt aber noch klare Defizite, was die Naturnähe und den Erhalt von Biodiversität betrifft.“ Die in vielen Regionen durch eine intensive Bewirtschaftung entstandenen einförmigen Nadelbaumforste seien dabei besonders problematisch: „Das ist nicht besonders naturnah. Die Trockenheit im Sommer 2018 hat zudem gerade diesen Wäldern spürbar zu schaffen gemacht.“
Etwa 60 Prozent des Waldes in der Bundesrepublik besteht aus Nadelbäumen, vor allem Fichten und Kiefern, etwa 40 Prozent aus Laubbäumen, meist Buchen und Eichen. Durch ihr Wachstum entziehen Bäume der Atmosphäre CO2, speichern es in Form von Kohlenstoff im Holz und spielen deshalb eine wichtige Rolle für das Klima. So speichert eine 35 Meter hohe Buche mit einem Durchmesser von 50 Zentimetern innerhalb von 120 Jahren insgesamt 3,5 Tonnen CO2, bei einer 100-jährigen Fichte gleicher Größe sind es immerhin noch 2,6 Tonnen
Werden Bäume geerntet, verlässt der Kohlenstoff als Holz den Wald, wird in Holzprodukten zwischengelagert und durch Verbrennen des Holzes wieder freigesetzt. Die Kohlenstoffbilanz des Waldes hängt davon ab, was überwiegt: das Wachstum oder die Ernte. Die Wälder in Deutschland sind zur Zeit eine so genannte Kohlenstoffsenke, das heißt, sie nehmen mehr Kohlenstoff auf, als durch Ernte herausgenommen wird. Laut der im Jahr 2012 zuletzt durchgeführten Bundeswaldinventur, die nach dem Bundeswaldgesetz alle zehn Jahre stattfindet, sind hierzulande bereits gut eine Milliarde Tonnen Kohlenstoff in Bäumen sowie Totholz gebunden. „Eine wichtige Frage für die Wissenschaft ist, wie viel CO2 unsere Wälder in Zukunft noch speichern können, wie viel Holz wir dafür ernten sollten und welche anderen Auswirkungen das auf wichtige Waldfunktionen hat“, sagt der Wissenschaftler aus dem Bereich Energie & Klimaschutz.
DIE WALDVISION
Eine Frage, die für eine Studie des Öko-Instituts eine wichtige Rolle spielen sollte. Denn für Greenpeace haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Projekt „Waldvision Deutschland“ analysiert, wie sich unterschiedliche Arten der Waldbewirtschaftung auf den Beitrag der Wälder zum Klimaschutz durch Kohlenstoffspeicherung auswirken. „Wird die aktuelle Bewirtschaftung der Wälder so fortgeführt wie bisher, nehmen sie nach unseren Berechnungen in den nächsten 90 Jahren durchschnittlich 17,2 Millionen Tonnen Kohlendioxid im Jahr auf“, erklärt Dr. Klaus Hennenberg, Senior Researcher am Öko-Institut, „wird die Bewirtschaftung intensiviert, wie es die Holzindustrie fordert, sinkt diese Zahl auf 1,4 Millionen Tonnen CO2 jährlich ab.“ Bei einer ökologischeren Bewirtschaftung jedoch kann der Beitrag der Wälder zum Klimaschutz deutlich steigen, so das Szenario „Waldvision“: Bis zu 48 Millionen Tonnen CO2 könnten sie dann binden, das entspricht etwa der Hälfte der jährlichen Kohlendioxidemissionen von Pkw in Deutschland.
„Zu einer ökologischeren Bewirtschaftung gehört, Laubholz zu fördern, weniger oft Holz zu ernten und Bäume dicker werden zu lassen“, sagt Hennenberg, „darüber hinaus werden naturschutzrelevante Flächen wie zum Beispiel alte Laubwälder unter Schutz gestellt.“ Denn nur gut vier Prozent der Wälder in Deutschland werden von einer Nutzung ausgenommen und nur die Hälfte davon steht tatsächlich rechtlich unter Schutz. Ziel einer ökologischeren Bewirtschaftung ist nicht in erster Linie mehr Klimaschutz: Laut dem ambitionierten Szenario „Waldvision“ können aus Industrieforsten wieder naturnahe Laubmischwälder werden, die in der Regel widerstandsfähiger, zum Beispiel gegen Stürme sind und mehr Lebensraum für seltene und gefährdete Arten sowie Erholungsraum für Menschen bieten. „Damit zeigt die Waldvision auch einen Weg zur Erfüllung der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt“, sagt der Wissenschaftler aus dem Bereich Energie & Klimaschutz, „danach soll bis 2020 auf fünf Prozent der gesamten Waldfläche eine natürliche Waldentwicklung gewährleistet werden.“ Die Entwicklung der Wälder wurde auf Grundlage der Daten der Bundeswaldinventur mit dem Waldwachstumsmodell „FABio“ (Forestry and Agriculture Biomass Model) simuliert, das seit 2015 am Öko-Institut entwickelt wird.
IM KREUZFEUER
„Mit der Analyse sollte eine Diskussionsgrundlage entstehen, wie sich die deutsche Forstwirtschaft zukunftsfähig und ökologisch entwickeln kann“, erklärt Hannes Böttcher, „wir ernteten durchaus scharfe Kritik an unserer Studie.“ So legte der Wissenschaftliche Beirat für Waldpolitik (WBW) beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft eine umfassende Stellungnahme nach Veröffentlichung der Waldvision vor. „Der Hauptkritikpunkt dieser Stellungnahme lag auf unserer Methodik“, sagt Böttcher, „so wurde kritisiert, dass im Modell nicht ausreichend begrenzt wurde, wie dicht die Wälder werden können – tatsächlich aber gibt es wenig Daten aus Messungen, die vergleichbar wären und eine klare Obergrenze ziehen.“ Ebenfalls in der Kritik stand der lange Projektionshorizont der Studie von 90 Jahren. „Die Forstwirtschaft hat lange Produktionszeiträume von mehreren Jahrzehnten. Deshalb werden Auswirkungen erst spät sichtbar, diese müssen deshalb auch dargestellt werden“, erklärt der Senior Researcher, „es ist klar, dass alle Aussagen über die Zukunft unsicher sind. Die Waldvision ist deshalb auch nicht gedacht als eine genaue Voraussage der Entwicklung des Waldes, sondern eine mögliche Projektion unter bestimmten Annahmen. Deshalb wäre auch eine spannende Frage, zu welchen Ergebnissen andere Modelle kommen, wenn ähnliche Annahmen getroffen werden.“
EFFIZIENTE NUTZUNG
Bei der Betrachtung der Umwelt- und Klimafragen rund um das Thema Waldbewirtschaftung muss auch die Nutzung des Rohstoffs Holz einbezogen werden. „In Deutschland wird sehr viel Holz direkt verbrannt – insgesamt knapp 30 Prozent des in Deutschland eingeschlagenen Holzes wird energetisch genutzt“, sagt Dr. Klaus Hennenberg, „gerade Laubholz landet zu oft sofort im Ofen. Dabei wäre es für das Klima besser, damit Dämmstoffe zu produzieren, um weniger Heizenergie zu verbrauchen.“ Optimal ist es für das Klima nämlich, wenn das Holz fest und langfristig verbaut wird. „Holz ist ein toller Werkstoff, der sich zum Beispiel für zahlreiche Anwendungen im Hausbau lohnt“, so der Experte vom Öko-Institut. Zusätzlich können so andere Rohstoffe ersetzt werden, die in ihrer Produktion mehr Emissionen verursachen, wie zum Beispiel Aluminium oder Kunststoffe. Solche sogenannten Substitutionseffekte können dabei helfen, die Emissionen in anderen Sektoren zu verringern. „Im Grunde muss es aber darum gehen, den Ressourcenverbrauch insgesamt zu verringern, das gilt auch für die Holznutzung“, so Hennenberg.
Im Szenario Waldvision wird im Durchschnitt 25 Prozent weniger Holz geerntet als im Basisszenario, in dem der Wald weiter bewirtschaftet wird wie heute. Heißt das, es muss Holz importiert werden, um den Bedarf zu decken? „Das ist ein Risiko, wenn wir weiter Holz verschwenden – wir müssen darüber nachdenken, wie wir den Holzverbrauch insgesamt verringern können“, so Dr. Hannes Böttcher. Dazu gehört aus Sicht der Experten und Expertinnen vom Öko-Institut zunächst, Holzprodukte möglichst lange zu nutzen und so oft wie möglich wiederzuverwenden. „Holz lässt sich in einer so genannten Kaskadennutzung wiederverwenden“, sagt der Wissenschaftler. Dafür müssen Holzprodukte jedoch so gestaltet werden, dass sie unkompliziert demontiert, eingesammelt und aufbereitet werden können. Das erhöht die Recyclingfähigkeit von Holzprodukten. „Jedes Jahr fallen allein in Deutschland sechs Millionen Tonnen Altholz an, das nur zu einem Drittel stofflich verwertet wird, zum Beispiel für Spanplatten“, erklärt Böttcher, „zwei Drittel hingegen müssen verbrannt werden, weil das Holz etwa durch Farben oder Leime mit Schadstoffen belastet ist und deswegen nicht wiederverwendet werden kann.“
Es ist der Wald, der uns diesen wertvollen Rohstoff liefert. Der unverzichtbare Beiträge für Biodiversität und Klimaschutz leistet. In dem wir uns erholen. Wir müssen einen Weg finden, unsere Waldnutzung so zu gestalten, dass der Wald seine unverzichtbaren Beiträge auch in Zukunft leisten kann.
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Dr. Hannes Böttcher widmet sich dem Wald im Bereich Energie & Klimaschutz aus verschiedenen Perspektiven. Er befasst sich mit Kohlenstoffbilanzen von Waldökosystemen und des Waldsektors ebenso wie mit den Emissionen aus Landnutzung, Landnutzungsänderungen und Forstwirtschaft (LULUCF) oder den Biomassepotenzialen aus Land- und Forstwirtschaft.