Wir wollen. Aber können wir auch?
Christiane Weihe
Sonnenenergie vom Balkon ist im Trend: Über eine halbe Million Balkonsolaranlagen sind hierzulande installiert. Allein im ersten Halbjahr 2024 gingen etwa 220.000 Stecksolargeräte in Betrieb. Sie bringen die Energiewende in Deutschland voran, denn alleine diese neu installierten Anlagen haben eine Bruttoleistung von 200 Megawatt, was etwa den Strombedarf von 50.000 Menschen decken kann. Das zeigt deutlich: Verbraucher*innen haben eine Menge Macht – wenn sie in dieselbe Richtung gehen. Doch was bringt uns dazu, sie einzusetzen? Welche Rahmenbedingungen brauchen wir dafür? Und wo finden wir Orientierung, welches Handeln wirklich nachhaltig ist?
Die nachhaltige Transformation braucht uns alle. Das soll nicht nur heißen: alle Verbraucher*innen. Sondern die gesamte Gesellschaft. Eine Politik, die die passenden Rahmenbedingungen schafft. Eine Wirtschaft, die passende Produkte nachhaltig herstellt. „Wenn nachhaltiges Verhalten teurer oder aufwendiger ist, kann man nachvollziehen, wenn viele Verbraucher*innen nicht entsprechend handeln“, sagt Dirk Arne Heyen vom Öko-Institut. „Politik und Wirtschaft sitzen an den größeren Hebeln, aber ohne die Nachfrage und den Druck der Verbraucher*innen geht es nicht.
Die Akteure müssen gleichzeitig aktiv werden.“ Wenn alle gemeinsam in eine
Richtung gehen, kann dies eine beachtliche Wirkung entfalten. „Das Beispiel der Balkonsolaranlagen unterstreicht das“, so der Senior Researcher. „Ihr Boom wäre ohne technische Verbesserungen und die Senkung von technischen und bürokratischen Hürden nicht möglich. Er wird durch die Änderung des Mietrechts im Sommer 2024 sicher weiter befeuert – ohne schwerwiegenden Grund dagegen müssen Vermieter*innen der Installation nun zustimmen.“ Auch das Gefühl von Selbstwirksamkeit und das Phänomen der „sozialen Ansteckung“ spielen aus Sicht des Senior Researchers aus dem Bereich Umweltrecht & Governance eine Rolle. Studien zeigen: Wer in der Nähe von Häusern mit Solaranlagen wohnt, installiert diese mit höherer Wahrscheinlichkeit auf dem eigenen Dach. „Wir lassen uns vom Verhalten anderer beeinflussen und haben eher das Gefühl, dass wir einen Unterschied machen können, wenn andere es auch versuchen.“
Bereit für Nachhaltigkeit?
Doch wie steht es um die Bereitschaft der Verbraucher*innen, sich bei Konsumentscheidungen im Alltag nachhaltig zu verhalten? Eine Umfrage im Rahmen des Projektes „Verbraucher*innen als Akteur*innen in der Lieferkettenregulierung“ zeigt: Das Interesse ist da. So interessieren sich mehr als die Hälfte der Befragten nach eigener Auskunft „stark“ oder „sehr stark“ für Menschenrechtsverletzungen oder Umweltprobleme in der Lieferkette. „Andere Erhebungen zeigen, dass für die meisten Menschen der Umweltschutz bei der Lebensmittelproduktion oder auch die Langlebigkeit von Produkten wichtige Kaufkriterien sind“, sagt Heyen. Ein Großteil nimmt sich zudem selbst in die Verantwortung. 86 Prozent sehen deutsche Unternehmen in der Pflicht, bestehende Probleme in den Lieferketten zu lösen, so die Umfrage des Öko-Instituts in Zusammenarbeit mit infas. 70 Prozent betrachten aber auch die Verbraucher*innen als verantwortlich. Und die meisten von ihnen sind grundsätzlich bereit, selbst zu handeln. Eine Mehrheit kauft Produkte bereits gezielt, um sich für Menschenrechte und Umweltschutz in den Lieferketten einzusetzen (58 Prozent), viele weitere können es sich vorstellen (33 Prozent).
Doch wie kann die Entscheidung getroffen werden, bei welchem Produkt man zugreift und welches man besser im Regal stehen lässt? Beim Balkonkraftwerk oder dem Fahrradfahren ist es offensichtlich, dass ich eine nachhaltige Wahl treffe. Bei vielen Produkten wie Kosmetika, Lebensmitteln oder Möbeln ist das nicht so offensichtlich. Das Lieferketten-Projekt zeigt: Wer sich etwa über die Produktionsweise von Textilien informieren will, tut dies bislang vor allem über Suchmaschinen im Internet (75 Prozent) – und über Label (73 Prozent). „Im Alltag werden Verbraucher*innen mit einer immer größeren Menge an umweltbezogenen Informationen über Produkte und Dienstleistungen konfrontiert. Umweltbezogene Aussagen können in unterschiedlicher Form auftreten, so zum Beispiel als Texte, Umweltzeichen oder auch Grafiken, die lediglich aussehen wie Umweltzeichen. Häufig werden eine umweltfreundliche Produktion, Verpackung oder ein fairer Handel versprochen. Ob diese so genannten Green Claims, wie etwa das Versprechen, ein Produkt sei „klimaneutral“, wirklich berechtigt sind, lässt sich aber oft nicht nachverfolgen“, sagt Dr. Florian Antony, Senior Researcher im Institutsbereich Produkte & Stoffströme.
Mit Green Claims beschäftigen sich die Wissenschaftler*innen derzeit gemeinsam mit dem Rechtsanwaltsbüro Günther aus Hamburg in der aktuellen Studie „Greenwashing vermeiden, Ecodesign stärken“ im Auftrag des Umweltbundesamts. Die Fülle an umweltbezogenen Aussagen empfinden die Verbraucher*innen als verwirrend, sagt Heyen. So zeigt die jüngste Umweltbewusstseinsstudie, dass 79 Prozent der Befragten oft unsicher sind, welches Produkt nun wirklich umweltverträglich ist. Zusätzlich zeigt eine aktuelle Sinus-Erhebung, dass zahlreiche Menschen nicht wissen, was sich hinter dem Claim „klimaneutral“ verbirgt. Selbst mit Blick auf die bei Lebensmitteln gesetzlich geschützten Begriffen „ökologisch“ und „biologisch“ ist dies der Fall. „Das Wissen der Verbraucher*innen über verschiedene Siegel und Claims ist noch immer begrenzt“, so der Wissenschaftler. Zwar gebe es Informationsangebote wie siegelklarheit.de – aber man könne nicht davon ausgehen, dass sich die Masse der Verbraucher*innen hier aktiv informiert.
„Natürlich gibt es vertrauenswürdige und sinnvolle Label wie etwa die Energieverbrauchskennzeichnung, den Blauen Engel oder das staatliche Bio-Siegel, diese haben außerdem eine hohe Bekanntheit. Inzwischen gibt es aber ebenso eine Fülle von Zeichen, Logos und Begriffen, die Umweltvorteile suggerieren, aber falsche, vage oder unvollständige Aussagen treffen – also Greenwashing betreiben“, so Heyen. Sie tun das aus nachvollziehbarem Grund: Verbraucher*innen lassen sich von Siegeln und Aussagen beeinflussen und kaufen diese bevorzugt. Das EU-Energieeffizienzlabel etwa wird laut der Umweltbewusstseinsstudie von 39 Prozent der Befragten immer, bei weiteren 43 Prozent oft oder sehr oft in die Kaufentscheidung einbezogen. Biosiegel und Fairtrade-Label haben ebenfalls oft einen Einfluss. „Aber auch Klimaneutralitätsclaims beeinflussen die Kaufentscheidung – und selbst Bilder und Verpackungsfarben“, so der Senior Researcher.
Zwei Direktiven
Wir wissen zu wenig, aber lassen uns trotzdem beeinflussen. Finden wir trotzdem den richtigen Weg zu nachhaltigen Produkten? Die Chancen hierfür könnten deutlich besser sein. „Da Umweltaussagen zu Produkten wirken, nutzen Unternehmen das natürlich auch. Ein Problem ist, dass viele Aussagen nicht eindeutig belegt oder von dritter Seite unabhängig geprüft sind. Die Politik muss darauf abzielen, Siegel und Claims ohne Substanz aus dem Markt zu verbannen. Das hilft letztlich auch denen, die hinreichend begründete Umweltaussagen treffen, auf die sich Verbraucher*innen dann auch verlassen können“, sagt Dr. Florian Antony. Eine überwältigende Mehrheit der Verbraucher*innen wünscht sich ebenfalls eine stärkere staatliche Regulierung sowie die unabhängige Kontrolle von Green Claims, wie die Umweltbewusstseinsstudie und andere Befragungen zeigen.
Zwei EU-Richtlinien sollen genau diese Orientierung nun tatsächlich verbessern. Die bereits beschlossene Richtlinie Empowering Consumers for the Green Transition soll Verbraucher*innen unterstützen, informiertere Kaufentscheidungen zu treffen. „Sie folgt dem Grundsatz „No data, no claim“ – ohne eine entsprechende Datenbasis dürfen keine Behauptungen mehr über die Umweltfreundlichkeit eines Produktes getroffen werden. Zudem dürfen beispielsweise keine Umweltvorteile für ein ganzes Produkt mehr behauptet werden, wenn die beworbenen Eigenschaften nur einen Teil davon betreffen“, erklärt Antony. „Verboten ist nun zudem eine Kennzeichnung mit Nachhaltigkeitssiegeln, die nicht von staatlichen Stellen oder einem anerkannten Zertifizierungssystem stammen.“ Gleichzeitig macht die Richtlinie Vorgaben, in welchem Fall der Rechtstatbestand der Irreführung vorliegt. „Sie soll nicht nur die Claims verbessern, die sich an Verbraucher*innen richten, sondern auch für faire Wettbewerbsbedingungen zwischen den Unternehmen sorgen.“
Während die Empowering Consumers-Richtlinie schon verabschiedet wurde, ist die Green Claims-Richtlinie noch auf dem Weg. „Darin werden mehr oder weniger konkrete Anforderungen an die Begründung und Kommunikation von Umweltaussagen festgelegt“, erklärt Antony. „Beide Initiativen sind ein wichtiger Vorstoß der EU-Kommission, denn sie adressieren ein offensichtliches Problem. Ich hoffe, dass ihre Ambitionen in der nächsten Legislaturperiode nicht verwässert werden und letztlich die Orientierung für Verbraucher*innen tatsächlich verbessern.“ Die Richtlinien sind ein wichtiger Schritt für mehr Orientierung für die Verbraucher*innen, sagt auch Dirk Arne Heyen. „Bislang übernehmen Verbraucherorganisationen durch diverse Klagen die Aufgabe, Unternehmen zur Verantwortung zu ziehen, wenn sie falsche Nachhaltigkeitsversprechen machen. Das wird für alle einfacher, wenn es EU-weit klarer geregelt ist."
Mehr als nur Siegel
Zu guten Rahmenbedingungen für nachhaltiges Verhalten gehört natürlich nicht nur eine anständige Kennzeichnung von Produkten. „Nötig sind zum Beispiel auch passende Infrastrukturen wie gute Fahrradwege und ein attraktiver öffentlicher Verkehr. Aber auch die CO2-Bepreisung ist eine wichtige Maßnahme, um klimaschädliche Produkte und Dienstleistungen unattraktiver zu machen“, so Dirk Arne Heyen. Gleichzeitig gehöre zur Gestaltung passender Rahmenbedingungen für nachhaltiges Verhalten auch der Blick auf das, was für Menschen in unterschiedlichen Lebenslagen möglich und bezahlbar sei. „So müssen manche Menschen finanziell in die Lage versetzt werden, nachhaltige Investitionen zu tätigen. Dazu können zum Beispiel gezielte Zuschüsse oder ein Förderbonus für einkommensschwache Haushalte beitragen.“
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Wie lässt sich die nachhaltige Transformation politisch gestalten? Und welche sozialen Fragen sind mit Umwelt- und Klimapolitik verbunden? Diesen Fragen widmet sich Dirk Arne Heyen am Öko-Institut. Im Bereich Umweltrecht & Governance blickt er unter anderem auch auf Verbrauchereinstellungen zu umwelt- und klimapolitischen Maßnahmen.
Ansprechpartner am Öko-Institut
Weitere Informationen
Pressemitteilung der Bundesnetzagentur: Zubau Erneuerbarer Energien im ersten Halbjahr 2024
Artikel auf der Website von Spiegel Online: Rekord bei neuen Balkonkraftwerken
Artikel auf der Website des MDR: Solarzellen sind ansteckend
Studie der TU Darmstadt: I spot, I adopt! Peer effects and visibility in solar photovoltaic system
Artikel auf der Website des Umweltbundesamtes: Neue EU-Regeln gegen Greenwashing verabschiedet